Corona – gegen Einsamkeit psychisch erkrankter Menschen
"Ohne die Helfenden Hände wären wir untergegangen", bringt es Laura Attemeier auf den Punkt. Die Sozialarbeiterin der Caritas betreut eine Außenwohngruppe des St. Anna-Hauses. 25 psychisch erkrankte Menschen wohnen hier in Gruppen zusammen und versuchen sich auf ein selbstständiges Leben mit einer täglichen Arbeit und einer eigenen Wohnung vorzubereiten. Jeder Bewohner, jede Bewohnerin hat sein/ihr individuelles Ziel. Gesundheitliche Stabilität ist das, was die Menschen wieder erlernen müssen. Keine leichte Aufgabe.
Corona zerstörte die wichtige Tagesstruktur
"Gerade beim ersten Lockdown standen wir vor besonderen Herausforderungen und wussten zu Anfang nicht recht, wie wir das hinbekommen", erinnert sich Laura Attemeier. Die Bewohner der Gruppe in der Bruchsaler Straße sind auf eine regelmäßige Tagesstruktur angewiesen, doch damals geriet die komplette Routine durcheinander. "Das war einfach heftig, die psychische Belastung durch die Gefahr einer Ansteckung war groß." Die Ausgangsbeschränkungen ließen den normalen Alltag nicht mehr zu.
"Wir haben dann versucht, alles für die Bewohner zu erledigen, und haben vier Einkaufswagen auf einmal durch den Supermarkt geschoben", sagt sie. Kein einfaches Unterfangen, und da einige Kolleginnen krank wurden und in Quarantäne waren, lasteten ohnehin alle Aufgaben auf den Schultern der zwei Mitarbeiterinnen.
Die "Helfenden Hände" von youngcaritas kamen genau zum richtigen Zeitpunkt. "Es war ein Traum – und eine Riesenerleichterung, dass acht junge Leute uns unterstützten und die Einkäufe und andere Besorgungen für uns erledigten", freut sich Laura Attemeier noch heute über die willkommene Hilfe. Außerdem organisierten die jungen Leute ein Open-Air-Konzert im Garten, das den Bewohnerinnen und Bewohnern wahre Glücksmomente bot. "Kreativität war in dieser Zeit besonders gefragt, deshalb waren wir für jede Unterstützung sehr dankbar", so die Sozialarbeiterin, die hofft, dass sie die Hilfen auch künftig wieder in Anspruch nehmen können.
Eine ehrenamtliche Dame kommt seither regelmäßig. Sie backt, spielt und erledigt Telefonate. In Zeiten der Pandemie finden die Kontakte allerdings nur über das Fenster statt.
Und die Werkstatt blieb zu
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Außenwohngruppe kommen häufig aus der Klinik oder der stationären Behandlung im Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI). Sie leiden unter paranoider Schizophrenie, multipler Persönlichkeit, hören Stimmen, leiden unter Zwängen. Das Haus in der Bruchsaler Straße ist eine Anlaufstelle, hier bekommen sie die Unterstützung, die sie brauchen, um ein selbst bestimmtes Leben zu führen. "Wir unterstützen sie darin, ihr Alltagsleben wieder aufzunehmen, einen Ausbildungsplatz oder einen Job zu finden", berichtet Laura Attemeier. "Durch den Lockdown durfte niemand mehr in die Werkstätten oder in die Beschäftigungstherapie ins St. Anna-Haus. Diese Beschränkungen und Veränderungen griffen massiv in ihr Leben ein. Es musste eine neue Routine geschaffen werden, und die Stunden am Tag mussten neu gefüllt werden", betont sie.
Hilfe durch eine Hunderunde oder ein Hofkonzert
"Die Bereitschaft zu helfen war enorm", erzählt Simon Heinicke von youngcaritas. 190 junge Ehrenamtliche hatten sich gemeldet. "Helfende Hände" ist eine Initiative von youngcaritas, die anlässlich der Corona-Krise gegründet wurde. Hier wurden Menschen vermittelt, die all jenen halfen, die nicht aus dem Haus durften oder konnten. Die jungen Ehrenamtlichen übernahmen Einkäufe, gingen Gassi mit Hunden, zur Post oder erledigten sonstige Besorgungen.
"Wir teilten die Helferinnen und Helfer in Gruppen ein, die jeweils ihren Stadtteilen zugeordnet waren. Die Wege zum Einsatz sollten möglichst kurz sein", so Simon. Es gab keinen direkten Kontakt, sondern die Einkaufszettel wurden über das Fenster ausgegeben und Lebensmittel und Rückgeld über die Pforte wieder abgegeben. "Wir haben sehr darauf geachtet, das Risiko des Kontakts oder gar der Ansteckung zu minimieren", so Simon Heinicke.
