„Wir haben die Funktion von Wachhunden“
Ein Soldat mit einem Maschinengewehr bewacht den Eingang. Kaltes Neonlicht beleuchtet die Stufen, die nach unten führen. Das Tageslicht bleibt draußen: Das Abschiebegefängnis in Beirut liegt komplett unter der Erde – keine Fenster, kein Himmel, keine frische Luft. Die libanesischen Sicherheitsbehörden haben aus einer Tiefgarage ein Gefängnis gemacht.
Im März 2013, beim Besuch einer Caritas-Delegation von Öffentlichkeitsarbeiter(inne)n aus Deutschland, vegetieren insgesamt 528 Männer und Frauen im Abschiebegefängnis vor sich hin, von leben kann man nicht sprechen. Zeitweise steigt die Zahl der Insassen sogar auf 600 bis 700 an. In einer der Zellen sind etwa 80 Frauen zusammengepfercht – auf einer Fläche von vier Parkplätzen. Sie kauern auf Matratzen und Decken am Boden. Ihre Hosen, Röcke, T-Shirts, Unterwäsche und Plastiktüten mit ihren wenigen Habseligkeiten haben sie zwischen die Gitterstäbe geklemmt. Der Käfig, einer von elf, ist so überfüllt, dass die Frauen sich mit dem Schlafen abwechseln müssen. Fotografieren ist verboten. Das Militär ist nicht daran interessiert, solche Bilder in Umlauf zu bringen.
Außerhalb der Zellen werden Handschellen angelegt
Auf die Frage, was die Menschen hier verbrochen haben, zuckt Sylvie Eid, Mitarbeiterin des Caritas-Migrationszentrums Libanon, mit den Schultern: „Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung, das ist alles.“ Die Menschen landen hier, nachdem die Polizei sie ohne Papiere auf der Straße aufgegriffen und ein Gericht sie verurteilt hat. Obwohl sie ihre Strafe meist schon in einem anderen Gefängnis abgesessen haben, landen sie in dem unterirdischen Bunker. Von hier aus werden alle verwaltungstechnischen Abläufe bis zu ihrer Abschiebung geregelt. Eine Gruppe asiatischer Mädchen in Jogginghosen und T-Shirts ist gerade auf dem Weg in eines der Büros. Ein groteskes Bild: Wie Schwerverbrechern hat man den zierlichen Frauen außerhalb der Zellen Handschellen angelegt. Nun wird über ihr weiteres Schicksal entschieden: Abschiebung – oder doch Aufenthaltserlaubnis?
Sylvie Eid deutet auf den Käfig mit den 80 Frauen: „Sie kommen alle aus Äthiopien.“ Die weiblichen Gefangenen werden nach Nationalitäten untergebracht. So können sie sich wenigstens miteinander unterhalten. Viele der Insassen sind als Hausangestellte von den Philippinen, aus Äthiopien, Bangladesch oder Sri Lanka über Agenturen in den Libanon eingereist. Die Armut in diesen Ländern ist groß. Die Frauen wollen Geld verdienen, um es ihren Familien nach Hause zu schicken. Doch statt einem Job erwartet sie oft Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt. Es ist üblich, dass die Arbeitgeber ihnen bei der Ankunft den Pass abnehmen. Wenn die Frauen den Missbrauch nicht länger ertragen und fliehen, können sie sich nicht ausweisen. Auch die männlichen Gefangenen, meist aus dem Sudan, Ägypten oder Bangladesch, sind ins Land gereist, um zu arbeiten. Wegen Verstoßes gegen die Aufenthaltsbestimmungen, kleinerer Delikte oder auch aus unbekannten Gründen, warten sie unter Tage auf ihre Abschiebung: manchmal einen Tag, manchmal ein Jahr.
Oft wissen sie nicht, weshalb sie abgeschoben werden
Abdallah Ibrahim Kamal aus Alexandria ist seit Januar hier. Warum, das weiß er nicht. Der 43-Jährige war ein unbescholtener Mann. Seit 1989 lebte er in Beirut, stellte mit seinem libanesischen Geschäftspartner Milchprodukte her und unterhielt eine Bäckerei. Doch dann bekam er plötzlich Ärger mit den Behörden. Seit 2010 musste er immer wieder aus- und mit einem neu beantragten, befristeten Visum einreisen. Irgendwann hat das Militär ihn dann verhaftet. Jetzt sitzt er hier in Handschellen, schüttelt ungläubig den Kopf. „Ich möchte die Staatsbürgerschaft und weiter hier mit meiner Familie leben“, sagt er. Auf die Frage, wie es ihm geht, fragt er zurück: „In diesem Gefängnis? Das ist kein Leben.“ Kein Hof, keine Chance, sich zu bewegen oder durchzuatmen. „Die Caritas drängt immer wieder auf ein anderes Gebäude, wo die Gefangenen Zugang zu frischer Luft und Tageslicht haben und wo ausreichend Platz ist“, sagt Sylvie Eid resigniert.
Die Besucher(innen) treffen Hauptmann Faruk Masaad (Name geändert) von der libanesischen Sicherheitsbehörde. Er windet sich: Sie seien auch nicht glücklich über die Situation, schon längst wollten sie einen geeigneteren Ort gefunden haben, dies sei ursprünglich als vorübergehende Lösung gedacht gewesen … Doch die Tatsachen sprechen eine andere Sprache: Seit 13 Jahren befindet sich das Gefängnis unter der Erde. Eine Alternative ist nicht in Sicht und wohl auch nicht gewollt. Das weiß auch Masaad: „Es ist nicht einfach, einen anderen Ort zu finden. Aus verschiedenen Gründen.“ Welche Gründe dies sind, lässt er offen.
