Was machen eigentlich… Heilpädagogen?
Noch 15 Fragen bis zum Hauptgewinn. Die erste bringt den mehrfachbehinderten Klienten ins Grübeln: In welche Jahreszeit gehört der Juli? Vier Antworten, vier Tasten. Er steuert mit der gekrümmten Hand Taste A an – die steht für den Herbst. Anders als in der TV-Show "Wer wird Millionär?" ist der 24-Jährige aber noch im Rennen. Als er beim nächsten Mal richtigliegt, entspannt er sich und strahlt. Florian Flügge und Leonie Köpp freuen sich mit. Die beiden Heilpädagogen haben das Spiel für ihn entwickelt. Quizfragen beantworten und sich artikulieren fordert Simon Merdes heraus. Er ist stolz, wenn er den Preis einheimst - keine Million, sondern etwas Süßes. Und er weiß, was nach dem Spiel folgt: Job, Mittagessen, Logopädie. Der Tag ist klar strukturiert.
Struktur – die benötigt man im Josefsheim alleine schon, um sich in der Einrichtung mit 700 Bewohnern überhaupt orientieren zu können. Die Vorhersehbarkeit des Tagesablaufs gibt Stabilität und fördert die Selbstständigkeit.
Dass alle, die es betrifft, die Speisepläne verstehen, die Freizeitangebote erfassen und die Wegweiser durchs Gebäude entschlüsseln, ist Leonie Köpp und Florian Flügge wichtig. Die 26-Jährige wird sich künftig weiter auf unterstützte Kommunikation spezialisieren. Sie setzt Piktogramme und Objekte, Gebärden und moderne Technik ein, um für jeden passende Verständigungsmittel zu finden. Kreativität ist für Heilpädagogen wichtig, neben Basteln und Töpfern das Testen von Tabletcomputern samt Software. Leonie Köpp hat dem Medizinischen Dienst gerade einen Mini-Kommunikator abgehandelt für einen Fußballfan mit Handicap und Mitteilungsbedürfnis.
Genau hinschauen und fördern
Die beiden gleichaltrigen Kollegen bilden zusammen den heilpädagogischen Dienst im Josefsheim im sauerländischen Bigge. Sie bieten den Bewohnern Förderung in Einzel- oder Gruppenstunden, kooperieren mit dem Wohnbereich, Psychologen und den Rehastellen der Einrichtung. Das Zweierteam ist froh, dass sein Berufsverständnis mit der Philosophie des Arbeitgebers übereinstimmt. Jeder Mensch ist Experte für sein eigenes Leben - so steht es im Leitbild des Josefsheims. Es sieht sich als Wegbegleiter für Menschen mit Behinderung, mit denen es gemeinsam Lebensvisionen entwickelt. Dazu erstellten Florian Flügge und Leonie Köpp das heilpädagogische Konzept des Dienstes. Sie legen Wert auf Diagnostik und Förderplanung, für die sie die Geschichte der Person, ihre Träume, Abneigungen und Gaben erkunden.
Florian Flügge hat selbst eine Ataxie, eine Störung der Bewegungskoordination: "Es ist eine Belastung, aber die Arbeit gibt mir viel wieder." Er ist zeitweise auf den Rollstuhl angewiesen und findet so mit seinen Klienten leicht eine gemeinsame Ebene. "Sie fühlen sich in ihren Belangen oft besser verstanden. Es ist ein Unterschied, ob ein Nichtbehinderter oder ein Behinderter einem Menschen mit Behinderung etwas rät."
Wie seine Kollegin sieht auch Florian Flügge, wo Bedarf besteht: "Das Thema Sexualität wurde lange tabuisiert. Es wird Zeit, offen darüber zu sprechen." Denn spätestens in der Pubertät müsse die Aufklärung beginnen – über Nähe und Abgrenzung, Körperpflege, Freundschaften und Liebe. "Der Wunsch und das Bedürfnis nach Sexualität sind einfach da, können aber aufgrund der Behinderung oft nicht ausgelebt werden", sagt er. "Dies muss bedacht sein, um individuell angepasste Maßnahmen anzubieten." Darum bildet er sich in Sexualpädagogik fort - mit dem Rückenwind seiner Vorgesetzten.
Florian Flügge machte erst eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Aber das sechssemestrige Heilpädagogikstudium, das er wie Leonie Köpp absolvierte, biete eine solide theoretische Basis und wertvolle Impulse für den Job, meinen die beiden Heilpädagogen - auch wenn für eine staatliche Anerkennung die Fachschulausbildung genügt. Heilpädagogisch Tätige bekommen laut Gewerkschaft Verdi ein Einstiegsgehalt von 2478 Euro. Überwiegen erzieherische Aufgaben, rund 100 Euro weniger, bei sozialarbeiterischem Schwerpunkt rund 100 Euro mehr. Ein Monatsgehalt von mehr als 3000 Euro erreichen Vollzeit-Heilpädagogen nach acht Jahren.