„Was diejenigen, die hinter und vor der Tafel stehen, unterscheidet“
Die ARD hat bereits mehrfach eine Dokumentation mit dem Titel "Frauen in der Rentenfalle" ausgestrahlt. Darin wird eine Lebensmittel-Ausgabe gezeigt und dazu kommentiert: "Was diejenigen, die hinter und vor der Tafel stehen, diejenigen, die die Lebensmittel ausgeben, und diejenigen, die sie in Empfang nehmen, unterscheidet, ist der Lebensstand: Denn ohne die Rente ihrer Ehemänner wären die Frauen hinter dem Tresen genauso arm wie ihre Kundinnen." Es gibt Tafeln in Deutschland, da sind die Hälfte der Kund(inn)en Frauen im Rentenalter:
- Frauen, die alleinstehend sind und deren gesetzliche Rente gerade mal für die Miete reicht,
- Frauen, die geschieden oder verwitwet sind,
- Frauen, die in typischen Frauenberufen gearbeitet haben: als Verkäuferinnen, Sekretärinnen, Altenpflegerinnen, Erzieherinnen usw.,
- aber auch Frauen mit Hochschulabschluss, die als Lehrerinnen, Ärztinnen, Apothekerinnen gearbeitet haben, jedoch mit Unterbrechungen oder in Teilzeit.
Die Daten und Fakten dazu liegen schon seit Jahren auf dem Tisch, zuletzt im fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellt und am 12. April 2017 vom Kabinett beschlossen wurde.1 Die soziale Lage in Deutschland wird darin auf Basis vorliegender Statistiken2 und eigens in Auftrag gegebener Forschungsvorhaben ausführlich beschrieben.
Die aktuelle Statistik zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung macht erneut deutlich, dass im Geschlechtervergleich insgesamt mehr Frauen (18,1 Prozent) als Männer (15,2 Prozent) von Armut bedroht sind.3 Wie sich das auf die Renten auswirkt, hat die Deutsche Rentenversicherung errechnet. Die durchschnittliche Altersrente von Frauen betrug 2017 mit 684 Euro nur 60 Prozent der Durchschnittsrente von Männern (1115 Euro).4
Wenn die Miete 40 Prozent des Einkommens auffrisst
Als armutsgefährdet gilt laut Übereinkunft in der EU, wer mit einem Haushaltseinkommen von unter 60 Prozent des Median-Einkommens eines Landes auskommen muss. Nach der alle fünf Jahre vorgenommenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS)5 liegt die Armutsgefährdungs-Quote von Alleinlebenden bei 31,9 Prozent. Damit ist das Armutsrisiko von Alleinstehenden fast dreimal höher als das von kinderreichen Familien (11,8 Prozent).
Vor allem die steigenden Wohnkosten tragen zum Armutsrisiko von Alleinlebenden bei. 32 Prozent aller Alleinlebenden geben 40 Prozent und mehr ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aus, während dies nur auf knapp zehn Prozent der Mehrpersonen-Haushalte zutrifft. Was dies vor allem für Frauen bedeutet, zeigen andere Studien: Ab dem 55. Lebensjahr nimmt die Anzahl von Frauen unter den Alleinlebenden deutlich zu, und im Rentenalter gibt es mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer, die in einem Einpersonen-Haushalt leben.
Alleinlebend, zur Miete wohnend und in Rente ist ein Armutsrisiko, das vor allem Frauen trifft, das sich nochmals verschärft, wenn es sich zum Beispiel um Alleinerziehende, Migrantinnen oder Frauen mit Behinderung handelt. An diesen Zahlen und Zahlenverhältnissen hat sich in den letzten Jahren nichts geändert, im Gegenteil, die Altersarmuts-Risiken steigen kontinuierlich. Der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung macht die geschlechtsspezifische und lebensform-typische Schieflage von Armutsrisiken aber nicht zu einem eigenen oder gar politischen Thema.
Erst die 2017 erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung "Entwicklung der Altersarmut bis 2036" weist ausdrücklich darauf hin: Mehr als jede vierte alleinstehende Neurentnerin wird der Untersuchung zufolge in den kommenden Jahren die staatliche Grundsicherung nötig haben. "Damit ist das Risiko zur Altersarmut bei alleinstehenden Frauen rund viermal so hoch wie im Durchschnitt."6
Die Zahlen und Fakten liegen auf dem Tisch, dennoch haben alleinstehende, von Armut bedrohte Frauen keine politische und auch keine kirchliche Lobby. Die katholische Kirche hat in der Bundesrepublik ihren Teil zu einem konservativen Frauen- und Familienbild beigetragen. Die Aufwertung der verheirateten Frau und Mutter ist aus katholischer Perspektive allerdings relativ jung. Sie gewinnt erst mit dem II. Vatikanischen Konzil in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts an Schwung. Die damit verbundene zunehmend diskriminierende Sicht auf alleinstehende, kinderlose Frauen wird jedoch kaum reflektiert.
