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Gefährliche Bequemlichkeit

„Wir haben nichts zu verbergen“, „Alle findet man doch nur auf Whatsapp“: Was schon im Privaten zur riskanten Ansicht geworden ist, kann in der Caritasarbeit nicht mehr verantwortet werden.1 (Teil 1)

Rund hundert Tage nach seiner Amtseinführung gibt es keine Illusionen mehr: Donald Trump macht Ernst. Täglich lesen wir von bislang nicht gekannten Eingriffen der neuen US-Regierung in staatliche Strukturen: Ganze Regierungsabteilungen werden ge­schlossen oder bis an die Arbeitsunfähigkeit reduziert, ohne Vorwarnung werden selbst langjährig bewährte Mitarbeiter:innen in großer Zahl entlassen. Es gelten kaum noch die gewohnten Regeln, insbesondere, was den Schutz von Minderheiten und vulnerablen Gruppen angeht.2 Bekannt gewordene Listen zeigen, wer alles zu den "markierten" Gruppen gehört: Neben Trans- und Homosexuellen auch Frauen, Klimaaktivist:innen, People of Color, Mitbürger:innen in gesundheitlichen Notlagen und viele mehr. Trans­sexuelle Menschen gibt es per Erlass nicht mehr, wo sie offen in staatlichen Organisationen tätig sind, werden sie entlassen.

Forschung und Hilfe zu gesundheitsbezogenen Themen, die dem Präsidenten nicht gefallen, werden eingestellt. Das Bildungssystem soll so vollständig wie möglich privatisiert werden, überhaupt wird die Wissenschaft offen als "Feind" bezeichnet.3 Bereits seit einiger Zeit werden europäische Hochschulen, Firmen und andere Organisationen mit Verbindungen in die USA aufgefordert, ihre Diversitäts- und andere Programme aufzugeben, weil sie sonst ihre Arbeit mit den USA einstellen müssten.

Soziale Medien und Messenger wie das weit verbreitete Whatsapp werden eng in die Agenda eingebunden. Man muss kaum an die Kurznachrichtenplattform X erinnern, die sich seit der Übernahme durch Elon Musk zu einer von rechtsextremen, hasserfüllten Inhalten gefüllten Plattform mit viel Desinformation gewandelt hat. Meta, die Mutterfirma von Whatsapp, Instagram und Facebook, hat sich eindeutig hinter die Re­gie­rungslinie gestellt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Hinzu kommt, dass Anbieter solcher Dienste in den USA verpflichtet werden können, Nutzerdaten an die Behörden weiterzugeben. Das geschieht schon immer, Beispiele sind genügend bekannt. Die aktuelle Bereitschaft der US-basierten Anbieter, mit den Behörden unkritisch unter den neuen Bedingungen zusammenzuarbeiten, zeigt, wie schnell die Lage vulnerabler Gruppen kritisch werden kann.

Für die Caritas als eine Organisation, die Angebote für eine Vielzahl gefährdeter Gruppen macht, bedeutet dies, die Nutzung von Diensten, die US-amerikanischem Recht un­terliegen, möglichst weitgehend einzustellen. Es ist nicht absehbar, welche für sie und ihre Klientel schädlichen Maßnahmen in naher oder fernerer Zukunft erwachsen. Daten können jederzeit auf US-amerikanischen Servern gelöscht oder manipuliert werden, wenn ein Algorithmus sie entsprechend markiert. Ebenso sind offensive Maßnahmen wie die Sperrung von Handys oder Diensten denkbar, was für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen tödlich enden kann. Alle Internetdienste, die auf Servern in den USA laufen oder US-amerikanische Software verwenden, unterliegen dieser Bedrohung. Leider sind die meisten großen Organisationen und die öffentliche Verwaltung in Deutschland stark von diesen abhängig. Dabei gäbe es sehr gute Alternativen. Dieser Beitrag kann nicht auf alles eingehen, deshalb beschränkt er sich auf die Kommunikation, speziell auf Messenger-Dienste.

Besondere Bedürfnisse vulnerabler Gruppen

Über die Stigmatisierung von Menschen oder Gruppen mit sogenannten Abweichungen, mit Behinderung, mit psychischer und chronischer Krankheit ist reichlich geschrieben worden. Die Herausforderungen, vor denen diese Menschen täglich stehen, hängen oft mit Besonderheiten im Austausch mit anderen zusammen. Blinde Personen können keine Bildschirme sehen, hörgeminderte nicht per Sprache telefonieren, von schwerer und chronischer Krankheit betroffene und ältere Menschen benötigen manchmal schnelle Ver­sorgung, die sie aber nicht ohne weiteres herbeirufen können. Schwule und lesbische, transsexuelle und nicht-binäre Menschen werden bedroht und angegriffen - sie brauchen Schutz und auch Hilfe für ihr Coping im täglichen Leben. Personen mit einer psychischen Erkrankung sind unter Umständen auf engmaschige Kommunikation zum Überleben angewiesen. Moderne Kommunikationstechnik spielt dabei eine zentrale Rolle.

Es sind gerade US-amerikanische Anbieter, die (scheinbar) kostenlose, bequeme und leicht verfügbare Angebote machen. Doch unter den neuen politischen Bedingungen sind diese noch weniger zu empfehlen als zuvor. Insbesondere Whatsapp hat mit seiner Verbreitung und seinem meist reibungslosen Funktionieren und der Vielfalt seiner Funktionen viele Freunde, Milliarden weltweit nutzen den Dienst. "Alle sind doch bei Whatsapp" hört man, wenn man kritisch nachfragt, oder "Ich habe Whatsapp, mehr brauche ich nicht". Whatsapp soll daher exemplarisch für viele andere Dienste stehen. Selten wird darüber reflektiert, welche verdeckten Folgen ihre Nutzung haben kann: Mit der Zuverlässigkeit und der Vertraulichkeit ist es nicht weit her.

