Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege – mögliche Praxisprobleme
Die Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege war eines der umstrittensten Themen des Bundesteilhabegesetzes. Der Gesetzentwurf hatte vorgesehen, dass die Leistungen der Pflegeversicherung im häuslichen Bereich den Leistungen der Eingliederungshilfe vorgehen sollten, es sei denn, der Schwerpunkt der Leistungserbringung läge auf der Eingliederungshilfe. Nach heftigen Protesten der Verbände wurde diese Vorrang-Nachrang-Regelung zugunsten eines Gleichrangs der Leistungen aufgehoben (s. neue caritas Heft 2/2017, S. 23). Ist das Problem der Abgrenzung zwischen den beiden Leistungen damit beseitigt? Diese Frage ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Da beim neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff Einschränkungen in der Alltagskompetenz eine stärkere Rolle spielen, sind Streitigkeiten zwischen Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung programmiert. Einige Beispiele seien genannt: 1. Alltagsbewältigung: Aufgabe der Eingliederungshilfe ist die Assistenz zur eigenständigen Bewältigung des Alltags - Aufgabe der Pflegeversicherung die Unterstützung bei der Alltagsgestaltung; 2. Tagesstrukturierung: Aufgabe der Eingliederungshilfe ist die Assistenz zur eigenständigen Tagesstrukturierung - Aufgabe der Pflegeversicherung die Aufrechterhaltung der Tagesstrukturierung; 3. Soziale Beziehungen: Aufgabe der Eingliederungshilfe ist die Assistenz bei der Gestaltung sozialer Beziehungen - Aufgabe der Pflegeversicherung die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte; 4. Haushaltsführung: Aufgabe der Eingliederungshilfe ist die Befähigung zum Einkaufen, Putzen etc. - Aufgabe der Pflegeversicherung die Unterstützung und Hilfe bei der Führung des Haushalts. Bei genauer Betrachtung dieser Gegenüberstellungen lässt sich sehr wohl eine Abgrenzung treffen: Die Leistungen der Eingliederungshilfe unterscheiden sich in Zielrichtung und Wesen von den Leistungen der Pflegeversicherung. Während es bei den genannten Assistenzleistungen um das Ziel der Entwicklung, Gewinnung und Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen geht, geht es bei den Leistungen der Pflegeversicherung um die Aufrechterhaltung beziehungsweise Wiedergewinnung von verloren gegangenen Fähigkeiten und Selbstständigkeiten. Eine Abgrenzung ist also gegeben, dennoch wird der Eingliederungshilfeträger das Interesse haben, Leistungen zur Teilhabe der Pflegeversicherung zuzuordnen. Die ursprünglich im Gesetz vorgesehene Regelung des Vorrangs der Pflegeversicherung vor der Eingliederungshilfe hätte hierfür eine Steilvorlage geliefert.
Zudem hat der Gesetzgeber in § 13 Abs. 3 bis 4 a SGB XI bestimmt, dass die zuständige Pflegekasse beratend in das Teilhabe- beziehungsweise Gesamtplanverfahren einzubeziehen ist, sofern im Einzelfall Anhaltspunkte für ein Zusammentreffen der Leistungen von Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe bestehen. Sind damit Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe gleichberechtigt auf Augenhöhe? Nein, denn der Gesetzgeber hat dem Eingliederungshilfeträger zugebilligt, dass er im Rahmen einer Vereinbarung mit der Pflegekasse nach § 13 Abs. 4 SGB XI die Leistungen
der Pflegeversicherung auf der Grundlage des Leistungsbescheids der Pflegekasse im Verhältnis zum/zur leistungsberechtigten Betroffenen übernimmt. Die Pflegekasse erstattet dem Eingliederungshilfeträger im Gegenzug die entsprechenden Kosten. Damit hat der Gesetzgeber dem Eingliederungshilfeträger im Teilhabeprozess Steuerungsmacht an die Hand gegeben: Denn der Leistungsbescheid der Pflegekasse trifft im Unterschied zum Leistungsbescheid der Eingliederungshilfe keine Aussagen über die Leistungen der Pflegeversicherung im Einzelnen, sondern nur über Höhe (gemäß Pflegegrad) und Art der Leistung (zum Beispiel Pflegesachleistung, Pflegegeld). Über diesen Hebel kann der Träger der Eingliederungshilfe bei Fragen der Zuordnung bestimmter Leistungen zur Eingliederungshilfe versus Pflegeversicherung steuern. Es muss sich erst noch zeigen, wie die Regelung, die bis zum 1. Juli 2019 evaluiert werden soll, in der Praxis wirkt.
