Eine Beziehungsfrage: „Wer gehört zu wem?“
Ehrenamtlich getragenes Engagement gehört zur Caritas. Es ist ein wesentlicher Teil von ihr.1 Dieses Engagement entfaltet sich in unterschiedlichen Handlungsformen und -zusammenhängen. Die spezifische Engagementform "Freiwilligen-Zentrum" (FWZ) steht im Zentrum dieses Beitrags. Inspiriert wird er von einem Song von Marianne Rosenberg aus dem Jahr 1975.
"Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür"
Übergehen wir das nicht passende Personalpronomen "er" und achten auf die beiden Possessivpronomen "(zu) mir" und "mein": Sie verweisen auf ein Verhältnis, auf eine besondere (enge) Beziehung. Die Beziehungen zwischen vielen FWZ im Deutschen Caritasverband und ihren jeweiligen Trägern sind mitunter etwas nebulös. Aus der Perspektive des örtlichen Caritasverbandes als Träger ist "sein" FWZ nicht selten eine prekär finanzierte Einrichtung, die ohne einen mehr oder weniger hohen Einsatz von Eigenmitteln keine wirtschaftliche Tragfähigkeit hätte. Denn sie fällt nach der kommunalen und staatlichen Finanzierungslogik unter "freiwillige Leistungen" und ist damit besonders den (pekuniären) Unberechenbarkeiten von Politik und Verwaltung ausgesetzt.
Und auch aus der Perspektive der Haupt- und Ehrenamtlichen in FWZ ist die strukturelle Beziehung zu ihrem Träger von einer besonderen Nicht-Eindeutigkeit geprägt: Sie verstehen ihre Einrichtung als "Entwicklungszentrum für eine solidarische Bürgergesellschaft" und als "Teil der Sozialbewegung in der jeweiligen Kommune oder Region". Ergo sind die FWZ zivilgesellschaftliche Akteure. Die FWZ in Trägerschaft eines Caritasverbandes fördern - wie alle anderen Zentren auch - ehrenamtliches Engagement nicht nur innerhalb der eigenen verbandlichen Strukturen. Vielmehr wirken sie im lokalen Raum für die gesamte Gesellschaft. Das kann naturgemäß zu Spannungen im eigenen Verband führen. Denn sie "liefern" ihr Know-how oder qualifizierte Ehrenamtliche nicht ausschließlich an die Einrichtungen und Dienste der Caritas, sondern in gleicher Weise an viele andere öffentliche, gemeinnützige oder private Träger. Ergo an die Zivilgesellschaft.
Ein Besuch von Websites von FWZ veranschaulicht unterschiedliche Selbstverortungen und -darstellungen ihrer Akteure: Ein Teil von ihnen hebt die Zuordnung zum Caritasverband als Träger hervor, und dies bereits auf der Startseite. Andere FWZ - vor allem in Großstädten - lassen ihre Caritaszugehörigkeit erst auf den zweiten oder gar dritten Blick erkennen. Im Zentrum ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit steht das bürgerschaftliche Engagement in der Kommune oder im Sozialraum und nicht die Einbindung in die Strukturen der Caritas. - "... wie mein Name an der Tür": Bei ihnen findet sich das Flammenkreuz nicht an der Eingangstür, sondern eher "im Keller".
Welchen Gewinn hat die verbandliche Caritas mit ihrer Trägerschaft von wirtschaftlich defizitären und per Selbstbeschreibung unabhängigen Freiwilligen-Zentren? Worin besteht deren Mehrwert? Hier einige Antworten zu diesen Fragen:
Gekommen, um zu dienen
Die Bedeutung und damit auch der Wert einer sozialen Einrichtung hängen vor allem von ihrem Nutzen ab. Oder anders formuliert: Wird sie gebraucht? Vorrangig ist dabei die Perspektive der Nutzer(innen) und im Fall der FWZ vor allem der Bürger(innen) sowie der Handelnden in der Kommunalpolitik und in den Verwaltungen.
Die FWZ haben in den vergangenen Jahren deutschlandweit ihren Gebrauchswert erfahren vor allem in der Flüchtlings- und in der Corona-Krise. Wie systemrelevant sie waren und sind, veranschaulicht eine Mitteilung der Berliner Senatsverwaltung vom Frühjahr 2020: "In allen Berliner Bezirken gibt es jetzt eine Koordinierungsstelle für freiwilliges Engagement in Corona-Zeiten. Die Koordinierungsstellen bringen Menschen, die sich freiwillig in der direkten Nachbarschaft engagieren möchten, mit denen zusammen, die sich Unterstützung wünschen. Auch gemeinwohlorientierte Organisationen können sich an die Koordinierungsstellen wenden, wenn sie neue Freiwillige gewinnen möchten. Hinter den Koordinierungsstellen stehen die Teams von Freiwilligenagenturen und Stadtteilzentren in den verschiedenen Berliner Kiezen. Bei den Koordinierungsstellen finden Sie also Expertinnen und Experten für freiwilliges Engagement und für die lokalen Nachbarschaften. Unterstützt werden die Koordinierungsstellen durch die Senatskanzlei und durch die hinter den gemeinnützigen Trägern stehenden Fachverbände."