Noch sind 58 Ehrenamtliche in der Whatsapp-Gruppe. "Wir werden die Leute jetzt zum zweiten Lockdown wieder anschreiben und motivieren, weiter mitzuhelfen. Das ist natürlich einfacher als beim ersten Mal zur Gründung der Initiative." Das bedeutet aber auch, dass sich neue Leute melden können. Sie haben 20 Ehrenamtliche, die aus der Gruppe dauerhaft aktiv sind. Gemeinsam werden Tagesaktionen in Pflegeheimen, mit wohnungslosen Menschen oder mit Kindern durchgeführt.
"So mussten wir wegen Corona das Programm abspecken, und es war umso mehr Kreativität gefragt. Musikalische Ehrenamtliche haben als Streichquartett oder Klavierspieler mit Gitarristen kleine Hofkonzerte veranstaltet", berichtet Simon Heinicke. "Diese können dann notfalls auch wiederbelebt werden", fährt er fort.
Wo jemand in Not ist, springt man ein
"Man spürt so viel Dankbarkeit und es ist ein sehr gutes Gefühl, helfen zu können", beschreibt Marcel Gutting seine Erfahrung bei "Helfende Hände". Der 28-jährige Lehrer ist einer, der nicht tatenlos zusehen wollte.
"Im ersten Lockdown durften wir Lehrer nicht mehr in die Schulen und haben von zu Hause unterrichtet. So war ich zeitlich flexibel, und ich wollte mich sinnvoll einbringen", erinnert er sich an den ersten Kontakt zur Nachbarschaftshilfe in seiner Pfarrei. Über "Helfende Hände" hatte er die Möglichkeit, genau das umzusetzen, und "das war keine große Sache, ich bin einfach für die Bewohner einkaufen gegangen".
Marcel Gutting ist schon lange in Vereinen und in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv und ehrenamtlich tätig. "So funktioniert Gesellschaft: Wenn jemand in Not ist oder etwas braucht, springt man ein und unterstützt diejenigen", formuliert er seine Idee von selbstverständlicher Verantwortung. In schwierigen Zeiten gilt es zusammenzuhalten, das liegt ihm im Blut.
"Wir haben einfach Freude daran, wenn wir anderen Menschen helfen können", sagt Thomas Gutjahr. "Als wir im ersten Lockdown erfahren haben, dass Helfende Hände noch Unterstützer suchen, habe ich mich mit drei Teamkollegen vom Fußball gemeldet und es war sofort klar: Wir wollen etwas tun", erzählt er von der spontanen Bereitschaft seiner Vereinsfreunde von der TSG Rheinau. "Wir sind mehrere Wochen montags und donnerstags für die Bewohner einkaufen gegangen", erinnert sich der 52-Jährige. Soziale Verantwortung ist für ihn nichts Neues, im Verein sind sie für alles offen. "Wenn es brenzlig wird, packen wir an."
Für Thomas Gutjahr ist es eine Selbstverständlichkeit, auch mal auf Vereinsbeiträge zu verzichten, wenn diese nicht gezahlt werden können, oder Menschen mit Behinderung in den Sportverein zu integrieren. "Es wurde nicht lange gezögert, als die Mitarbeiter in der Bruchsaler Straße in Not waren. Kollegen, die in Kurzarbeit waren, sprangen gerne ein", sagt der engagierte Sportler.
Kontakte und den Garten pflegen
"Die Leute freuen sich immer so, wenn ich komme und mich ein wenig mit ihnen unterhalte", erfuhr Hans-Jürgen Fischer die Bedeutung selbst der kleinsten Abwechslung. Der Rentner pflegt seit über zwölf Jahren den Garten in der Bruchsaler Straße. "Ich begann mich der kleinen Wildnis anzunehmen und das tue ich bis heute." Er mäht den Rasen, schneidet die Hecken, pflegt die Blumen und sorgt dafür, dass das Grundstück auch für die Nachbarn einigermaßen ansehnlich ist. Auch wenn der Garten von den Bewohnerinnen nur sehr unregelmäßig genutzt wird: Für das Auge ist es wichtig, dass er gepflegt aussieht. "Außerdem ist es ja das Schöne: Der Kontakt zu den Menschen dort lässt sich mit der regelmäßigen Gartenarbeit gut verbinden", betont Hans-Jürgen Fischer. Zweimal die Woche kommt er für drei Stunden, und das ist auch eine Form von Routine für die Bewohnerinnen und Bewohner.