Energiewende selbst gemacht
Stiftungen sind der Nachhaltigkeit verpflichtet. Diesen Grundsatz macht sich die Stiftung Liebenau, die sich seit mehr als 140 Jahren für hilfebedürftige Menschen einsetzt, gleich dreifach zu eigen. Zum einen soll das Stiftungshandeln sozial nachhaltig wirken, indem dauerhafte Strukturen geschaffen werden, die den Menschen helfen: Passgenaue Hilfen sollen gesellschaftliche Teilhabe und Integration sichern. Auch in puncto Wirtschaftlichkeit arbeitet die Stiftung nachhaltig – schließlich ist das Stiftungsvermögen auf Dauer zu erhalten. Und drittens wird Nachhaltigkeit in Liebenau im ökologischen Sinne verstanden: Natürliche Ressourcen sollen schonend verwendet und so weit wie möglich regenerative Energien genutzt werden.
„Wenn es um technologische Entwicklungen geht, orientieren wir uns selbstverständlich an ökologischen Erwägungen“, sagt Markus Nachbaur, Vorstand der Stiftung Liebenau. „Das gebietet allein schon der Respekt vor der Schöpfung, der uns als christliches Unternehmen prägt.“ Das ist auch die Antriebsfeder der beiden „Energiemanager“ der Stiftung Liebenau. Die Ingenieure Marco Nauerz, zugleich Leiter der Bauabteilung, und Michael Staiber, Geschäftsführer der Liebenau Gebäude- und Anlagenservice GmbH, arbeiten seit vielen Jahren daran, den Energieverbrauch der Stiftung und insbesondere die Nutzung fossiler Energien so niedrig wie möglich zu halten. Bei rund 260 Einrichtungen und Diensten an 100 Standorten ist das keine kleine Aufgabe.
„Der Stiftung Liebenau war es von Anfang an wichtig, für die nötigen technischen Leistungen Kompetenzen im Unternehmen aufzubauen“, erläutert Markus Nachbaur. Auf diese Weise werde zum einen das Know-how dauerhaft gesichert. Gleichzeitig entstünden in diesem Bereich attraktive Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten gerade auch für Menschen mit Behinderung.
Pilotprojekte in den 80ern
Am Standort Liebenau wurden bereits in den 1980er Jahren die ersten „Ökoprojekte“ initiiert. In einem Modellprojekt der Europäischen Gemeinschaft, wie die EU damals noch hieß, und einigen Hochschulen erprobte man auf dem stiftungseigenen landwirtschaftlichen Musterhof Prototypen für Biogasanlagen. Aus dem Schweinestall wurde eine Wärmepumpe gespeist, in einem Blockheizkraftwerk wurde neben Erdgas und Diesel auch Biogas und Rapsöl verbrannt. Sogar mit Strohverbrennung zur Energieerzeugung wurde experimentiert, doch stellte man bald auf Holzhackschnitzel um.
Modellprojekt „Windel-Willi“ heizt mit Abfällen
Das damalige Holzheizwerk mit seiner eher bescheidenen Leistung von 800 Kilowatt war die Keimzelle des heutigen Heizwerks, das in den Jahren 2005 und 2006 in Betrieb genommen wurde und als technisches Modellprojekt seither große Aufmerksamkeit in der Fachwelt erregt. Es stellt rund 5300 Kilowatt Wärmeleistung bereit, fast ausschließlich aus Biomasse und zu über 90 Prozent CO2-neutral. Und hier steht auch der weltweit erste Verbrennungsofen für Inkontinenzsystemartikel, bekannt unter dem Namen „Windel-Willi“.
Gebaut nach Vorgaben und Entwicklung der Liebenauer Ingenieure kann der „Windel-Willi“ bis zu 4500 Tonnen sogenannte Inkontinenzsystemabfälle (Windeln, Einmalhandschuhe, Zellstofftücher, Verbandsmaterial) pro Jahr verwerten. Er wurde nach den strengen Vorgaben der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) genehmigt. Sämtliche vorgegebenen Abgaswerte werden ständig kontrolliert, aufgezeichnet und dem zuständigen Landratsamt zur Verfügung gestellt. Inzwischen ist das Projekt so erfolgreich, dass die Stiftung Liebenau Inkontinenzsystemabfälle auch von anderen Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitssektor sowie von Kommunen annimmt: Rund 200 Kunden im Umkreis von etwa 150 Kilometern nutzen diese Möglichkeit der Verwertung.
Das Liebenauer Heizwerk (s. auch Titelbild) beheizt nicht nur alle Betriebs- und Wohngebäude in Liebenau und dem knapp zwei Kilometer entfernten Ort Hegenberg, es liefert auch Wärme für Gewächshäuser und Dampf für die Wäscherei der Liebenau Service GmbH.