Als das Gefängnis im Jahr 2000 eingerichtet wurde, hatte niemand von außen Zutritt. Damals, berichtet Sylvie Eid, habe es keine Kontrolle gegeben, wie die Soldaten mit den Gefangenen umgegangen seien. Die Hände wurden den Insassen damals noch auf den Rücken gebunden. Die Caritas erkämpfte sich den Zugang zu den Gefangenen: Sie ist die einzige Organisation, die diese vergessene Welt betreten darf. Inzwischen sind neun Caritas-Sozialarbeiter(innen) hier unten präsent – in Schichten, 24 Stunden am Tag. „Wir haben die Funktion von Wachhunden“, sagt Eid. Die Strategie der Caritas-Profis ist simpel: Sie kooperieren mit dem Militär. Dafür können sie viel für die Insassen tun. Statt wie früher nur Brot bekommen diese nun einmal täglich eine warme Mahlzeit: Die Caritas liefert gesundes Essen, von Ordensschwestern zubereitet. Die Gefangenen werden mit den nötigen Hygieneartikeln versorgt. Ein Arzt schaut zweimal in der Woche nach den Kranken. Caritas-Krankenschwestern leisten medizinische Hilfe und organisieren die kleine Apotheke, die Schmerz- und Schlafmittel, Mittel gegen Erkältungen, Allergien, Asthma oder hohen Blutdruck, Pflaster und Verbände vorrätig hat. Die Sozialarbeiter(innen) beraten die Gefangenen und schalten gegebenenfalls Anwälte ein. Sie geben aber auch Kurse zur Sensibilisierung der Soldaten und achten darauf, dass die Menschenrechte gewahrt werden. Bis vor sechs Jahren wurden noch Schwangere und Kinder in den Bunker gesteckt. Die Caritas hat erreicht, dass Frauen mit Kindern, Schwangere, ältere oder gefolterte Menschen bis zu ihrer Abschiebung in einem Caritas-Haus bei Beirut untergebracht werden – mit einem großen Garten für die Kinder zum Spielen.
Leutnant Jamal Chalid (Name geändert), Mitte 40, groß und in Militärkleidung, führt die Besucher(innen) aus Deutschland in Richtung der Männer-Zellen. „Im Gegensatz zu den Frauen werden die Männer nach Alphabet und nicht nach Nationalität untergebracht“, übersetzt Sylvie Eid seine Ausführungen. „Um Gruppenbildungen und Unruhen zu vermeiden.“ Chalid erklärt, dass die Zellen der Männer größer seien als die der Frauen. Doch nach Augenmaß kann das nicht stimmen – vier Parkplätze sind und bleiben vier Parkplätze. Der Sicherheitsbeamte versucht offenbar, die Verhältnisse nicht so desolat erscheinen zu lassen. „Die Gefangenen können im Notfall einen Arzt kontaktieren, es gibt einen Zahnarzt bei Bedarf, auch psychologische Betreuung“, führt er aus. Jede Zelle verfüge über zwei Toiletten, zwei Duschen und ein Waschbecken. – Ein junger Soldat der Sicherheitsbehörde bildet das Schlusslicht der Gruppe. Auf die Frage, wie er seine Arbeit findet, schaut er betreten zu Boden und sagt leise: „Ich mag sie nicht.“
Durch ein engmaschiges Gitter vom Besuch getrennt
Die Gruppe passiert den Besuchsbereich, der diesen Namen nicht verdient: ein schmaler Flur, auf dem nebeneinander etwa 20 Gefangene stehen und zweimal pro Woche durch ein engmaschiges Gitter mit ihrem Besuch sprechen können. „Geld und Zigaretten können sich die Gefangenen mitbringen lassen, sie können auch mit öffentlichen Fernsprechern telefonieren. Vor jeder Zelle ist ein Fernseher installiert, nachmittags laufen Filme“, preist Chalid das Domizil an. Dass manche der Insassen sich frei bewegen können, wenn sie kleine Jobs übernehmen wie die Bedienung der Waschmaschinen oder die Betreuung der bescheidenen Caritas-Bibliothek, vergisst der Hauptmann nicht zu erwähnen. Eine Putzkolonne gibt es hier übrigens nicht. Immer zwei der Insassen sind verantwortlich dafür, dass die Zellen sauber gehalten werden. Seit dreieinhalb Jahren arbeitet der Hauptmann hier unten. „Er hat mehrere Deeskalationstrainings absolviert und kommuniziert mit uns, versucht Lösungen zu finden“, sagt Sylvie Eid. Seit Chalid da ist, habe es auch keine Fälle von selbstverletzendem Verhalten mehr gegeben. Es klingt, als hätten es die Gefangenen und die Caritas schlechter treffen können.
Der Willkür der Behörden ausgeliefert
Doch letztlich sind Menschen wie Abdallah Ibrahim Kamal der Willkür der Behörden ausgeliefert, vergessen in einer Tiefgarage unter einer Brücke in Beirut. Er kann nicht fassen, dass er nach 24 Jahren legalem Aufenthalt im Libanon nun auf seine endgültige Abschiebung wartet. „Ich habe mich verhalten, wie die Behörden es verlangt haben.“ Seinen kleinen Sohn haben Soldaten aus dem Kindergarten herausgeholt und ihm erzählt, dass sein Vater im Gefängnis sitzt. „Du bist im Gefängnis? Du bist ein Lügner“, hat sein Sohn ihn beschimpft. Frau und Kind leben nun in einem Frauenhaus der Caritas. „Ich will Gerechtigkeit und Gnade“, klagt der Mann. Wie es weitergeht, weiß er nicht. „Das liegt in der Hand Allahs.“