„Frieden beginnt bei mir“
Sie waren 45 Jahre Soldat, bis 2023 Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe. Sie sind Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und im Synodalen Ausschuss. Gesellschaft und Bundeswehr stehen vor großen Veränderungen. Wie erleben Sie die derzeitige Weltlage? Was lehrt uns die Zeit, in der wir leben, über Krieg und Frieden?
Mein dienstliches Leben hat in Phasen stattgefunden: Erwähnenswert seit 1978 bis heute sind der Kalte Krieg und die Nachrüstungsdebatte, nach der Vereinigung Deutschlands die Reduzierung der Bundeswehr in allen Dimensionen, dann die weltweiten Einsätze - auch aufgrund der terroristischen Anschläge von 9/11 - und in den letzten Jahren der Ukrainekrieg und der Konflikt im Nahen Osten. Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung sind wir in der Normalität zurück. Die Zeit in den Jahren nach 1990 war eine Ausnahmezeit; Konflikte in der Welt werden uns jetzt wieder prägen. Sie waren auch nie wirklich verschwunden, auch wenn wir es oft so gesehen haben.
Interessanterweise gibt es eine gewisse Parallelität zur Befassung mit Friedensethik: Bis 2022 haben wir uns im ZdK und in der Bischofskonferenz kaum darum gekümmert, es schien nicht wichtig und schon mal gar nicht dringlich zu sein. Nach dem freundlichen Desinteresse folgten die Aufgeregtheiten des 24. Februars 2022. Und heute haben wir die Position der Bischöfe "Friede diesem Haus" vorliegen und systematische Studientage zu Krieg und Frieden.
Das ist nur mein Blick auf das ZdK. Es ist aber insgesamt ein Abbild dessen, was die Zeit uns in zwei Elementen lehrt: Erstens lernen wir zumeist aus Katastrophen, was man zu deren Verhinderung hätte tun sollen; und zweitens lassen sich Frieden und Gerechtigkeit in einer stets kriegerischen Welt nur durch eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit erreichen.
Kriegs- oder friedenstüchtig werden? Welche Formulierung ziehen Sie vor? Ist das eine nicht ohne das andere zu haben?
Ich bin durchaus offen für solche Begriffsdiskussionen, schließlich ist das unstrittige gemeinsame Ziel der Frieden, verbunden mit Freiheit und Gerechtigkeit. Sie können dann auch gleich als drittes das Wort "verteidigungstüchtig" hinzunehmen, wie es der Theologe Matthias Gillner tut. Alle diese Begriffe sind in sich schlüssig und deuten auf eine jeweils wichtige Perspektive hin.
Das Neue daran ist, dass sie nicht gegeneinander, sondern parallel zueinander oder miteinander stehen. Umfassende Sicherheit, "Comprehensive Security", lässt von den Maßnahmen des Friedenserhalts über den Aufbau militärischer Fähigkeiten, einer Kriegsführung an sich bis hin zu den Bemühungen um einen Frieden alles systematisch und sinnvoll zusammenstehen. Umfassende Sicherheit benötigt all diese Tüchtigkeiten, und daher dürfen sie auch nebeneinanderstehen. Und seien wir doch ehrlich: Wenn Militär nicht kriegstüchtig wäre, könnte es weder abschrecken noch den Verteidigungsauftrag erfüllen.
Waren die Abrüstung der Bundeswehr sowie die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ein Fehler?
Rückblickend kann man immer sehr schlau sein. Als Francis Fukuyama 1989 vom "Ende der Geschichte" schrieb, wollten wir doch alle gerne an eine fortan rein friedliche Welt glauben. Und tatsächlich war die Aufstellung unserer militärischen Verteidigung in ihrer damaligen Art nicht mehr sinnvoll: Aufklärungstürme an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, der doppelte Flugabwehrraketengürtel in der alten Bundesrepublik Deutschland und alle festen vorbereiteten Stellungen der Landesverteidigung waren mit der Wiedervereinigung überflüssig und überholt. Eine Umstrukturierung der Streitkräfte war also unabdingbar notwendig und eine gezielte Abrüstung möglich.
Aber es war kurzsichtig, durch massive Einsparungen quantitativ über das Ziel der Veränderung hinauszuschießen und die als weiterhin wichtig erachteten Fähigkeiten der Bundeswehr weder mit den notwendigen Ersatzteilen und der Munition voll auszustatten noch ausreichend Personal auszubilden oder die neuen weltweit friedenssichernden Aufgaben und Einsätze so zu planen, dass in Deutschland oft nur noch eine rudimentäre Truppe in ihren Kasernen zurückblieb. Das holen wir jetzt erst wieder auf, mit 100 Milliarden Euro. Aber langfristig werden dafür mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und weitere Mittel zur Deckung der Folgekosten nötig sein, die wir noch gar nicht vollständig abschätzen können.
Wer sich nicht kontinuierlich entwickelt, muss es in Stufen tun. Diese Stufen sind gerade unglaublich hoch, was politisch und haushalterisch immer überaus herausfordernd ist. Kurz: Ja, es war ein Fehler, so vorzugehen. Das hat uns seit langem kritische Anfragen unserer Bündnispartner eingebracht und kostet uns jetzt gerade ganz viel Anstrengung und Geld.