Die katholische Kirche kann aber auf eine reiche Tradition von starken Frauen verweisen, die freiwillig ehe- und kinderlos blieben, Frauen, die alleinstehend blieben, um sich gerade so für die Menschen einzusetzen, die auf Hilfe angewiesen waren. Doch schon in der frühen Kirche, als die Asketen- und Jungfrauen-Bewegung entstand, war diese Lebensform äußerst suspekt. Denn es waren Menschen und vor allem Frauen, die sich dem Druck und den Zwängen patriarchaler Bindungen entzogen und über die Familie und Verwandtschaft hinaus Solidarität aufbauten und pflegten. Solche familiär ungebundenen Frauen wurden als gefährlich angesehen, denn sie verweigerten die Vorherrschaft von Männern über ihr Leben und nutzten Familieneigentum und Erbe, indem sie es – wie zum Beispiel die heilige Elisabeth – mit fremden Menschen teilten. Soziologisch waren es diese alleinstehenden Frauen, die in der antiken und mittelalterlichen Gesellschaft die soziale Radikalität des Christentums lebten: eine Solidarität, die in der Nachfolge Jesu den Familienbegriff weitet und grundsätzlich für alle Menschen offen ist: "Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter." (Mk 3,34 f.)
Eine Aufgabe der Kirche
Darum kann und sollte gerade die katholische Kirche sich in der Verantwortung sehen, für die verschiedenen Lebensverläufe und Lebenslagen von Frauen und besonders auch von alleinstehenden Frauen zu sensibilisieren, Wertschätzung den Frauen gegenüber aufzubringen, die aus welchen Gründen auch immer alleinlebend sind und gerade so ihren Beitrag zum Gemeinwesen und Gemeinwohl leisten. Das ist die Kirche den Frauen – wie zum Beispiel den Pfarrhaushälterinnen, den alleinstehenden Gemeindereferentinnen und anderen – schuldig, die sich zeit ihres Lebens im kirchlichen Dienst für andere eingesetzt haben und dann in der Rente selbst arm dastehen.
Auch in der Kirche gibt es Widerstände
Doch auch innerkirchlich ist es äußerst mühsam, für die besonderen Armutsrisiken alleinstehender Frauen zu sensibilisieren. Die Widerstände sind massiv. Hinzu kommt der heimliche Verdacht, dem sich kinderlose, unverheiratete Frauen auch in der Kirche ausgesetzt sehen: Weil sie angeblich die Selbstverwirklichung im Beruf anstelle von Ehe und Mutterschaft gewählt haben, haben sie ihre Armutsrisiken auch selbst verschuldet. Denn sie haben ja keine Kinder geboren, die einmal ihre Renten zahlen könnten – ein sehr zynisches und dennoch häufiges Argument.
Und so verstecken Frauen verschämt ihr Alleinsein und/oder ihre Kinderlosigkeit. Während der männliche Beruf und Verdienst als sozial verträglich gilt, haben Beruf oder gar Karriere und Verdienst von Frauen – auch bei manchen katholischen Männern und Vätern, die gut für ihre Privilegien zu sorgen wissen – etwas Anrüchiges, ja Egoistisches an sich.
Die Stärke der Kirche liegt in ihrer Sendung, sich zur Anwältin derer zu machen, die bedrängt sind und Not leiden. Denn "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi" (Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils). Und die Kirche ist dort stark und aktiv beteiligt, wo sie diese Solidarität im Nahbereich als Kirche vor Ort lebt und gestaltet.
Armutsrisiken auch von Frauen sind komplex: Es geht nicht nur um materielle Einschränkungen, sondern um Fragen der sozialen Teilhabe, wenn Menschen vielleicht gerade noch ihre Miete aufbringen können, aber kein Geld mehr zum Beispiel für Museum und Konzerte, Theater und Restaurantbesuche haben. Die Chance der Kirche vor Ort liegt darin, sich für eine Stadt- und Quartiersentwicklung starkzumachen, die die Bedarfe der verschiedenen Lebensformen im Blick hat (zum Beispiel bezahlbare Mieten auch in kleinen Wohnungen). Es geht nicht nur politisch, sondern auch pastoraltheologisch um Fragen nach einer gerechten Teilhabe an der Gesellschaft. Dazu gehören unter anderem Themen wie Zusammenhalt und Solidarität in einer Gesellschaft mit sehr unterschiedlichen Lebenslagen, um den Zusammenhang von Selbstständigkeit und Fürsorge beziehungsweise Verbindlichkeit in den verschiedenen Lebensformen und Engagement-Bereichen. Seelsorglich geht es um Gesichter verschämter Armut und die Sichtbarmachung von Armut in pastoralen und caritativen Kontexten. Die Kommission für Frauen in Kirche und Gesellschaft, eine Unterkommission der Pastoralkommission in der Deutschen Bischofskonferenz, plant darum eine Veranstaltung gemeinsam mit den Frauen- und Sozialverbänden, um auf die spezifischen Armutsrisiken von Frauen aufmerksam zu machen und Handlungsperspektiven zu entwickeln.
Anmerkungen
- www.armuts-und-reichtumsbericht.de (3.12.2018).
- Das sind: der jährlich erhobene Mikrozensus, das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die alle fünf Jahre erstellte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die Gemeinschaftsstatistik "Leben in Europa" (EU-SILC).
- EVS (3.12.2018).
- Quelle: https://statistik-rente.de/drv (3.12.2018).
- Quote der armutsgefährdeten Personen nach Haushaltstyp (Werte mit Berücksichtigung selbst genutzten Wohneigentums): alleinlebend (31,9 %), alleinerziehend (42,7 %), Paar mit einem Kind (13,5 %), Paar mit zwei Kindern (9,2 %), Paar mit drei und mehr Kindern (11,8%).
- www.bertelsmann-stiftung.de (3.12.2018).
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