Wer im Passivhaus sitzt, muss nicht frieren
Das Lebenshaus St. Leonhard auf dem Gelände zwischen Alter Mainzer Gasse, Karmelitergasse und Buchgasse in der Frankfurter Innenstadt war zunächst als Wohnmöglichkeit für Senior(inn)en geplant: Unter einem Dach vereint sollten ein kleines Pflegeheim und sowohl altengerechte, barrierefreie als auch hochwertige Wohnungen sowie Dienstleistungsflächen entstehen. Während das Lebenshaus dann realisiert wurde, erweiterten die Verantwortlichen die Planung dieses Ensembles noch um den Neubau einer Kindertagesstätte und der Verwaltung des Caritasverbandes Frankfurt, entsprechend den gestiegenen Ansprüchen eines stetig wachsenden Verbandes und dem Bedürfnis nach zeitgemäßer Kinderbetreuung.
Erschlossen wird das neue Beratungs- und Verwaltungshaus über den mit dem Lebenshaus geteilten Innenhof. In dessen Mitte steht ein denkmalgeschützter Treppenhaus-Turm aus der Renaissancezeit, der nach aufwendiger Sanierung als geschichtsträchtiges Erkennungszeichen das Zentrum des neuen Caritas-Quartiers markiert.
140 Arbeitsplätze und eine Kita mit Spielplatz
Die städtebaulich vorgegebene Struktur von vier fünfgeschossigen Einzelhäusern entlang der Alten Mainzer Gasse und einem eingeschossigen Flachbau entlang der Karmelitergasse wurde mit insgesamt 140 Büroarbeitsplätzen samt den erforderlichen Konferenzbereichen sowie einer viergruppigen Kita mit einer direkt zugeordneten Außenspielfläche ausgefüllt. Sowohl hinsichtlich der Grundrissgestaltung des einzelnen Arbeitsplatzes als auch der Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Strukturen des Verbandes bis hin zur externen Vermietung einzelner Hausbereiche ermöglicht das Haus hohe Flexibilität.
Das Gebäude ist besonders gut wärmegedämmt und deckt seinen geringen Heizenergiebedarf über eine Geothermie-Anlage mit Wärmepumpe. Es entspricht damit dem sogenannten Passivhaus-Standard. Diese Bauweise gilt als besonders gut geeignet für Büroarbeitsplätze, da gegenüber konventionellen Häusern jederzeit eine überdurchschnittlich hohe Luftqualität gewährleistet ist. Das Haus ist nicht klimatisiert, eine Kühlung ist bedingt möglich. Das von den Dachflächen gesammelte Regenwasser wird in Zisternen gesammelt und dient als Grauwasser zur Toilettenspülung.
Um das Ziel sparsamer Energieverwendung bei gleichzeitig hohem Komfort zu erreichen, sind neben sorgfältiger Steuerung der Haustechnik auch an die Passivhaus-Technik angepasste Gewohnheiten wichtig, wie beispielsweise die Fensterlüftung, der Schutz vor Sonneneinstrahlung oder das Schließen von Türen.
Die Verteilung der Frischluft und damit die Temperierung des Hauses ist über ein sich über das gesamte Gebäude erstreckendes ausgeklügeltes Lüftungssystem geregelt. Geheizt wird über ein Geothermiefeld, das im Innenhof des Quartiers platziert ist.
Ein ausgeklügeltes Lüftungssystem
In der im Kellergeschoss angeordneten Lüftungszentrale ist das Herzstück der Anlage aufgestellt, ein Lüftungsgerät. Hier wird die aus dem Innenhof angesaugte, gefilterte Außenluft zunächst über einen Kreuzwärmetauscher mit der Abluftwärme aus dem Haus vorgewärmt. Anschließend wird die Zuluft zentral mit der Geothermie-Wärme auf ein Temperaturniveau von circa 19 Grad Celsius gebracht und auf die Geschossebenen transportiert.
Das Haus ist in insgesamt 40 separat geregelte Lüftungszonen aufgeteilt. Jede Zone verfügt über einen Referenzraum mit ständiger Temperaturmessung sowie über einen separaten Nacherhitzer, in dem die einheitlich vorgewärmte Zuluft auf das jeweils benötigte endgültige Temperaturniveau gebracht wird. Diese Nacherhitzer sind in den abgehängten Decken über den WC-Anlagen angeordnet und werden ebenfalls mit Geothermie-Wärme gespeist. Die Zuluftleitungen führen über die abgehängten Decken der Flure in jedes einzelne Büro und münden dort in die über der Türe angeordneten Lüftungsschlitze.
