Gemeinsam lernen – mit Hightech
In allgemeinen Schulen gibt es Kinder mit sehr unterschiedlichen Lern- und Arbeitsvoraussetzungen. Jedes Kind in einer Klasse hat seine individuelle Zugangsweise, seine eigene Motivation und seine individuelle Lebensbiografie. Homogene Klassen an sich gibt es nicht, auch in allgemeinen Schulen ist Heterogenität die Regel.
Den Unterricht auf diese Heterogenität auszurichten und jedes Kind entsprechend seinen individuellen Voraussetzungen in seiner Entwicklung und Bildung zu begleiten, ist die Aufgabe jeder Schule, auch der allgemeinen. Je besser dies in den allgemeinen Schulen umgesetzt wird, desto einfacher ist auch das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung.
In einem ersten Schritt hin zum gemeinsamen Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen entwickelt die Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn ihre Arbeit in sogenannten Kooperationsklassen weiter zu einem wohnortnahen, inklusiven Bildungsangebot.
An insgesamt fünf Standorten in vier verschiedenen Landkreisen in Baden-Württemberg werden Kinder mit HörbehinderUNg gemeinsam mit den Schüler(inne)n der allgemeinen Schule unterrichtet. Wesentliche Grundlage dieser Entwicklung stellt die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dar. Diese Entwicklung hat sich rasant beschleunigt. Allein zum Schuljahr 2011/2012 wurden an den Standorten drei neue Kooperationsklassen eingerichtet.
Die Kinder lernen nicht nur bei Schulfeiern und Projekten gemeinsam, sondern in weiten Teilen des Klassenunterrichts oder in variierenden Kleingruppen. Dadurch können alle Schüler(innen) der Kooperationsklassen, mit oder ohne Hörschädigung, entsprechend begleitet und gefördert werden. Durch ein Lehrertandem, eine Lehrkraft der allgemeinen Schule und eine Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen, kann im Teamteaching auch den individuellen Bedürfnissen der hörgeschädigten Kinder entsprochen werden. Darüber hinaus können im Rahmen des Ganztagsschulangebotes behinderungsspezifische Gesprächs- und Lernthemen, intensive Wortschatzarbeit, Sprach- und Kommunikationsförderung erfolgen.
Unterrichten mit Hightech
Hightech macht den gemeinsamen Unterricht erst möglich. Mit Hilfe von Gegensprechanlagen wird die Kommunikation zwischen Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n enorm verbessert. Ein nahe am Mund des Sprechenden getragenes Mikrofon nimmt die Stimme auf. Dadurch werden Störgeräusche auf ein Minimum reduziert. Die drahtlose Ankopplung des Senders an die Hörgeräte der Kinder überbrückt die Distanz von Lehrer(in) und Schüler(in) auf ideale Weise. Bei gleichzeitig uneingeschränkter Mobilität kann sich das Kind ganz auf den Unterricht konzentrieren. Gegensprechanlagen sind hilfreich bei Gruppen- und Projektarbeit, also für Unterrichtsformen, die Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen fördern. Vor allem bei einem Unterricht in Klassen mit über 20 Schüler(inne)n und einem entsprechenden Geräuschpegel können sich hörbehinderte Schüler(innen) so viel besser auf sprachliche Äußerungen der Lehrkraft und der Mitschüler(innen) konzentrieren. Für einen möglichst geringen Geräuschpegel im Klassenraum sind raumakustische Maßnahmen wie beispielsweise eine Akustikdecke wichtig. Diese schaffen nicht nur für die hörgeschädigten Kinder eine gute Lern- und Arbeitsatmosphäre, sondern für alle Kinder und auch für die Lehrkräfte.
Das Gelingen der gemeinsamen Beschulung ist jedoch nicht nur von der technischen Ausstattung abhängig. Um die heterogene Schülerschaft angemessen fördern und fordern zu können, bedarf es der Lehrkräfte und Unterrichtskonzepte, die Heterogenität als Lernchance sehen. So haben alle Schüler(innen) die Möglichkeit, auf ihrem Kompetenzniveau zu lernen und positive Lernerfahrungen zu machen.
Das individualisierte Lernen ermöglicht auch Lernen in jahrgangsübergreifenden Klassen. Bewährte Unterrichtsmethoden sind dabei das Arbeiten mit Wochen- und Arbeitsplänen, Lernen an Stationen, Freiarbeit, selbstorganisiertes Lernen und projektorientierter Unterricht. Die Schüler(innen) arbeiten in ihrem individuellen Tempo und können an ihre Kompetenzen anknüpfen. Inklusives Lernen ist sowohl in der großen Gruppe als auch in unterschiedlich zusammengesetzten Kleingruppen möglich.
Inklusion heißt immer auch wohnortnah
Markus (Name geändert) ist elf Jahre alt. Zurzeit besucht er die Grundschulabschlussklasse in Bräunlingen - zehn Minuten von seinem Zuhause entfernt. Nachmittags hat er viel Zeit, um auf dem Bauernhof seiner Eltern zu spielen und seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: Traktor fahren.
Dies war nicht immer so. Erst seit 2009 gibt es eine Kooperationsklasse für hörgeschädigte Kinder in Bräunlingen. Davor ist Markus zwei Jahre lang mit dem Taxi nach Schramberg-Heiligenbronn gefahren worden, an den Hauptstandort des Förderzentrums Hören und Sprechen. Das bedeutete für Markus drei Stunden Fahrtzeit - jeden Tag.
Inklusive Schule bedeutet immer auch wohnortnahe Schule. Das ist nicht nur ein Gewinn für die Schüler(innen). Auch die öffentliche Kasse wird entlastet, da hohe Beförderungskosten wegfallen. Investitionen in die Ausstattung vor Ort mit moderner Technologie ebnen so den Weg für einen inklusiven Unterricht, der nicht nur auf dem Papier stehen sollte.
Kontakt:
Ludger Bernhard, Leitung Förderzentrum Hören und Sprechen, Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn, E-Mail: ludger.bernhard@stiftung-st-franziskus.de, Tel. 07422/569-284