Gefahren der Proprietären

Sogenannte "proprietäre" Dienste (engl. proprietary: firmeneigen) gehören jeweils einer Firma und unter­liegen deren vollständiger Kontrolle. Sie erstreckt sich auf alle relevanten Bereiche – von der Softwarekonstruk­tion bis zur Kontrolle und Manipulation der Inhalte und darüber hinaus: Wenigen Anwender:innen ist der Begriff "Metadaten" vertraut, doch gerade hier liegen die wichtigsten Gefahren. Aber der Reihe nach.

Die volle Kontrolle eines zentralen Eigners erlaubt ihm, den Dienst nach Gutdünken abzuschalten oder Nutzer:innen gezielt auszusperren. So hat Elon Musk in einem frühen Stadium des russischen Angriffskriegs sein Satelliten-Internet Starlink für die Ukraine während eines Angriffs auf russische Truppen abgeschaltet. Kürzlich drohte er während der begonnenen Waffenstillstandsverhandlungen wieder mit Abschaltung.

Nutzer:innen sind also vom "allmächtigen" Eigentümer abhängig. Was die Inhalte, privat-vertraulich und häufig sensibel, angeht, haben Anbieter wie Whatsapp heute eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung - der die Nutzer jedoch blind vertrauen müssen. Dass das riskant ist, hat sich verschiedentlich gezeigt: Die Chat­inhalte einer 17-jährigen Amerikanerin, die nach einer Abtreibungsklinik suchte, wurden von Meta den Behörden zur Verfügung gestellt, was zu ihrer Verurteilung führte. Wenigstens Whatsapp selbst kann also die angeblich vertraulichen Inhalte entschlüsseln.

Damit nicht genug: Dienste wie Meta sammeln alle Informationen ihrer Nutzer:innen, derer sie habhaft werden können, um sie zu Nutzerprofilen zusammenzuführen und letztlich zu Geld zu machen. Dabei sind es gerade nicht die Inhalte, das "Ich komme später, Schatz", was sie interessiert, sondern die oben genannten Metadaten – "Daten über Daten". Whatsapp und andere greifen auf alle Messwerte zu, die auf dem Telefon oder Laptop anfallen, und geben sie weiter: Wie ­lange dauern Telefonate mit wem, wo befinden sich Sender und Empfänger, wie lang sind die Posts, welche weiteren Apps sind auf den Telefonen - und vieles mehr. Nichtfachleute können sich die schiere Datenmenge kaum vorstellen, die so zusammenkommt und in ihrer Gesamtheit tiefe Einblicke in den Nutzeralltag ermöglicht. Sie wird mit Daten aus anderen Quellen zusammengeführt, wie etwa dem Surfverlauf vom Browser,4 den bei Instagram eingestellten Bildern, deren geografischer, inhaltlicher, psychologischer Auswertung und den Kommentaren dazu und vielem mehr. Den dahinterstehenden Algorithmen ist es leicht möglich, Rückschlüsse auf Nutzer:innen zu ziehen: Welche Partei wählen sie? Was sind ihre ­sexuellen Präferenzen? Über welches Einkommen verfügen sie? Welche Medikamente nehmen sie? Wie krank sind sie? Wie ist ihr psychischer Zustand? Befinden sie sich in sonstigen Notlagen? Solche Auswertungen wurden ursprünglich für Werbezwecke durchgeführt, um sich möglichst ­zielgerichtet an Kunden zu wenden, sie können aber auch für beliebige andere Zwecke genutzt werden. Was, wenn die amerikanische Regierung die deutsche Industrie anweist, bestimmte Mitarbeitende zu entlassen, und eine namentliche Liste inklusive Arbeitgeber mitliefert - unter Androhung des Exportboykotts? Wenn die Caritas in den USA darunter leidet, dass sie in Deutschland Angebote für bestimmte Gruppen macht? Oder wenn Trump beschließt, Embargos gegen europäische Staaten zu verhängen? Meta und andere müssten kurzfristig ihre Dienste abschalten, wären von einem Moment auf den anderen nicht mehr verfügbar, Kommunikation und Vernetzung verschwunden. Solche Szenarien sind denkbar geworden und technisch leicht umzusetzen.


1. In einem der nächsten Hefte zeigt der Autor Wege des Wechsels zu EU-basierten Messenger-Diensten auf.
2. Belege zum vorliegenden Text werden aus Platz- und Lesbarkeitsgründen nicht gegeben, können aber beim Verfasser unter der XMPP-Adresse liberloebi@anoxinon.me, der Matrix-
Adresse @liberloebi:matrix.org oder über Signal unter dem ­Nutzernamen liberloebi.54 angefragt werden.
3. Eine Übersicht per Kurzlink: tinyurl.com/nc2025-9-pl; zu Angriffen auf die Wissenschaft: tinyurl.com/nc2025-9-pl1
4. Auf vielen Websites befinden sich Tracker - kleine Programme, die die Aktivität nachverfolgen und an Meta und andere melden.

Autor/in:

  • Prof. Dr. Peter Löbbecke
Zuletzt geändert am:
  • 15.05.2025
neue caritas Ausgabe 09 neue caritas
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