Katastrophen, Krisenresilienz und Caritas
Wie überwindet man Krisen? Der Begriff der Krisenresilienz ist mehr denn je in aller Munde. Er bezeichnet die Fähigkeit, den negativen Auswirkungen von Krisen und Katastrophen zu widerstehen und Handlungsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Sie erfordert Vorbereitung auf Krisensituationen, Schadensprävention und Risikominimierung im Vorfeld. Materielle, technische, strukturelle, personelle und politische Aspekte müssen berücksichtigt werden. Die Deutsche Strategie zur Stärkung der Resilienz, entwickelt auf Basis des Sendai-Rahmenwerks1 2015–2030, zeigt, dass Resilienz ein Querschnittsthema für Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wohlfahrtspflege ist und auf allen Ebenen gefördert werden muss.
Neben Naturkatastrophen wie Starkregen und Überschwemmungen stellt auch die Abhängigkeit von komplexer Infrastruktur eine Gefahr dar. Ausfälle von Wasser und Stromversorgung oder Internetzugang können die institutionelle Handlungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Pandemien, wie die Covid-19-Krise, sowie Kriege und Flüchtlingsbewegungen sind ebenfalls relevante Szenarien. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sind die Flutkatastrophen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen (2021) und die Cyberangriffe auf die Diözesan-Caritasverbände (DiCV) München (2022) und Berlin (2024). Diese stellen Caritasorganisationen vor große Herausforderungen. Schnelle und effektive Reaktionen sind nötig, um die Handlungsfähigkeit der Organisationen sowie die Unterstützung der Betroffenen zu gewährleisten. Der "All-Gefahren-Ansatz" ermöglicht eine effiziente Krisenbewältigung durch das Erkennen von Kaskadeneffekten und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Gefahren.
Caritas hat zwar keine primäre Aufgabe in der klassischen Ersthilfe, aber ihre langjährig etablierten Strukturen und Erfahrungen in der Arbeit mit besonders vulnerablen Gruppen macht sie zur wichtigen Partnerin in Krisensituationen. Wohlfahrtsverbände wie die Caritas sind nach dem Einsatz der Blaulichtorganisationen weiterhin aktiv und unterstützen den Wiederaufbau und die nachhaltige Krisenbewältigung. Besonders wichtig sind hier die Kompetenzen in der Sozialraum- und Gemeinwesenarbeit sowie die effiziente Einzelfallhilfe.
Risikoanalysen, Notfallpläne und Handlungsleitfäden
Um auf Krisen vorbereitet zu sein, müssen neben der schnellen Einrichtung von Krisenstäben und effizienter Informationsbeschaffung auch geeignete materielle und personelle Ressourcen identifiziert werden. Auch die Motivation und Koordination von freiwilligen Helfer:innen spielen eine große Rolle, ebenso die Verwaltung von Nothilfen und Spendengeldern. Die unterschiedlichen Gliederungsebenen der Caritas haben je nach Kontext eigene Herausforderungen, die sie gemeinsam mit den anderen bewältigen müssen.
Risikoanalysen und Notfallpläne helfen, auf Krisen vorbereitet zu sein. Sie sollten möglichst umfassend und partizipativ erarbeitet werden, um alle relevanten Akteur:innen und Ressourcen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenspiel sind auch Einrichtungen, Orts- und Kreis-Caritasverbände gefordert, Strategien zu entwickeln. Erfahrungen aus den Krisenleitlinien des DiCV Regensburg oder dem Cyberangriff auf den DiCV München bieten wertvolle Orientierung für andere Caritasorganisationen.
Krisenstäbe müssen rechtzeitig geplant und klare Zuständigkeiten definiert werden. Ein Krisenorganigramm hilft, im Notfall schnell die richtigen Personen zu benennen und Arbeitsprozesse anzupassen.
Die Kommunikation mit Behörden und anderen Organisationen ist während einer Krise entscheidend. Kontaktpflege mit wichtigen Partnern im Vorfeld, Kontakte und Netzwerkpflege erleichtern die koordinierte Hilfe. Besonders die Caritas sollte ihre Sozialraumkompetenzen nutzen, um lokale Resilienz-Communitys aufzubauen und ihre Rolle in der Resilienzstrategie auf verschiedenen Ebenen aktiv zu gestalten.
Die Caritas muss ihre Rolle gegenüber staatlichen Stellen und anderen Organisationen klar definieren. Dazu gehört auch, inwiefern staatliche Vorgaben, wie Kontaktverbote in Pflegeeinrichtungen, kritisch hinterfragt und in der Praxis angepasst werden müssen. Der Austausch über Erfahrungen, wie in der Covid-Pandemie, ist wichtig, um in zukünftigen Krisen besser agieren zu können.
Die Caritas krisenresilient machen
Die DiCV und die Zentrale des DCV sind gefragt, die verschiedenen Erfahrungen aus Krisensituationen zu bündeln. Digitale Kommunikationstools und das pilothaft aufgelegte Kompetenzstärkungsprogramm helfen dabei, den Austausch zwischen den verschiedenen Caritasgliederungen zu intensivieren und eine effektive Krisenbewältigung zu ermöglichen.
Allen Beteiligten muss klar sein: Der Weg zu einer krisen- und katastrophenresilienten Caritas fordert ihre etablierten Strukturen, Vorgehensweisen und Entscheidungswege heraus. Regionale Pilotprojekte können gute Beispiele liefern, um den Beitrag der Caritas zu einer resilienten Gesellschaft zu erhöhen. Dabei braucht es neben der Unterstützung von klassischen Akteur:innen des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes auch die Anerkennung durch die Politik, dass eine umfassendere Resilienz nur mit der Caritas als größtem Wohlfahrtsverband Deutschlands erreicht werden kann. Für dieses Ziel sind die innerverbandliche Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung dafür unerlässlich, dass Krisen- und Katastrophenresilienz keine Last oder Zusatzaufgabe sind, sondern zum ureigenen Interesse einer jeden zivilgesellschaftlichen Organisation gehören sollten. Nur wenn sich die Caritas selbst um ein effektives Krisenmanagement bemüht, wird es ihr gelingen, ihre Einrichtungen und Dienste und die vulnerabelsten Menschen der Gesellschaft effektiv zu schützen und deren Interessen nachhaltig zu vertreten.
1. Das Rahmenwerk ist zu finden unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc-9-25-sendai