Die Aussetzung der Wehrpflicht - sie ist ja nicht abgeschafft worden - hat ein ähnliches Schicksal erfahren: Kasernen wurden abgegeben, Kreiswehrersatzämter geschlossen, große Teile der Ausbildungsorganisation reduziert. Dadurch fehlen jetzt grundlegende Dinge für eine Wiederbelebung der Wehrpflicht in alter Form. Wir müssen also bei einer sogenannten Allgemeinen Dienstpflicht neue Wege gehen und Bereiche definieren, wo die Bundeswehr Unterstützung braucht, und wo Wehrpflichtige sinnvoll eingesetzt werden können. Ich finde aber, es ist Zeit, das zu erarbeiten.
Als Generalleutnant hatten Sie viel mit Krisenmanagement zu tun, im Großen bei kriegerischen Auseinandersetzungen, aber sicher auch in Ihren Arbeitsteams. Welche Strategien waren für Sie am hilfreichsten, um Krisen zu bewältigen?
Da fragen Sie mich nun nach meinen ganz persönlichen Erfahrungen aus all den 45 Dienstjahren. Und ich habe tatsächlich etwas nachzudenken … Ich glaube aber, dass ein gutes Krisenmanagement fünf Voraussetzungen hat:
Erstens: Klar erarbeitete Positionen helfen, insbesondere wenn die Lage komplex ist. Zweitens: Eine gute Vorbereitung und die Klärung von Sachverhalten helfen ungemein; von nichts kommt nichts, könnte man einfach sagen. Drittens: Bei allen roten Linien sollte man immer wissen, wie weit man kompromissfähig sein kann. Manchmal ist es nötig, auch etwas zu geben, um im Gegenzug etwas zu bekommen. Da spielt die Tugend der Klugheit eine große Rolle. Viertens: Wichtig ist es, stets ein vertrauenswürdiger, zuverlässiger Partner zu sein. Fünftens: Und letztlich ist für jede Krisenbewältigung im Großen wie im Kleinen wichtig, Verbündete und Partner zu haben. Partner gewinnt man auch nicht von heute auf morgen. Man muss dazu im Vorfeld investieren.
Wenn ich aus diesen ganz allgemeinen Erkenntnissen auf das Management schon vorhandener Krisen schaue, dann ist es immer wichtig, Ziele zu definieren: Was soll erreicht werden? Es muss ein klares Kommunikationskonzept her, man sollte "sturmfest" bei seinen zentralen Positionen sein, aber bei weniger wichtigen Fragen flexibel. Und letztlich gilt es in jeder Krise, in jedem Krieg, bei jedem Konflikt, den Weg für ein "Danach" zu erarbeiten. Das muss nicht immer in der Öffentlichkeit erfolgen, es wäre sogar oft unklug, die "Wege danach" offenzulegen. Aber man sollte welche haben. Im Kosovo-Konflikt ist das sehr erfolgreich gewesen, um nur ein Beispiel zu nennen.
"Frieden beginnt bei mir", so lautet das Motto der Jahreskampagne des Deutschen Caritasverbandes. Was kann Ihrer Meinung nach jede:r Einzelne für den Frieden tun?
Eine spannende Frage. Sie haben sich da ein tolles Motto für das Jahr gewählt. Leider meinen viele Menschen, sie könnten nichts für die große Aufgabe des Friedens tun, während andere sich maßlos dabei überschätzen. Lassen Sie mich die Mitte zwischen diesen Positionen daher mal erwähnen.
Viele Dinge sind überaus wichtig, wertvoll, hilfreich und gut, die zugleich "recht einfach" sind. Dazu gehören Dialogfähigkeit, Bereitschaft zum Engagement, ein langer Atem und die Fähigkeit, das eigene Ego zugunsten gemeinschaftlicher Anliegen zurückzustellen. Der Friede braucht uns und ist harte Arbeit - seien wir also für uns selbst und unser Umfeld gegen die vielen vordergründigen und kurzfristigen Trends resilient. Frieden braucht strategiefähige Menschen. Und letztlich sollten wir unseren Individualismus nicht für das höchste Gut nehmen. Ich halte bei der ganz persönlichen Friedensarbeit übrigens den letzten Punkt für den wichtigsten. Statt dauernd sich selbst zu optimieren und unser Ego zu verwirklichen, sollten wir für den Frieden Gemeinschaften suchen und stärken. Das beginnt bei der Familie, geht über Kirche und Vereine, Kollegialität und Kameradschaft im Beruf bis hin zu den einzelnen Menschen, zu denen wir Kontakt halten und mit denen wir Austausch pflegen. Frieden geht - bei aller Verschiedenartigkeit, Diversity und Selbstverwirklichung - nur im Miteinander.
Einen Punkt habe ich als Christ noch vergessen: Es kann nicht falsch sein, für den Frieden auch zu beten. Ich glaube, dass der Heilige Geist eine Menge bewirken kann. Warum nicht auch da?!