Plattformfähig – was heißt das für die Caritas?
Plattformen, die im Zuge des digitalen Wandels entstehen, fordern die freie Wohlfahrtspflege heraus, ihre Angebote, Kommunikationsformen, Prozesse und auch ihr Selbstverständnis weiterzuentwickeln. Zwei Fragen bilden sich aus den Analysen und Überlegungen des letzten Jahres1 heraus: Was ist zu tun, um "plattformfähig" zu werden? Das heißt, welche Voraussetzungen braucht es in der Caritas, damit die Angebote in einer Plattformen-Welt die Hilfesuchenden erreichen. Der weiterführende Gedanke ist, wie die Caritas auf dieser Basis ihr Profil in der digitalen Welt neu ausfüllen kann.
Ein weiterer Teil der Diskussion, nicht aber dieses Artikels ist, ob oder in welcher Weise Caritasverbände oder der Deutsche Caritasverband sich an der Trägerschaft von eigenen Plattformen oder denen Dritter beteiligen sollten.
Warum kümmert sich die Caritas um Plattformen?
Motivation 1: Hybride Lebenswelt der Hilfesuchenden
Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung ist der parallele Umgang mit analogen und digitalen Instrumenten selbstverständliche Lebenspraxis. Junge und Alte, Reiche und Arme, wenn auch jeweils Letztere noch nicht in gleichem Maße2, organisieren ihren Alltag umfangreich digital. Wenn die Caritas ihnen nah sein will, muss sie digital und analog aktiv sein. Das ist mehr als eine einfache Website, in der Hoffnung, so gefunden zu werden. Es heißt aber nicht, dass die Caritas an allen Stellen selbst in tragender Rolle fungieren muss oder kann. Sie muss aber dafür sorgen, dass "Interaktionsangebote" an den relevanten Stellen präsent sind, zum Beispiel durch automatisierte Schnittstellen.
Motivation 2: Veränderte Rolle des Wohlfahrtsverbands
Plattformen sind ihrem Wesen nach Vermittelnde (Intermediäre) zwischen Hilfesuchenden und Hilfeanbietenden. Als "Marktplatz" besetzen sie eine Schlüsselposition, die große Gestaltungsmacht einbringen kann - je nachdem, wie schwergewichtig die Anbieter auftreten: Was wird angeboten, wie wird es angeboten, welche Kundenbeziehungen sind möglich oder ausgeschlossen? Spielregeln relevanter privatwirtschaftlicher und öffentlicher Plattformen mitzugestalten ist für die verbandliche Caritas also besonders wichtig. Mit Blick auf staatliche Aktivitäten geht es dabei auch darum, das Subsidiaritätsverständnis für die Plattformwelt weiterzuentwickeln.3
Motivation 3: Verbandliche Zusammenarbeit
Plattform-Fähigkeit zu gestalten bietet zugleich die Chance, die vielfältigen Caritas-Angebote füreinander sichtbar und miteinander kompatibel zu machen, also effizienter und intensiver zusammenzuarbeiten. Durch weniger Telefonieraufwand für die Mitarbeitenden können Kosten gespart und bessere Dienste am Menschen durch nutzerorientierte und zum Beispiel nicht gebietsgrenzenorientierte (Beratungs-)Angebote geleistet werden. Entsprechende Datenanalysen können aufzeigen, wie die Interessenten die Angebote verwenden und wo begonnene Aktivitäten abgebrochen werden. Daraus können neue Lösungen entwickelt werden, die zum Beispiel Leistungen verschiedener Träger nahtlos kombinieren. So kann die verbandliche Caritas als Netzwerk genutzt werden. Diese Chancen sollten erkannt und aus eigener Motivation ergriffen werden, unabhängig davon, ob die Caritas durch Aktivitäten privater und öffentlicher Plattformen dazu gedrängt wird. Wenn externe Portale die Verfügbarkeiten und Angebote besser überblicken als die Caritas selbst, wird sie die digitale Welt nur sehr eingeschränkt mitgestalten können.
