Beratung auf Augenhöhe
Heike Schieweck hält ihre gelbe Papierkarte in die Luft. Die anderen Teilnehmer in dem Schulungsraum zeigen ebenfalls eine Karte, mal gelb, mal grün oder auch rot. Heike und 13 andere Menschen mit Beeinträchtigung nehmen an einer Schulung teil, lernen, wie sie andere beraten können. Heike Schieweck freut sich sehr über die Möglichkeit zur Schulung: "Ich bin ein sehr sozialer Mensch und helfe gerne anderen. Ich lebe sehr selbstständig und kann anderen rund um das Thema eigene Wohnung, Haushalt und Alltag Tipps geben."
"Peer-Beratung im Tandem-Modell" (PiT) heißt das von der Aktion Mensch Stiftung geförderte Gemeinschaftsprojekt der Caritas in den Erzbistümern Paderborn und Köln. "Dabei sollen Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben, befähigt werden andere, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, auf Augenhöhe zu beraten", erklärt Christina Habig vom Caritasverband für das Erzbistum Paderborn, die das Projekt gemeinsam mit Michaela Borgmann leitet. Die ersten Schulungsreihen finden nach einer Konzeptionsphase in den St. Laurentius Werkstätten in Hagen und in den Alexianer Werkstätten in Köln statt. Beteiligt an dem Projekt sind elf Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe der Caritas in den Erzbistümern Paderborn und Köln, u. a. Werkstätten, Wohnheime und Sozialpsychiatrische Zentren.
Am heutigen Schulungstag in Hagen besprechen die Teilnehmer verschiedenen Beispiele und überlegen, wie eine Beratung im Einzelfall aussehen könnte. Mithilfe der bunten Papierkarten machen sie ihren Standpunkt deutlich und erläutern ihn anschließend. Nach insgesamt elf Schulungstagen haben sie den theoretischen Teil abgeschlossen und dürfen in ihren Werkstätten als Peer-Berater tätig sein.
Die eigenen Probleme erkennen, sich eingestehen und sich Hilfe holen: Für viele Menschen eine große Herausforderung. Für Menschen mit Beeinträchtigung eine noch größere. Denn sie fühlen sich oft nicht verstanden oder trauen sich nicht, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Und genau hier sollen die Peer-Berater helfen. "Wir hoffen, dass es Ratsuchenden so leichter fällt, Beratung anzunehmen", sagt Manfred Empting, Projekt-Koordinator in Hagen. Die Peer-Berater sollen den Beschäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen, aber auch Schülern zur Seite stehen. "Viele Schüler machen bei uns in den Werkstätten Praktika und wissen anschließend nicht so richtig weiter. Auch hier können sie sich nochmal mit einem Peer-Berater zusammensetzen und sich austauschen", erklärt Empting. Das Besondere bei dem Projekt ist, dass es im Tandem-Modell stattfindet. "Jedem Berater ist ein Tandem-Partner zugeordnet, der ihm in bestimmten Situationen zur Seite stehen kann."
Auch die 52-jährige Sabine Stolle möchte Peer-Beraterin werden. Sie erinnert sich noch gut, als sie vor 26 Jahren in der Werkstatt angefangen hat: "Da hatte ich viele Fragen und hätte mich gefreut, wenn ich jemanden um Rat hätte bitten können." Sie freut sich darauf, anderen Menschen mit ihrem Rat weiterhelfen zu können. Christina Habig und Michaela Borgmann, erarbeiteten über mehrere Monate das Schulungskonzept und setzen es nun um. Im Dezember wurden die ersten Test-Schulungen in Hagen und Köln erfolgreich abgeschlossen. Weitere Schulungen finden nun in Olsberg-Bigge, Brilon, Warburg, Arnsberg, Olpe, Leverkusen, Bonn, Meckenheim und Euskirchen statt. Bis zum Ende des Projektes im Juni 2023 sollen insgesamt 120 Peer-Berater ausgebildet werden.