Das Profil der verbandlichen Caritas gewinnt durch ihre FWZ eine besondere engagementpolitische Kontur: Sie wird gebraucht. Dies betrifft grundsätzlich alle Angebote ihrer Einrichtungen und Dienste. Aber hinter diesem "Gebrauchtwerden" der FWZ steht noch eine weitere Bedeutung: Die verbandliche Caritas macht ein spezifisches Angebot und stellt dieses dem Gemeinwohl zur Verfügung, entsprechend den wechselnden aktuellen Bedarfen der Bürger(innen) im sozialen Raum. Sie lässt sich in ihren FWZ von anderen Akteuren im sozialen Raum steuern: von Bürger(inne)n, Politik und Verwaltungen, Gruppen und Organisationen. Damit erhöht sie ihre Anschlussfähigkeit und ihre Glaubwürdigkeit. Und sie orientiert sich als christlich fundierter Wohlfahrtsverband an den Maßstäben ihres Gründers: Wir sind gekommen, um zu dienen (Mk 10,45).
Ein Verband verändert sich
Was für die Beziehungen zu Netzwerken im Sozialraum gilt, gilt auch für das Verhältnis zu den Menschen, die Kontakt zu FWZ aufnehmen oder von diesen angesprochen werden. Wie definiert sich die verbandliche Caritas gegenüber ehrenamtlich und freiwillig Tätigen? Wie kommuniziert sie mit Bürger(inne)n, die sich unentgeltlich engagieren wollen? Die FWZ sind ein zentraler Ort, wo dieses Verhältnis neu austariert werden kann.
Ehrenamtliche erwarten subsidiäre Unterstützung
"Ein Verband verändert sich" - so sind die Ergebnisse des Zukunftsdialogs Caritas 2020 überschrieben. In einem der fünf Themenfelder definiert sich die Caritas als "attraktives Feld der Beteiligung und des Engagements". Sie will "weitere Räume schaffen, in denen sich Menschen in der Caritas einbringen können. [...] Freiwilligen-Zentren und die youngcaritas sind Beispiele dafür, wie man mit Menschen in Kontakt kommt, die an praktischer Mithilfe interessiert sind."
Die Caritas versteht sich somit als Solidaritätsstifterin, den am Engagement Interessierten wird eine Komplementärrolle zugedacht: Es wird ihnen "Mithilfe" angeboten, sie sollen sich "in die Caritas einbringen" können. Das entspricht nicht dem Selbstverständnis der meisten Akteure in FWZ. Ihr Engagement ist nicht primär auf die Caritas gerichtet, sondern auf den gesamten Sozialraum und die dortigen Aufgaben und Handlungsnotwendigkeiten. Sie erwarten von den FWZ in Trägerschaft der Caritas nicht unbedingt, dass diese "Räume schafft". Denn die sind vorhanden. Es ist die Kommune, der Stadtteil, der Sozialraum, in dem sie leben. Und Ermöglichungsräume schaffen sie sich selbst. Sie erwarten von der Caritas das Gleiche, was die verbandliche Caritas von Kommunen oder vom Staat erwartet: subsidiäre Unterstützung ihres sozialen Handelns. FWZ können für die Caritas ein besonderer Ort zur Profilbildung werden: Neben den vorhandenen Selbstbeschreibungen bedarf es allerdings auch der Perspektiven von "außen".
"Sie gehört zu mir"
Die verbandliche Caritas ist auf allen Ebenen aufgefordert, im Dialog mit Akteuren in FWZ und an anderen Ermöglichungsorten ihr Verhältnis, ihr Rollenverständnis neu zu klären. Eine Selbstdefinition als Solidaritätsstifterin allein ist dazu nicht ausreichend. Und dann können im Laufe dieser Verständigungsprozesse engagierte Bürger(innen) hoffentlich mit Überzeugung sagen: "Sie, die verbandliche Caritas, gehört zu mir."
Anmerkung
1. Vgl. u. a. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Ohne Ehrenamt keine Caritas. In: neue caritas Heft 17/2010, Seiten 40 ff. und Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Eckpunkte zum bürgerschaftlichen Engagement im Verständnis der Caritas. In: neue caritas Heft 21/2014, Seiten I ff.
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