Idealerweise entwickeln die Caritasverbände Produkt- und Kommunikationsstrategien, Plattform- und Lobbystrategien sowie Strategien für Schnittstellen (Kompatibilität) und Kooperationen.
Was gehört zur Plattform-Fähigkeit?
Will die Caritas mit der noch zu erarbeitenden Plattform-Strategie anpassungsfähig bleiben, wird sie sich nicht vollständig an eine einzige Plattform binden können. Aus diesen und den oben erwähnten Gründen müssen die Plattform-Fähigkeiten4 selbst erlangt werden, aller Voraussicht nach jeweils spezifisch auf den einzelnen verbandlichen Ebenen.
Plattformfähige Angebote erstellen
Das Erste, was Interessierte von der Caritas auf Plattformen wahrnehmen, werden die Angebote sein. Ihre Aufmachung muss den Gepflogenheiten der Plattformen, jedenfalls aber des Webs entsprechen: schnell erfassbar und an den Anliegen der Interessenten orientiert. Für mögliche Filterfunktionen braucht es geeignete Schlagwörter. Sobald Baukasten- oder Warenkorb-Systeme zum Einsatz kommen, etwa wenn im Zuge des Bundesteilhabegesetzes verschiedene Dienstleistungen bei unterschiedlichen Dienstleistern eingekauft werden können, müssen die Angebote entsprechend modular und standardisiert aufgebaut sein.
Erstrebenswert ist es, Verbindungen zu ehrenamtlichen Angeboten und (Online-)Beratungen einzubauen.
Fortlaufend aktualisierte Daten bereithalten
Attraktiv dargestellte Pflegeplätze helfen nicht, wenn sie gar nicht zur Verfügungen stehen. Ob es noch freie Plätze gibt, zum gewünschten Zeitpunkt geben wird - Terminverfügbarkeiten und aktuelle Kontaktinformationen sind ebenso wichtig wie die eigentlichen Beschreibungen. Wenn diese Informationen keine weitere Bearbeitung brauchen, sollten sie über automatisierte Schnittstellen bereitgestellt werden.
Digitale Verwaltungsprozesse beherrschen
Die Daten auch im hektischen Alltag aktuell zu halten und Anfragen umgehend zu bearbeiten wird mit traditionellen Methoden nicht zu bewerkstelligen sein. Für einen reibungslosen, das heißt zeit- und oft auch nervensparenden Ablauf, müssen Prozessschritte und Übergabepunkte klar definiert sowie durch entsprechend verknüpfte Software-Systeme und menschliche Verantwortung unterstützt sein. Viele Fachsoftwares geben die verwalteten Informationen aber noch nicht in geordneter Weise preis oder diese Möglichkeit wird nicht ausreichend genutzt. Medienbrüche und Störungen im Prozess sind die Folge. Es geht nicht darum, soziale Arbeit zu automatisieren, sondern Verwaltungsarbeit möglichst geräuschlos und nutzerfreundlich zu gestalten. Das kann auch bedeuten, dass ein Beraterkalender teilautomatisiert vom Terminvergabe-System bestückt wird.
Verbandliche Standards für Daten-Formate und Schnittstellen
Wesentliche Prozesse können nur auf lokaler Ebene verändert werden. Auch die dynamischen Daten haben überwiegend dort ihren Ursprung. Eine orts-/verbandsübergreifende Zusammenarbeit wird sinnvoll möglich, wenn Formate, Schnittstellen und Abstimmungsprozesse für die relevanten Daten verbandlich definiert werden.
Schnittstellen sind deshalb so wichtig, weil sie den Beteiligten Freiheiten bei den internen Prozessen erlauben und gleichzeitig am Übergabepunkt für verlässliche Strukturen sorgen. Ein Standard, der ernst genommen wird, bedeutet Einschränkungen der eigenen Autonomie hinzunehmen und ermöglicht zugleich gemeinsame Aktionsräume in der Plattformwelt.
