Alte Bekannte und neue Problemlagen: Energieschulden, Jobcenter, Sprache
Am dritten Donnerstag im September erheben die Caritas-Beratungsstellen der Allgemeinen Sozialberatung (ASB) seit 2017 Daten - wer sind unsere Klientinnen und Klienten und warum kommen sie zu uns? Woraus besteht unsere Unterstützung?
In diesem Jahr fand die Stichtagserhebung am 22. September statt, vor dem Hintergrund heftiger Diskussionen zu Energiepreissteigerungen und ihren Folgen. Aus den Ergebnissen konnte man sich Antworten erhoffen auf die Frage: Was macht die Energiekrise mit den Menschen? Ist sie schon in der Beratung angekommen?
Die kurze Antwort lautet: Ja. Die längere: Die Inflation ist längst nicht das einzige Problem, das Menschen das Leben schwermacht. Unter den Anliegen der Ratsuchenden finden sich viele "alte Bekannte".
Insgesamt wurden, vergleichbar mit den Jahren zuvor, knapp über 2000 Beratungsvorgänge bewertet. Am Profil der Klient:innen hat sich wenig geändert: Es sind weiterhin viel mehr Frauen, die die Beratung aufsuchen, als Männer; etwa die Hälfte (52 Prozent) haben einen Migrationshintergrund; die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen ist am stärksten vertreten; als Einkommen wurde am häufigsten ALG II genannt.
Energieschulden nehmen zu
In diesem Jahr wurden in rund elf Prozent der Beratungen "Energieschulden" thematisiert. Im vorigen Jahr lag der Wert bei knapp acht Prozent, im Jahr 2020 bei 6,6 Prozent, im Jahr davor sogar nur bei 4,8 Prozent. Auch wenn die Nachrichtenlage anderes suggeriert: Energieschulden sind auf keinen Fall der häufigste Beratungsgrund. Sie betreffen relativ gesehen sogar immer noch wenige Klient:innen - kein Vergleich mit den Werten, die andere Probleme wie Wohnen, Krankheit oder der Umgang mit dem Jobcenter erzielen.
Der Anstieg um drei Prozentpunkte bei den"Energieschulden" lässt dennoch aufhorchen. Über 40 Prozent der Ratsuchenden beziehen nämlich Arbeitslosengeld II. Bei ihnen dürfte das Thema gar nicht aufkommen, übernehmen doch die Jobcenter für diese Haushalte die Energiekosten. Das heißt im Umkehrschluss: Unter den weiteren fast 60 Prozent, die von der Thematik betroffen sind, gab es schon eine deutlich höhere Zunahme.
Der Zeitpunkt der Befragung ist auch zu beachten. Post von ihrem Energieversorger dürften viele Haushalte erst im September, also unmittelbar vor dem Erhebungszeitpunkt, oder sogar später bekommen haben. Der Anstieg der Problemanzeige "Energieschulden" ist als Warnsignal zu verstehen für eine Entwicklung, die noch dramatisch an Fahrt aufnehmen wird, da sind sich die Kolleg:innen in der Beratung sicher.
Ganz vorn: der Umgang mit den Behörden
Wie in den Jahren zuvor, sind die häufigsten Themen in der Beratung der Umgang mit den Behörden, insbesondere dem Jobcenter (35 Prozent der Beratungen), Krankheit (36 Prozent), das Thema Wohnen (31 Prozent) sowie Sprachprobleme.
Dass Interaktionen mit den Behörden problembehaftet sind, ist seit vielen Jahren eine Konstante dieser Erhebung. In der Pandemie hat sich dieses Phänomen noch verschärft. Als eine Folge von Corona kann auch die Zunahme beim Beratungsgrund "Krankheit" interpretiert werden (von 29 Prozent auf 36 Prozent), haben doch die Pandemie und ihre Folgen bei vielen Gruppen, angefangen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, erhebliche, unter anderem psychische Schäden angerichtet. Der Wert für "Krankheit" als Beratungsgrund war seit 2017 noch nie so hoch.
Bei den Sprachproblemen wurde in diesem Jahr zum ersten Mal unterschieden zwischen "Sprachproblemen im Alltag" und "Sprachproblemen im Umgang mit Behörden". Ersteres kommt in 22 Prozent der Beratungen vor und hängt meistens mit einer (noch) nicht ausreichenden Kenntnis der deutschen Sprache zusammen - nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass etwa die Hälfte der Ratsuchenden einen Migrationshintergrund hat. Sprachprobleme mit den Behörden kommen weitaus öfter vor: Sie sind in 42 Prozent der Fälle ein Thema. Die unnötig komplexe, stark juristisch geprägte Behördensprache ist für viele Menschen, egal welcher Herkunft und Nationalität, schlichtweg unverständlich. Das ist eine wichtige Baustelle. Der Staat kann die Menschen nicht gut unterstützen - und sie übrigens auch nicht in die Pflicht nehmen -, wenn er eine Sprache spricht (beziehungsweise schreibt), die sie nicht verstehen. Leider spielt dieses Thema politisch und gesellschaftlich bisher so gut wie keine Rolle.
Schlechter ÖPNV, Neun-Euro-Ticket verschmäht
In diesem Jahr wurde auch erhoben, ob die Klient:innen das Neun-Euro-Ticket für ÖPNV und Regionalverkehr, das über den Sommer bundesweit erhältlich war, genutzt haben. Bei rund 55 Prozent war das der Fall. Unter denen, die nicht darauf zurückgegriffen haben, gaben 33 Prozent an, es nicht zu brauchen, und elf Prozent, das ÖPNV-Netz wäre zu schlecht. Erwartungsgemäß erfährt letztere Aussage in eher ländlich geprägten Diözesen die größte Zustimmung - in Trier (über ein Viertel der 119 Menschen, die an dem Tag in die Beratung kamen), in Limburg (10 von 45), in Fulda (7 von 33). Obwohl erwartbar, ist der Befund erschreckend. Der ÖPNV wird vielerorts als so schlecht empfunden, dass es sich nicht mal lohnt, für neun Euro im Monat darauf umzusteigen. Auch wenn sie nicht unbedingt repräsentativ sind: In diesen Zahlen liegt ein wichtiger Auftrag für die Verkehrspolitik.
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