Die Abluft aus den Büros gelangt über schalltechnisch optimierte Überström-Öffnungen (beziehungsweise über offene Türen) zurück in die Flure und wird über die seitlichen Schattenfugen der Trockenbaudecken abgesaugt. Die Anlage arbeitet dabei mit sehr geringen Temperaturdifferenzen und Strömungsgeschwindigkeiten und ist damit ein vergleichsweise träges System. Dies korrespondiert mit den passivhaustypischen geringen Schwankungen der Innenraumtemperatur und erfordert eine anspruchsvolle Mess-, Steuer- und Regeltechnik (MSR). Alle wesentlichen Funktionen der Lüftungsanlage wurden vorprogrammiert. Über das Hausnetzwerk kann aber auch in alle Parameter der Steuerung eingegriffen werden.
Langfristig ist geplant, über diese zentrale Steuerung auf dem Monitor jedes einzelnen Arbeitsplatzes im Haus über eine einfache Ampelanzeige zu signalisieren, ob gerade auf Fensterlüftung besser verzichtet werden sollte, da die Lüftungsanlage auf Wärmezufuhr angewiesen ist (rot), oder ob diese momentan energetisch unbedenklich ist (grün). Selbstverständlich arbeitet die Lüftungsanlage mit einer Luftwechselrate, welche eine Fensterlüftung zur Frischluftversorgung generell nicht notwendig werden lässt. Außerhalb der üblichen Bürobetriebszeiten und sofern keine automatische Anforderung von Lüftungsleistung aufgrund der gemessenen CO2-und-Raumtemperatur-Werte vorliegt, werden Lüftungsanlage und Wärmepumpe vollständig abgeschaltet. Wenn dann während der kalten Jahreszeit Lüftungszonen auszukühlen drohen, wird automatisch eine nächtliche Heizungsstützlüftung aktiviert. Umgekehrt wird in der warmen Jahreszeit automatisch eine nächtliche Kühllüftung mit hundertprozentigem Außenluftbetrieb aktiviert, sofern die Temperatur der Außenluft, beispielsweise in den frühen Morgenstunden, deutlich kälter als die vorhandene Ablufttemperatur ist.
Darüber hinaus besteht im Sommer in begrenztem Umfang die Möglichkeit der Kühlung der Zuluft: Der Kreuzwärmetauscher in der Lüftungszentrale kann im Umkehrbetrieb die (dann wärmere) Außenluft mit der kühleren Abluft herabkühlen. Außerdem besteht die Möglichkeit, die 17 Grad Celsius Erdkälte aus den Erdbohrungen des Geothermiefeldes direkt zur Kühlung der Zuluft zu verwenden. Auf diese Weise wird die im Winterhalbjahr entnommene Wärme dem Boden wieder zugeführt, was auch unter ökologischen Aspekten sinnvoll ist. Diese Vorgänge im Boden und im Grundwasserhaushalt werden durch mehrere Messungen im Jahr erfasst und vom Umweltamt der Stadt Frankfurt begutachtet.
Die Wärme bleibt drinnen
Das Gebäude ist in konventioneller Stahlbetonbauweise mit nichttragenden Trockenbau-Innenwänden errichtet. Der hölzerne Dachstuhl des Verwaltungs- und Beratungshauses ist mit Aluminiumtafeln, das Flachdach der Kindertagesstätte ist mit einer extensiven Dachbegrünung eingedeckt. Im Erdgeschoss sowie bei großflächigen Öffnungen wurden die Fenster mit Dreifachverglasungen eingebaut. Die Außenwände sind mit einem verputzten Wärmedammverbundsystem aus Polystyrol mit einer mittleren Stärke von 25 Zentimetern versehen. Im Erdgeschoss ist diese Fassade mit Natursteinstreifen akzentuiert. Mit einer sorgfältigen Detaillierung aller Anschlüsse und Fugen wurde eine sehr hohe, durch eine "Blower-Door-Messung", also eine Gebläse-Tür-Messung, überprüfte Luftdichtigkeit der Gebäudehülle sichergestellt.
Sorgfältige Planung und Beschränkung der Anforderungen ermöglichte die Errichtung des Hauses zu einem vergleichsweise günstigen Preis von 370 Euro pro Kubikmeter. Da der ausführende Generalunternehmer sowohl die Standardvariante nach ENEV als auch die Passivhausvariante kalkuliert hatte, lassen sich die Mehrkosten in diesem Fall sehr genau mit circa vier Prozent der Baukosten beziffern. Die Entscheidung, das Gebäude mit einer Geothermieanlage zu beheizen, führte gegenüber einer Standardvariante mit Brennwertkessel allerdings zu weiteren Kosten in Höhe von rund 130.000 Euro. In einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung wurde unter Annahme von moderaten Energiepreissteigerungen eine Amortisationszeit von 20 Jahren errechnet. Unbewertet bleibt dabei die erzielte Vermeidung von circa 30 Tonnen CO2 pro Jahr.
Nach jetzt 15-monatiger Erfahrung mit dem neuen Haus besteht bei allen Nutzer(inne)n Einigkeit, dass sich der überschaubare Mehraufwand für den Passivhaus-Standard in jeder Hinsicht gelohnt hat.