Die Gesundheit des Pflegepersonals stärken
Unter dem Stichwort "Pflegealarm - Die Helfer brauchen Hilfe" hat die Caritas 2008 auf die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege aufmerksam gemacht. Die Bischöfe in Niedersachsen haben sich an die Mitglieder des Niedersächsischen Landtages gewandt, um unter anderem die desaströsen finanziellen Rahmenbedingungen anzusprechen. Zeitgleich wurde den Abgeordneten die Möglichkeit geboten, durch die Mithilfe an einem Arbeitstag einen Einblick in den Berufsalltag einer Altenpflegerin/eines Altenpflegers zu erhalten.
Auf die Arbeitswirklichkeit der rund 900 Mitarbeiter(innen) richtet sich auch der Blick der Stiftung Katholische Altenhilfe im Bistum Hildesheim seit Herbst 2010. In den zwölf beteiligten Einrichtungen zwischen Göttingen und Stade stehen die Gesundheitserhaltung sowie die -förderung der Mitarbeitenden im Vordergrund. "Wir können in den Einrichtungen nur gute Pflege leisten, wenn es unseren Mitarbeitenden gut geht", erläutert Geschäftsführer Norbert Ellert. Denn die Tätigkeit in der ambulanten und stationären Altenhilfe stellt immer höhere Ansprüche an das Personal. Belastende Arbeitsbedingungen und Fachkräftemangel führen zu enormen psychischen und physischen Anforderungen an die Mitarbeitenden.
Das dreijährige Projekt trägt den verkürzten Titel "Gesundheit, Glück und Glaube. Ressourcen von Mitarbeitenden in der Altenpflege". Durch diese positive und zugleich herausfordernde Formulierung werden die ersten Überlegungen angestoßen: Gesundheit als meine Ressource? Wann und durch was wird meine Gesundheit bedrängt? Was brauche ich, um meine Gesundheit zu schützen und zu stützen? Spielen das Glück und mein Glaube dabei eine Rolle?
Erste Erkenntnisse dieser persönlichen Reflexion wurden in der Analysephase des mehrschrittigen Vorhabens aufgenommen. In einer Fragebogenaktion konnten knapp 900 Beschäftigte aus allen Bereichen der Einrichtungen angeben, wie ihr Gesundheitszustand ist, wie sie die Arbeitsbelastung erleben und welche Fortbildungsmöglichkeiten dazu beitragen könnten, ihr Wohlbefinden zu erhalten und zu verbessern. Mit einer Rücklaufquote von 40,1 Prozent konnte ein breites Meinungsbild erzielt werden. "Wir haben die Fragebogen der Bedarfsanalyse in Kooperation mit dem Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen ausgewertet. Die ermittelten Bedarfe wurden dann in einem Konzept für die Inhouse-Schulungen aufgegriffen", verweist die Projektmitarbeiterin Heike Ingelmann auf das weitere Vorgehen.
Umgang mit Stress am häufigsten genannt
Die am häufigsten genannten Fortbildungswünsche beziehen sich auf Umgang mit Stress, rückenschonendes Arbeiten und gesundes Altern im Beruf. Damit verwoben sind die Themenfelder Erkennen und Verhindern von Burnout, Kennenlernen von stressreduzierenden Sportarten und Entspannungsmethoden, die Handhabung von berufsbedingten psychischen Belastungen, konstruktive Konfliktbewältigung sowie das Erkennen und Verhindern von Mobbing. Weiterer Bedarf wird im Bereich der sozialen und personalen Fähigkeiten gesehen: Die Kommunikation im Team und die eigenen Fähigkeiten der Selbstorganisation und Work-Life-Balance könnten verbessert werden.
Die entwickelten Schulungsangebote finden als Inhouse-Seminare statt, um die Übertragung des Gelernten in den persönlichen Arbeitsbereich zu erleichtern. Dabei wird regelmäßigen Angeboten genauso Platz eingeräumt wie informativen Einzelveranstaltungen. Ein einrichtungsübergreifendes Angebot zum gesundheitsfördernden Führungsverhalten wird von den verschiedenen Leitungsebenen wahrgenommen. Wegen besonderer Nachfrage wurde das Angebot der Fortbildungsreihe für die Wohnbereichs- und Abteilungsleitungen verdreifacht. Eine Trainerin der Fairness-Stiftung eröffnet den Blick auf die persönliche Fairness-Kompetenz und den Widerhall auf organisatorischer Ebene. So findet neben der individuellen Verhaltensebene auch die organisatorische Verhältnisebene Berücksichtigung. Denn in einer lernenden Organisation ist mit der Weiterentwicklung personaler Fähigkeiten die Fortentwicklung organisatorischer Bedingungen verbunden. So werden Arbeitsabläufe angepasst und Kommunikationsprozesse ausgestaltet.
Seit Herbst 2011 gibt es die bedarfsorientiert konzipierten Angebote. Um die Effektivität sowie die Nachhaltigkeit zu überprüfen, werden die Schulungen von Evaluationserhebungen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen flankiert.
Ansprechpartner aus der Mitte der Einrichtung
Auf der Grundlage eines Reviews über etwa 1000 relevante Studien benennen Kramer, Sockoll & Bödeker1 als Erfolgsfaktoren für eine gelingende Implementierung von Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention fünf Aspekte:
1. eine starke Vernetzung von Maßnahmen auf individueller (Verhaltens-) und organisatorischer (Verhältnis-)Ebene,
2. die sorgfältige Bedarfsanalyse vor Implementierung eines Programms,
3. die Entwicklung von individuell auf die Beschäftigten zugeschnittenen Maßnahmen,
4. die Partizipation der Mitarbeiter(innen),
5. ein beständiges Angebot der Maßnahmen.
Bezug nehmend auf die Punkte drei und vier liegt eine besondere Herausforderung dieses Projekts darin, die Individualität der jeweiligen Einrichtung und ihrer Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Die zwölf Einrichtungen bestehen seit mehreren Jahrzehnten oder erst ein paar Jahren und haben zwischen 40 und 160 Mitarbeitende. Sie befinden sich mitten in der Stadt, in einem Stadtteil oder im eher ländlichen Raum. Um diese Unterschiede aufzugreifen und einen ständigen Kontakt mit der Belegschaft zu ermöglichen, hat sich bewährt, Ansprechpersonen aus der Mitte der Einrichtungen zu benennen. Sie beleben den Informationsfluss nach innen und halten das Projekt lebendig. Zudem tragen sie das individuelle Erscheinungsbild der Einrichtung nach außen und befruchten die einrichtungsspezifischen Planungen.
Besondere Schwierigkeiten in der Durchführung der Veranstaltungen ergeben sich aus dem hohen Krankenstand. Oftmals ist es notwendig, gesunde Mitarbeitende von der Fortbildung abzuziehen und auf dem Wohnbereich einzusetzen. Somit ist die größte Herausforderung mit den Bedingungen, die zur Entstehung des Projektes geführt haben, identisch.
Im Herbst 2013 endet die Förderung durch den Europäischen Sozialfonds, der im Rahmen des Programms "Rückenwind - Für die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft" finanzielle Unterstützungsleistungen vergibt. Dann wird sich zeigen, welche Veränderungen erreicht werden konnten. Schon jetzt ist deutlich: Der wertschätzende Blick auf die hohe Einsatzbereitschaft der Mitarbeitenden trägt zur Anerkennung ihres Dienstes am Menschen und an der Gesellschaft bei.
Anmerkung
1. Kramer, Ina; Sockoll, Ina; Bödeker, Wolfgang: Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention. Iga-Report 13, Essen, 2008.