Ein Notstromaggregat als Blockheizkraftwerk
Rund 20 Kilometer von Liebenau entfernt steht ein zweites innovatives Blockheizkraftwerk: Das Arbeitsintegrationsprojekt in Wangen-Schauwies wird mit Rapsöl aus der Region betrieben. Ausgangspunkt für die Planungen hier war die Notwendigkeit, eine Sprinkleranlage zu installieren. Diese musste mit einem Notstromaggregat verbunden sein, um ihre Funktion auch bei Stromausfall sicherzustellen. Als Brennstoff dafür wählten die Liebenauer Ingenieure nicht wie üblich Diesel, sondern Rapsöl. Dieses Notstromaggregat fungiert gleichzeitig als Blockheizkraftwerk. Es erwärmt das Sprinklerbecken, dessen Wasser dann über eine Wärmepumpe entnommen und weiter erhitzt wird für die Fußbodenheizung von Werkstatt und Büros. Der vom Aggregat erzeugte Strom wird ins Netz des Energieversorgungsunternehmens eingespeist. Einen neuen Weg gehen die Liebenauer Ingenieure im oberschwäbischen Bad Waldsee: Hier wird auf einem Wohnheim-Neubau eine GasabsorptionsWärmepumpe1 zur Gebäudeheizung und Brauchwassererwärmung eingebaut.
Wärme aus der Erde...
Bei der Wärmegewinnung setzt die Stiftung Liebenau zudem auf zwei weitere wichtige Quellen: Sonne und Erdwärme. Erdwärmesonden wurden seit 2005 in mehreren Neubauprojekten eingebaut. Ein Wohnprojekt in Meckenbeuren, die Pflegeheime in Kressbronn und Scheer sowie das Wohn- und Bildungshaus in der Ravensburger Rudolfstraße werden auf diese Weise beheizt. Das Prinzip: Über eine ausgeklügelte Sole-Wasser-Anlage wird der Erde Wärme entzogen, das Sole-Wasser-Gemisch über eine Wärmepumpe weiter erwärmt und ins Heizungssystem des Hauses geleitet. Die abgekühlte Sole gelangt in dem geschlossenen Rohrsystem wieder zurück ins Erdreich und kann sich dort aufs Neue erwärmen.
In Scheer und Meckenbeuren werden auf diese Weise Heizung und Wasser erwärmt, in Kressbronn sind zusätzlich Sonnenkollektoren, in Ravensburg eine Gastherme zur Warmwasserversorgung eingesetzt. Nachteil der Erdwärme-Methode: Für die Sonden muss bis zu 160 Meter tief ins Erdreich gebohrt werden. Je nach geologischer Beschaffenheit kann das zu sogenannten Bergbauproblemen führen. „In den Stiftungsanlagen ist zwar noch nie etwas passiert. Aber die Risiken müssen bei jedem neuen Vorhaben genau geprüft und auch abgesichert werden“, sagt Michael Staiber.
...und von der Sonne
Unproblematischer zu installieren sind Solaranlagen. Neben Sonnenkollektoren zur Heizwassergewinnung, die noch auf vielen Wohngebäuden der Stiftung platziert wurden, finden sich auf den Stiftungsdächern zunehmend Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung. Neun Dächer wurden seit 2004 mit rund 438 Kilowatt installierter Leistung ausgestattet, rund 1,6 Millionen Euro dafür investiert. Darüber hinaus besitzt die Stiftung eine Photovoltaik-Freilandanlage mit 1000 Kilowatt Leistungsspitze bei Sonnenschein.
Am Standort Rosenharz, wo rund 250 Menschen mit Behinderung leben und arbeiten, wurde ein komplett neues Nahwärmenetz entwickelt, das über Sonnenkollektoren, ein Blockheizkraftwerk sowie Pufferspeicher Wärme bedarfsgerecht zur Verfügung stellt.
Über 90 Prozent der Heizenergie sind regenerativ
Die Ergebnisse dieser Energiestrategie können sich sehen lassen: Allein an den Standorten Liebenau und Hegenberg werden über 90 Prozent der Heizenergie aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Das Energiekonzept der Stiftung Liebenau setzt allerdings nicht nur auf regenerative Energiequellen, sondern auch auf einen sparsamen Energieverbrauch. Das wirkt sich besonders auf die Bauvorhaben aus: Die Grenzwerte der jeweils aktuellen Energieeinsparverordnungen versuchen die Liebenauer Ingenieure immer deutlich zu unterbieten.
