Soziale Arbeit trifft virtuellen Raum
Neue Technologien, insbesondere Smartphones und Tablets wie das iPad, haben das Arbeitsleben in den letzten Jahren tiefgreifend verändert. Traditionell finden technische Neuerungen relativ spät ihren Weg in die Soziale Arbeit. Daher ist jetzt die Zeit zu überlegen, welche Veränderungen der Einsatz dieser neuen Technologien in der Erziehungshilfe nach sich ziehen könnte und wie diese optimal eingesetzt werden könnten.
Für den Einsatz im Bereich der Erziehungshilfe erscheinen Smartphones und Tablet-PCs von besonderem Interesse. Weil diese inzwischen bei vielen Nutzer(inne)n sehr beliebt sind, wurde die Entwicklung einer neuen Infrastruktur nötig: das Cloud-Computing. Darunter versteht man heute eine Vielzahl von Anwendungen, denen gemein ist, dass sie gewissermaßen im Internet ausgeführt werden und dass die Nutzer(innen) auf sie zugreifen können. Dadurch ist es auch mit den mobilen Geräten, die über relativ wenig Rechenleistung und Speicherplatz verfügen, möglich, auf komplexe Datenbestände und Anwendungen zuzugreifen.
Diese neuartige Entwicklung überholte auch im klassischen Unternehmensumfeld die Gestaltung des Arbeitsalltags. Die Nutzer(innen) erwarteten, dass sie die Prozesse ihrer beruflichen Tätigkeit ebenfalls komfortabel auf Smartphones und Tablets erledigen konnten. Dieser Prozess wird in der Wirtschaftsinformatik als Customerization beschrieben.1 Neben den umfangreichen Chancen, die in dieser Entwicklung liegen, bestehen insbesondere im Bereich des Datenschutzes und der Datensicherheit juristische Probleme, die allerdings lösbar erscheinen. So würden beispielsweise durch den Standort der Server in Deutschland deutsche Rechtsnormen für die Datenverarbeitung gelten und durch Verschlüsselung und durch spezielle Anwendungen für Mobilgeräte ein datenschutzkonformer Umgang mit personenbezogenen Daten sichergestellt werden.
Um zu entscheiden, wo und wie diese neuen Technologien im Bereich der Erziehungshilfe genutzt werden können, ist zunächst zu klären, wie diese arbeitet. Da das Feld der Erziehungshilfe sowohl aus örtlicher als auch aus inhaltlicher Sicht sehr breit diversifiziert ist, kann eine präzise Abbildung der professionellen Prozesse in Kurzform nicht gelingen. Das Hilfeplanverfahren (§6 SGB VIII) gibt zumindest grob strukturiert vor, dass die Gestaltung der Hilfen prinzipiell vom Jugendamt zu initiieren und zu steuern ist.
Aus Sicht der Sozialarbeitswissenschaft ist es sinnvoll, dass das Jugendamt den Hilfeprozess im Sinne des Case-Managements gestaltet. Dadurch erhält das Jugendamt "…konkrete Ansätze zum Nachweis der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit"2.
Diese Einschätzung deckt sich mit empirischen Ergebnissen, die eine gesteigerte Übernahme von Fallverantwortung durch das Jugendamt im Bereich der Erziehungshilfe notwendig erscheinen lassen.3 Gestalten sich die Hilfeprozesse nach der Logik des Case-Managements, so entsteht für das Jugendamt die Aufgabe, die Hilfeleistung in der Beurteilungsphase vorzubereiten, dann die Hilfe zu planen und im Rahmen des Monitorings zu überwachen. Dieser Logik folgend, müsste das Jugendamt auf Fallebene Leistungserbringern klare Aufträge und Ziele vorgeben und deren Erreichung überwachen.
Bringt die nahe Zukunft eine "Jugendamt-Cloud"?