Daten und Zugriffsrechte verwalten
Daten und ihre sichere Verwaltung sind für die wohlfahrtsverbandliche Plattform-Fähigkeit zentral. Daten sind ein sehr sensibles Gut: seien es persönliche Informationen, wirtschaftlich-strategisch relevante Kennzahlen oder sei es, dass ihre Bereitstellung Bestandteil der eigenen Leistungserbringung für private oder öffentliche Dritte ist. Mit den technischen und menschlichen Schnittstellen müssen also Vereinbarungen einhergehen, welche Daten wohin wandern sollen und was weiter mit ihnen passieren soll. Damit Vereinbarungen nicht neuen Ideen im Weg stehen, müssen die Absprachen regelkonform anpassbar sein.
Integrierte und neue Angebote ermöglichen
Plattformen ermöglichen, neue Angebotskonzepte zu etablieren, etwa die Kombination von Hotelbuchungen und Car-Sharing-Angeboten. Dies fordert Wohlfahrts-
verbände heraus, die idealtypisch in ihren Angeboten ihre drei Wesensmerkmale der konkreten Hilfe/Dienstleistung, der Engagement-Möglichkeiten und der Anwaltschaftlichkeit einbringen. Eine ideale Plattform könnte beispielsweise als Ratgeber Ansprüche verständlich klären helfen, informelle Hilfen wie etwa ehrenamtlich organisierte Selbsthilfe sichtbar und diese modular mit professioneller Hilfe kombinierbar machen. Das muss nicht ein einzelner Träger bewerkstelligen, es müsste noch nicht einmal die Caritas selbst sein. Es kommt aber darauf
an, dass die Caritas solche Möglichkeiten erkennt, unterstützt und umgekehrt dann auch nutzen kann.
Wie können diese Aufgaben vorangebracht werden?
Plattform-Fähigkeiten verbandlich zu entwickeln ist keine Banalität. Wie die eingangs erwähnten Motive im Verband zu stärken und wie auf ihrer Basis Strukturen zu entwickeln sind, die in der Caritas Plattform-Fähigkeit herstellen, ist Gegenstand einer intensiven Diskussion. Die von der Delegiertenversammlung eingeforderte Expert(inn)engruppe hat Szenarien erarbeitet und Vor- und Nachteile einiger Strukturen abgewogen. Der Vorstand hat sich eine eigene Meinung gebildet und im Caritasrat zur Diskussion gestellt: Den dort verabredeten Studientag Anfang September nutzte der Verband, um sich auf die Delegiertenversammlung vorzubereiten, wesentlichen Dimensionen von Plattform-Fähigkeit nachzuspüren und Alternativen abzuwägen.
Anmerkungen
1. Mit diesem Thema befassen sich unter anderem die Kommission Ökonomie der Delegiertenversammlung 2018, das Papier der OCV "Anforderungen der Digitalisierung", der Beratungsprozess des Vorstands (mit der "Expert(inn)engruppe Digitale Agenda"), der Caritasrat und weitere Stellen im Verband.
2. D21 DigitalIndex 2018/2019, https://initiatived21.de/app/uploads/2019/01/d21_index2018_2019.pdf
3. Besonders relevant sind aktuell die mit dem Onlinezugangsgesetz verbundenen Aktivitäten zum Portalverbund von Bund und Ländern. www.it-planungsrat.de/DE/Projekte/Koordinierungsprojekte/Portalverbund/Portalverbund_node.html
4. Das Folgende ist eine Synthese der Diskussion in der Expert(inn)engruppe, einer Interviewserie für ein Beratungspapier der BAGFW, dem offenen Fachtag Digitalisierung und vielen weiteren Gesprächen. Trotzdem ist es eine unvollständige Liste und berücksichtigt noch nicht die Ergebnisse des Studientags des Caritasrats zur Plattform-Fähigkeit.
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