Was die Caritas aus der Corona-Krise gelernt hat
Soziale Widerstandskraft: Mitarbeitende ermöglichten viel, damit im Corona-Lockdown die Stimmung nicht kippt. Sie selbst haben dafür mit nachhaltiger Erschöpfung bezahlt.DCV/KNA, Harald Oppitz
Die Covid-19-Pandemie steht für den Anfang einer Zeit, in der Pandemien bedingt durch den Klimawandel, die Globalisierung und Urbanisierung vermutlich immer häufiger auftreten werden. Ein Blick in die Vergangenheit lohnt sich – nicht um Schuldige zu suchen, sondern um die gewonnenen Einsichten aus dieser Zeit für die Zukunft zu nutzen. Im Januar 2025 wurden aus diesem Grund - fünf Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie – Führungskräfte der Caritas in einer Online-Umfrage um ihre Erfahrungen gebeten.1 Fast 700 Personen aus dem ganzen Bundesgebiet und aus allen Bereichen der Caritasarbeit von Krankenhäusern über Beratungsstellen, der Eingliederungshilfe und Pflege bis zur youngcaritas haben geantwortet. Die Ergebnisse verdeutlichen, welche Auswirkungen bis heute spürbar sind, wodurch Caritas-Einrichtungen sich als resilient erwiesen haben und welche Schlüsse daraus für kommende Krisen gezogen werden können.
Der globale Notstand, der durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 hervorgerufen wurde, wurde am 5. Mai 2023 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als beendet erklärt. Zwei Jahre später nehmen Verantwortliche in der Caritas die Folgen der Pandemie weiterhin wahr, etwa weil sie – wie 73 Prozent der Befragten – noch mit dem Wiederaufbau von Angeboten beschäftigt sind, die in der Coronazeit zurückgefahren wurden, oder weil die finanziellen Belastungen (für 64 Prozent der Befragten, für sechs Prozent sogar stark) bis heute nachwirken.
Die Rückschau zeigt: Für die Bewältigung der Krise waren die Mitarbeitenden von zentraler Bedeutung. Obwohl viele von ihnen, etwa in Pflegeberufen, auch ohne die Pandemie bereits durch Arbeitsverdichtung belastet waren, haben sie vieles auf sich genommen, um eine bestmögliche Versorgung von Klient:innen und Patient:innen zu gewährleisten. Eine Führungskraft schreibt beispielhaft:
"Also insgesamt finde ich, die Mitarbeitenden ,an der Front in der direkten Betreuung‘ haben alles getan, um die Verordnungen gewissenhaft umzusetzen und gleichzeitig die Bewohner:innen und Patient:innen zu versorgen sowie fehlende Besuche der An- und Zugehörigen aufzufangen. […] Der Pflege wurden wieder nicht die nötige Wertschätzung und nicht der nötige Respekt entgegengebracht, obwohl das eine große Chance gewesen wäre, das Image des Pflegeberufs aufzubessern."
Trotz der enormen Kraftanstrengungen durch zusätzliche Arbeiten, bürokratische Pflichten, Angst vor Ansteckung, Krankheits- und Quarantänezeiten sowie moralische Belastungen gab es den coronabedingten und in der Pandemie befürchteten, umfangreichen Drop-out aus der Pflege statistisch nicht2 – einige Befragte berichten jedoch von Mitarbeitenden und Kolleg:innen, die ausgestiegen sind.
Neben den Mitarbeitenden hatten die Führungskräfte bei der Bewältigung der Pandemie ebenfalls eine zentrale Rolle: 99 Prozent der Befragten gaben an, dass es sehr wichtig (79 Prozent) oder wichtig (20 Prozent) für die organisationale Innovationsfähigkeit und Krisenresilienz ist, dass es Führungskräfte gibt, die bereit sind, Verantwortung zu tragen und ihren Mitarbeitenden den Rücken stärken. Dabei waren über 60 Prozent der Überzeugung, dass in der eigenen Organisation die Kultur des Vertrauens gestärkt werden muss, und etwas mehr als die Hälfte der Befragten sah eine Stärkung der Entscheidungskompetenz von Führungskräfte als zentral für eine künftige Krise.
Zusammenarbeit mit Kommunen, Land und Bund stärken
Als wichtiges, "effektives und agiles Entscheidungs- und Kommunikationsinstrument" der Führung zur Bewältigung der Krise hat sich die Bildung von Krisenstäben etabliert. 69 Prozent der Befragten gaben an, in ihren Organisationen mit einem internen Krisenstab gearbeitet zu haben – in der stationären Altenhilfe waren es sogar 87 Prozent. Eine heterogene Besetzung ermögliche – so eine der immer wieder formulierten Lernerfahrungen - bessere Entscheidungen und bessere Akzeptanz bei den Mitarbeitenden. Die Beteiligung von Betroffenen kann dabei auch ethisch geboten sein, wenn es um tiefgreifende Eingriffe in die Grundrechte der Person geht. Neben der Entscheidungsfindung wurde auch die Kommunikation aus dem Krisenstab heraus, die klar, transparent, verbindlich, wiederholt und zeitnah erfolgen soll, wiederholt als bedeutsam zur Bewältigung der Krise formuliert.