Damit die Jugendämter dieser Steuerungsverantwortung optimal nachkommen
können, müssen ihnen die relevanten Daten vorliegen. Dies führt gedanklich zu einer Lösung, bei der alle klientenrelevanten Daten beim Jugendamt lagern und die Leistungserbringer sie entsprechend aktualisieren, gewissermaßen einer "Jugendamt-Cloud". In diesem Szenario führt der einzelne Dienst der Erziehungshilfe keine eigene Falldokumentation mehr, sondern greift mit beliebigen Endgeräten auf die Daten in der "Jugendamt-Cloud" zu. Das Jugendamt kann dann in Echtzeit die jeweils veränderten Datensätze abrufen und ist so kontinuierlich informiert. Durch ein Set an Freigabe- und Zugriffsregelungen ist es außerdem möglich, verschiedenen Diensten, die an einem Fall arbeiten, Zugriff auf die Daten der jeweils anderen zu gewähren. Insbesondere für diagnostische Daten erscheint dies interessant. Intelligenz- oder Persönlichkeitstests können mit mobilen Endgeräten direkt bei den Klient(inn)en erhoben werden. Dabei können die Eigenschaften der Touch-Bedienung zusätzlichen Nutzen generieren. Kinder können so zum Beispiel direkt auf dem Gerät malen. So wird es auch für mobile Dienste möglich, mit Smartphones und Tablets auf relevante Informationen zu den jeweiligen Klient(inn)en zuzugreifen und diese zu aktualisieren.
Online-Beratung nimmt zu
In der ferneren Zukunft wird die Bedeutung des virtuellen Raums für die Soziale Arbeit weiter zunehmen. Schon jetzt findet in einigen Bereichen Beratung online statt, zukünftig erreicht dieses Medium immer mehr Klient(inn)en. Durch Videokonferenztechnik und deren Weiterentwicklung könnte die Dienstleistung Erziehungshilfe zunehmend ortsunabhängig werden. Das würde zu der Möglichkeit führen, Hilfeangebote bundes- oder sogar weltweit anzubieten, unabhängig vom eigenen Standort.
Gerade die Präsenz der Klient(inn)en im virtuellen Raum könnte noch zu Entwicklungen in eine andere Richtung führen. Aus verwaltungstechnischer Sicht spricht nichts mehr gegen eine Einsichtnahme des Klienten in seine virtuellen Akten. Während dies bei papierbasierter Aktenführung noch ein sehr großer Aufwand für alle Beteiligten war, könnte die Jugendamt-Cloud unproblematisch für Klient(inn)en geöffnet werden.
Denkt man die Jugendamt-Cloud noch weiter, wird der Wert der dort gespeicherten Daten für die Wissenschaft deutlich. Daten zu allen Hilfen im Zuständigkeitsbereich der Jugendämter, idealerweise bundesweit einheitlich erhoben, würden gerade im Bereich der Wirkungsforschung vielschichtige Erkenntnisse ermöglichen: Auswertungen, welche Anbieter am erfolgreichsten sind, welche Angebote bei welcher Eingangsdiagnostik am wirksamsten sind und vieles mehr könnte auf dieser Datenbasis erstellt werden.
Nimmt man für die weitere Prognose Anleihen bei den Pionieren des Cloud-Computings, den Onlinekaufhäusern (wie Amazon oder Ebay), sind Bewertungssysteme durch Kund(inn)en denkbar. Die Kombination der Empfehlungen und der Analyse der Daten aus der "Jugendamt-Cloud" könnten computergestützte Systeme ermöglichen, die nach Eingabe von Diagnosedaten raten: "Kinder mit vergleichbaren Problemlagen haben von Sozialpädagogischer Familienhilfe des Trägers XX am meisten profitiert, soll der aktuelle Fall dieselbe Hilfe erhalten?"
Ob die hier angestellten Überlegungen eintreten, ist natürlich nicht gesagt. Allerdings ist dies für die Zukunft der Erziehungshilfe auch weniger entscheidend, als prinzipiell die Chancen und Risiken neuer Technologien zu kennen. Erst dann können in einem fachlichen Austausch, der von der Sozialen Arbeit getragen werden muss, Lösungen gefunden werden, die durch die Nutzung neuer Technologien die pädagogische Arbeit positiv beeinflussen.
Anmerkungen
1. Weiss, Frank; Leimeister, Jan Marco: Consumerization. In: Wirtschaftsinformatik 54 (6), 2012, S. 351-354.
2. Löcherbach, Peter; Mennemann, Hugo: Case Management und Implementierung im Jugendamt. In: Löcherbach, Peter et al.: Case Management in der Jugendhilfe. München : Reinhardt, 2009, S. 55.
3. Klug, Wolfgang; Lehmann, Robert; Burghardt, Jennifer: Case Management in Diensten der Kriminalprävention im Jugendamt. In: Case Management, 9 (2), 2012, S. 73-82.