Am Standort Deggenhausertal wird derzeit ein Pflegeheim nach dem KfW-Effizienzhaus-70-Standard2 gebaut, das heißt, die Vorgaben der Energieeinsparverordnung werden um 30 Prozent unterschritten. Auch bei gewerblich genutzten Gebäuden haben die beiden Ingenieure allerlei Sparpotenzial ausgemacht. So wird die überschüssige Wärme, die das Holzheizwerk mit dem „Windel-Willi“ im Sommer produziert, zur Trocknung von nassem Stückholz im Liebenauer Holzhof genutzt, sie erhöht damit wiederum den Brennwert des Holzes. Für die Wäscherei wurden Abwasser- und Abluftwärmetauscher konstruiert, um auch hier möglichst viel der zugeführten Energie wieder zu nutzen.
Am effektivsten sparen die Nutzer
Ein ausgeklügeltes Fernwartungssystem hilft, schneller auf lokale Veränderungen, zum Beispiel bei der Heizung, zu reagieren. „Außerdem arbeiten wir daran, die Rücklauftemperatur der Fernheizung zu verringern – auch das spart Energie“, verrät Michael Staiber. Zufrieden sind er und sein Ingenieurskollege trotzdem noch nicht. „Wir arbeiten im Hintergrund an den technischen Systemen, so gut wir können. Aber am effektivsten sparen können die Nutzer!“, sagt Marco Nauerz. So helfe die beste Dämmung nichts, wenn die Hausbewohner den ganzen Tag mit gekipptem Fenster lüften. Dasselbe gelte auch für die Beleuchtung. Trotz vieler Lichtzeitschaltungen brennen abends noch viele unnötige Lampen, so seine Beobachtung.
Weitere Stolpersteine beim Energiesparen sind: kurzlebige Vorschriften und unzureichend qualifizierte Fachleute. „Im Bereich regenerativer Energien beobachten wir seit zehn Jahren einen ungeheuren Boom“, so Marco Nauerz. „Mit den rasanten Entwicklungen können selbst die Fachingenieure kaum mithalten.“ Vielen Firmen fehle das nötige Know-how, Fehler bei Berechnungen oder beim Bauen seien nicht selten. „Wir müssen alles nachkontrollieren“, so die Erfahrung des Bauabteilungsleiters. Deshalb sein Rat: „Wenn Sie als Bauherr innovative Energien nutzen wollen, müssen Sie selbst sachkundig sein, die Funktionen und die Kostenentwicklung ständig verfolgen.“
Für Ärger bei den Energiemanagern sorgen auch die gesetzlichen Vorgaben. „Beim Bau ändern sich die Verordnungen schneller, als die Projekte fertig werden“, weiß der Bauingenieur. In manchen Bereichen vermisst er auch die nötige politische Verlässlichkeit. „Rapsöl zum Beispiel wurde durch politische Eingriffe, unter anderem durch Steuererhöhungen, derart verteuert, dass es im Moment preislich über dem Heizöl liegt.“ Da diese Anlagen politisch nicht mehr gewünscht sind3, ist der Markt für neue Rapsöl-Blockheizkraftwerke zum Erliegen gekommen. „Investoren aus früheren Jahren werden mit den entstandenen Kosten alleingelassen“, bedauert Nauerz.
Stichwort Kosten: Die Entwicklung neuer Technologien ist in der Regel zunächst mit höheren Kosten verbunden. Wie bringt die Stiftung Liebenau wirtschaftliche und ökologische Aspekte in Einklang? „Natürlich muss die Stiftung Liebenau ihre Mittel wirtschaftlich einsetzen. Aber man darf dabei nicht kurzfristig rechnen“, erläutert Vorstand Markus Nachbaur. Innovationen seien zwar oft mit verhältnismäßig hohen Anschaffungskosten verbunden, dafür aber im Dauerbetrieb günstiger. „Bisher hat uns die Erfahrung immer recht gegeben: Auf lange Sicht sind innovative Technologien wirtschaftlicher.“ Das erkennen mittlerweile immer mehr Unternehmen – was die Stiftung Liebenau nicht zuletzt an den vielen Besuchern merkt, die zu Besichtigungen und Beratungen nach Liebenau kommen.
Anmerkungen
1. Bei dieser Technologie auf Erdgas-Basis wird die Wärme der Außenluft mit genutzt, so dass sich ein sehr hoher Wirkungsgrad ergibt.
2. Zu Förderhinweisen vgl. neue caritas Heft 1/2012, S. 16.
3. Energiepflanzen wie Raps sind unter Verdacht geraten, in unethischer Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zu stehen.