Menschen auf der Treppe
Seine Klientel sind Menschen, die ihr Leben auf der Straße verbringen. Alkoholiker, Junkies, Obdachlose – sie hören Uwe Browatzki zu. Denn er war selbst einer von ihnen.
Als Quartierslotse des Caritasverbandes Iserlohn hat Uwe Browatzki zwar ein Büro im Iserlohner Haus der Caritas. Zu finden ist er aber meist in der südlichen Innenstadt, bei einer Treppe am Fritz-Kühn-Platz. „Da ist mein Einsatzgebiet.“ An manchen Tagen sind es 60 bis 70 Menschen, die sich an der Treppe treffen.
In sie kann sich Uwe Browatzki gut einfühlen. Er entstammt, wie er selbst sagt, „dem Iserlohner Sozialadel“. „Mein Vater war Trinker, Geld gab es vom Amt.“ Mit 13 landete er in einem Erziehungsheim in Hannover. Bei der Bundeswehr schien er seinen Weg gefunden zu haben, strebte eine Offizierslaufbahn an. „Nur war da immer der Alkohol.“ Irgendwann ging er einfach nicht mehr zum Dienst, wurde von Feldjägern verhaftet, bekam ein Verfahren wegen Fahnenflucht. „Und dann ging es richtig ab. Ich habe gesoffen, Tabletten genommen, habe geklaut, Einbrüche begangen, Urkunden gefälscht, stand vor Gericht.“ 1993 blieb sein Herz stehen. Er wurde in letzter Sekunde reanimiert.
Jeden Tag besucht Caritas-Mitarbeiter Browatzki die Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Iserlohn. Hier trifft er Otto. Otto verdiente mal ganz gut. Bis seine Alkoholsucht sein Leben zerstörte. Er verlor den Führerschein, machte Schulden, landete auf der Straße. Mit Hilfe von Browatzki ist es ihm gelungen, sich seiner Situation bewusst zu werden. „Das ist der Anfang. Es ist noch ein langer Weg, der vor Otto liegt“, weiß Browatzki aus eigener Erfahrung. „Das Problem ist: Du musst dir helfen lassen wollen. Viele Menschen sind arm an Hoffnung, Moral und Perspektiven. Meine Aufgabe ist es, ihnen wieder Hoffnung zu geben.“
1997 kriegte er selbst die Kurve. Am Tag, als sein Verein Borussia Dortmund die Champions League gewann. „Ich habe von dem Sieg nichts mitgekriegt, ich wachte am Morgen darauf in einem fremden Garten auf, vollgepinkelt. Vor mir standen eine Frau und ihre kleine Tochter und hatten Angst vor mir. Das war schlimm. Und mein Weckruf“, erzählt Browatzki, der damals wohnungslos war. Mit Hilfe seiner Schwester und der Schuldnerberatung der Caritas kam er wieder auf die Beine, fand eine Wohnung und einen Job. 2003 gründete er eine Selbsthilfegruppe für Alkoholiker: „Eins, Zwei, Dry.“
Als Uwe Browatzki zur Treppe kommt, wird er freundlich begrüßt. Einer erzählt, dass sie seit einiger Zeit versuchen, die Treppe sauber zu halten. „Es ist ja so was wie unser Wohnzimmer“, sagt er. Den Menschen Aufgaben geben, ihnen das Gefühl vermitteln, dass niemand auf sie herabschaut, das gehört zu Uwe Browatzkis Arbeit wie das Streitschlichten. Denn in der Vergangenheit gab es immer wieder Ärger, viele Iserlohner trauten sich nicht mehr, die Treppe zu benutzen. „Mit Polizei wird das Problem nicht gelöst“, ist Uwe Browatzki überzeugt. Da er sich schon seit Jahren ehrenamtlich engagierte, wurde ihm 2014 eine Stelle als Quartierslotse angeboten. „Caritas ist wichtig, weil die Caritas eben nicht die Stadt ist. Zu den Behörden haben die Menschen oft kein Vertrauen. Zur Caritas schon.“ Menschen, die ihm einst halfen, wieder Fuß zu fassen, sind heute seine Kollegen. Sein Vorteil: Er weiß, wie es sich anfühlt, ganz unten zu sein. Er ist der, dem man vertraut.