Geld- und Abgrenzungsprobleme bei Wohngruppen
Bei Menschen, die in bislang als "stationäre Wohneinrichtungen" bezeichneten Wohnformen der Eingliederungshilfe leben, ändert sich an der Schnittstelle zur Pflegeversicherung, die in § 43 a SGB XI geregelt ist, in der Sache zunächst nichts. Es bleibt dabei, dass die Pflegeversicherung nur einen Pauschalbetrag von maximal 266 Euro zur Abgeltung der Leistungen nach § 43 Abs. 2 SGB XI übernimmt. Die Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen in diesem Setting auch weiterhin die Pflegeleistung. Die Caritas wird sich in der kommenden Legislaturperiode dafür einsetzen, dass der Zuschuss der Pflegeversicherung deutlich erhöht wird: Denn schon heute haben Menschen mit Behinderung, die gleichzeitig einen hohen Pflegebedarf haben, große Schwierigkeiten bei der Suche nach stationären Wohneinrichtungen, die für diesen geringen Betrag die notwendigen Leistungen in der gebotenen Qualität erbringen können.
Unklar ist, wie sich die Neuregelung des § 43 a SGB XI auf ambulante Wohngruppen auswirken wird: Zwar konnte in der letzten Etappe des Gesetzgebungsverfahrens die Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 43 a SGB XI auf alle Wohngruppen, die unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fallen, verhindert werden. Neu ist jedoch, dass solche Wohngruppen von § 43 a erfasst werden, die das Merkmal einer Gesamtversorgung im Umfang einer vollstationären Versorgung erfüllen. Wann aber ist dies der Fall? Ein wesentliches Kriterium könnte sein, dass eine vollstationäre Gesamtversorgung in ambulanten Wohngruppen nicht gegeben ist, wenn Menschen mit Behinderung in der Wohngruppe einen Haushalt führen, in dem sie ihre hauswirtschaftliche Versorgung entweder einzeln oder gemeinsam, aber eigenverantwortlich wahrnehmen.
Neben der Fragestellung des Verhältnisses von Pflegeversicherung nach SGB XI und Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX ist bei der Frage der Abgrenzung der verschiedenen Hilfearten auch die Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu berücksichtigen.
Hilfe zur Pflege oder Eingliederungsleistung?
Werden Leistungen der Eingliederungshilfe außerhalb der bislang als stationär bezeichneten Wohnformen (s.oben) erbracht, umfasst die Eingliederungshilfe auch die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. Diese Regelung nach § 103 Abs. 2 gilt jedoch nur, wenn der/die Antragsteller(in) die Regelaltersgrenze nach der Rentenversicherung (SGB VII) noch nicht erreicht hat und die Teilhabeziele nach dem Gesamtplan erreicht werden können. Dadurch haben Menschen mit Behinderung bei gleichzeitigem Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung und der ergänzenden Hilfe zur Pflege nach dem Sozialrecht nur einen Ansprechpartner und erhalten die Leistungen aus einer Hand. Für diesen Personenkreis gelten damit ebenfalls die deutlich besseren Grenzen zur Heranziehung von Einkommen und Vermögen nach dem Recht der Eingliederungshilfe. Die Zuständigkeit des Eingliederungshilfeträgers bleibt auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze grundsätzlich bestehen, solange die Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplans erreicht werden können. Interessant wird die Frage werden, inwiefern der Träger der Eingliederungshilfe seine Steuerungsmöglichkeit nutzt, um Leistungen der Eingliederungshilfe durch Leistungen der Pflegeversicherung und der ergänzenden Hilfe zur Pflege zumindest teilweise zu ersetzen.
Für Menschen, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze Ansprüche auf Leistungen der Eingliederungshilfe erwerben und gleichzeitig pflegebedürftig sind, gelten vorrangig Leistungen der Hilfe zur Pflege. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind in diesem Fall nachrangig, aber der Zugang bleibt grundsätzlich bestehen. Für diesen Personenkreis gelten damit bei ergänzendem Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege die Einkommens- und Vermögensgrenzen nach dem Sozialhilferecht nach SGB XII. Es ist davon auszugehen, dass es für diesen Personenkreis ungemein schwieriger werden wird, Ansprüche auf Leistungen der Eingliederungshilfe geltend zu machen, da der Eingliederungshilfeträger vermutlich zunächst auf die Leistungen der Hilfe zur Pflege verweisen wird. Ein wesentlicher Ankerpunkt ist die Frage des Erreichens der Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplans. Ziele der Eingliederungshilfe beziehen sich jedoch nicht nur auf die Weiterentwicklung von Fähigkeiten und die Förderung der Selbstständigkeit, sondern es kann auch ein Ziel der Eingliederungshilfe sein, den Erhalt der Fähigkeiten zu fördern. In diesen Konstellationen wird die Abgrenzung zur Zielsetzung der Pflege sehr genau erfolgen müssen und für den Einzelnen wird es sicherlich eine Herausforderung sein, diese dann auch geltend zu machen.
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