Was für die Einrichtungsebene gilt, ist auch auf kommunaler und überregionaler Ebene angebracht, und doch waren nur zwölf Prozent der antwortenden Organisationen Teil eines solchen regionalen Krisenstabs. Zwar wurde die Qualität der Zusammenarbeit mit Kommunen, Stadt- und Landkreisen (81 Prozent) sowie mit den Gesundheitsämtern (77 Prozent) überwiegend als gut oder sehr gut beurteilt, immer wieder jedoch wird in den Antworten auch Unzufriedenheit deutlich. Besonders im Hinblick auf Landes- und Bundesebene wird kritisiert, dass einzelne Bereiche wie etwa die Eingliederungshilfe oder die Kinder- und Jugendhilfe nicht ausreichend im Blick waren oder dass Regelungen nicht auf die Gegebenheiten der Einrichtungen und Dienste passten, zum Beispiel wenn neue Regelungen freitagmittags verkündet wurden und montags umgesetzt werden mussten, was zu zusätzlichen Belastungen von Mitarbeitenden und Führungskräften führte.
(Abbildung 1 Diese bürokratischen Hürden wurden in der Corona-Zeit besonders belastend empfunden.Deutscher Caritasverband
Erschöpfung bleibt
Und dennoch: Das Soziale, die soziale Infrastruktur hat sich in der Corona-Krise als weitgehend resilient erwiesen - richtig erholen konnte sie sich seitdem aber nicht. Das wird deutlich, wenn 82 Prozent der befragten Führungskräfte angeben, dass sie bei den Mitarbeitenden eine weiterhin bestehende Erschöpfung wahrnehmen (in der Altenhilfe sind es 87 Prozent). Oder wenn – wie eine Person es beschreibt – "manche Behörden seit März 2020 die Türen nicht wieder aufgemacht haben und die freie Wohlfahrtspflege mit ihren Angeboten das auffängt – aber auf Kosten der eigenen Mitarbeiter:innen". Es wird nicht zuletzt - so nehmen es einige wahr – an der Spaltung der Gesellschaft deutlich, die sich unter Klient:innen und Mitarbeitenden widerspiegelt.
Sechs wichtige Learnings
Im Hinblick auf neue, möglicherweise anders gelagerte Krisen zeigen die Erfahrungen der Pandemie, worauf es ankommt:
1. Auf resiliente Mitarbeiter:innen und Führungskräfte, die Verantwortung übernehmen und eine Kultur des Vertrauens schaffen.
2. Auf starke Netze in Kommune und im Verband. So geben 93 Prozent der Befragten an, dass die Qualität der Zusammenarbeit mit anderen Caritasgliederungen und dem DCV gut oder sehr gut war, bei den Kommunen sind es 81 Prozent. Die Zusammenarbeit mit Blaulichtorganisationen wird sich in Zukunft noch weiter verstärken müssen.
3. Auf Digitalisierung. Der unverzügliche Ausbau digitaler Ausstattung und Formate gehörte für fast die Hälfte der Befragten zu den drei wichtigsten Maßnahmen, um mit der Pandemie umzugehen - 92 Prozent halten digitale Kommunikationstools und -plattformen im Hinblick auf den Umgang mit künftigen Krisen für (sehr) wichtig.
4. Auf das Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamt. 51 Prozent der Befragten sagen, dass freiwilliges Engagement zur Bewältigung der Pandemie (sehr) wichtig war. Freiwillige konnten dabei besonders durch Familienangehörige, Kirchengemeinden und Freiwilligenbörsen gewonnen werden.
5. Auf den Abbau von Bürokratie. 77 Prozent haben die Einhaltung von Dokumentations- und Nachweispflichten und 54 Prozent die Kommunikation mit Ämtern als besonders belastende bürokratische Hürden empfunden. 77 Prozent sprechen sich daher für eine gründliche Reform der öffentlichen Verwaltung aus, um die staatlichen Stellen so aufzustellen, dass sie in Krisen effektiver handlungsfähig sind.
6. Auf ethische Kompetenz. In der Coronapandemie kam es nicht zu der vielfach befürchteten Überlastung der intensivmedizinischen Versorgungskapazität. Das kann erklären, warum intensivere ethischen Reflexionsbedürfnisse (Triage …) die befragten Organisationen überwiegend kaum mehr (32 Prozent) oder gar nicht mehr (45 Prozent) beschäftigen und auch für künftige Krisen die Stärkung der ethischen Reflexionskompetenz als vergleichsweise gering eingeschätzt wird. Für die Stärkung der Resilienz ist der Aufbau einer Ethik-Kultur elementar, die alltagsethisches Handeln auch in der Krise ermöglicht.3
Abbildung 2: Auf die Frage, welche Änderungen in der Organisation vorgenommen werden sollen, um für künftige Krisen gerüstet zu sein, sagen die meisten, dass es eine Kultur des Vertrauens brauche.Deutscher Caritasverband
Die genannten – nicht abschließenden – Faktoren tragen dazu bei, die persönliche Resilienz der Mitarbeitenden sowie die organisationale Resilienz der verbandlichen Caritas weiter zu stärken, um auch in der nächsten Krise für diejenigen da sein zu können, die auf ihre Hilfe und Unterstützung angewiesen sind.
1. Unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc9-25-corona-umfrage
2. Kunaschk, M.; Stephan, G.: Befürchtete Kündigungswelle ist ausgeblieben. Pflegeberufe und Covid-19-Pandemie (IAB-Kurzbericht 2/2024). Unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc9-25-pflegeberufe
3. Lob-Hüdepohl, A.: Umstrittene Priorisierungen und robuste Gesundheitskompetenz. In: Dabrowski, M. et al. (Hrsg.): Globalen Krisen gerecht begegnen. Sozialethik Konkret. Berlin, 2022, S. 38-66. Riedel, A.; Lehmeyer, S.: Erlebnisqualitäten moralischer Belastung professionell Pflegender und die Notwendigkeit des Schutzes der moralischen Integrität - am Beispiel der COVID-19-Pandemie. Online unter Kurzlink:
https://tinyurl.com/nc25-9-springer