Zugang zur Gemeinschaft
Wie jede Woche treffen auch an diesem Mittwoch um Punkt 9 Uhr 15 Damen und Herren im Gemeindezentrum von St. Petrus und Paulus in Neuhausen auf den Fildern ein. Beim „Was geht – Fünf Esslinger und mehr“-Kurs stehen sie im Gemeindesaal im Kreis und machen unter fachkundiger Anleitung von Petra Raditsch ihre Fitness-Übungen, umrahmt von Rhythmik, Spielen und Achtsamkeitsübungen. Jeder so, wie er kann. Dass es sich hier nicht um eine ganz normale Gymnastik-Gruppe handelt, fällt auf den ersten Blick nicht auf. Hier sind Menschen eingeladen, die schon mit manchen Gebrechen kämpfen, aber fit bleiben und sich gegen Stürze oder Krankheiten wappnen wollen. Aber auch solche, die unter Parkinson oder Demenz leiden, sind hier ganz normale Teile des Ganzen.
Maßgeblicher Grund für diese Besonderheit ist das Engagement von Petra Raditsch. Die 55-Jährige hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Mauern wegzureißen. Vor allem solche in den Köpfen. Sie sagt: „Wenn die Menschen heute das Wort ‚Demenz’ hören, kriegen sie einen Schrecken. Wer unter dieser Krankheit leidet, mit dem spricht man nicht mehr, man redet im Beisammensein über ihn. Der ist draußen.“
Petra Raditsch will Mauern einreißen – solche in den Köpfen und in der Realität
Und dagegen tut Petra Raditsch etwas. Im Caritas-Ausschuss der Gemeinde, den sie jahrelang leitete, in ihrem Beruf als Referentin von Demenz-Support Stuttgart, als Vorsitzende des Kuratoriums der Caritas-Stiftung der Kirchengemeinde, als Sterbe- und Trauerbegleiterin – und eben als ehrenamtliche Leiterin der Gymnastikgruppe, unterstützt von Cornelia Hermann und Susanne Weber. Überall wirkt sie darauf hin, dass Menschen mit Beeinträchtigungen mitmachen. „Teilhaben“, wie das auf Neudeutsch heißt. Dass sie dabei sind, dass sie – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – den Ausflug zum Beerenfest im benachbarten Berkheim, die Ausführungen über Wildbienen und Streuobst oder das gemeinsame Grillen auf der Wiese genau so genießen können wie alle anderen.
Über die Demenz aufklären und so gut wie möglich mit ihr umzugehen, ist ein Kernanliegen von Petra Raditsch, die bereits mit 15 die Mutter verlor und sieben Jahre lang eine nahe Angehörige begleitete, die unter Alzheimer litt. Deshalb sorgt sie dafür, dass demenzkranke Menschen daheim besucht und nach Möglichkeit aktiviert werden, während deren Angehörige einmal Zeit für sich haben. Dazu leitete sie die Ausbildung von inzwischen 27 Betreuungshelferinnen in die Wege. Finanziert wurde diese Schulung von der Caritas-Stiftung von St. Petrus und Paulus. Die Helferinnen betreuen und aktivieren die Menschen zuhause, reden mit ihnen, lesen ihnen vor und versuchen, sie in ihren Kompetenzen zu fördern oder sie stabil zu halten. Denn individuelle Fähigkeiten hat schließlich jeder. Empathisch gehen sie auf die Betroffenen ein und steigern so deren Wohlbefinden. Mit viel Fingerspitzengefühl können sie auch deren – zunächst unverständliche – Reaktionen richtig annehmen und sie positiv fördern. Das wiederum zögert die Entwicklung einer fortschreitenden Demenz hinaus.
Demenz lässt sich mit Fingerspitzengefühl herauszögern
Anneliese Ruthhardt ist mit ihren 75 Jahren gern jede Woche dabei. Vor allem jetzt, da sie ein neues Knie bekam, tun ihr die Turnübungen gut. Maria Ruckh (82) kam über eine Bekannte dazu und möchte die Gymnastik nicht mehr missen, denn sie will fit bleiben und ihre sozialen Kontakte pflegen. Agnes Volk ist bereits seit zwei Jahren dabei. Die 78-Jährige, die montags noch im Turnverein aktiv ist, macht die Übungen gern. Alle drei turnen gemeinsam mit dem älteren Herrn, der mit seiner mittleren Demenz in der Gruppe aufgenommen wird wie jeder andere auch.
Genau so, wie sich Petra Raditsch das vorgestellt hat.
Hintergrund:
Die Caritas-Stiftung Neuhausen wurde 2005 mit einem Kapital von 100.000 Euro gegründet. Sie fördert die Caritas-Arbeit in der Katholischen Kirchengemeinde St. Petrus und Paulus in Neuhausen auf den Fildern (bei Stuttgart), besonders die kirchlich-karitativen, pastoralen und kulturellen Aufgaben für Familien, Kinder und Jugendliche, alte und kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen und für so genannte Randgruppen. Sie fördert auch die Ausbildung von Betreuungshelferinnen und unterstützt die Bewegungs-Gymnastik-Gruppe, ein Angebot für alle von 4 bis 100+.
Kontakt:
Petra Raditsch, T: 0711 3911339, p.raditsch@demenz-support.de, www.sport-bewegung-demenz.de
Caritas-Stiftung Neuhausen: stpetrusundpaulus.neuhausen@drs.de, www.lebenswerk-zukunft.de