Wer hier fragt, ist arm
Bereits zum zweiten Mal hat der Deutsche Caritasverband im September 2008 eine bundesweite Stichtagserhebung in den Beratungsstellen der Allgemeinen Sozialberatung (ASB) durchgeführt. Ziel war es, Erkenntnisse über die Problemlagen der Klient(inn)en zu gewinnen, die die ASB in Anspruch nehmen. Außerdem wollte man Hinweise darüber erhalten, wie die Lebensumstände aussehen, die zum Entstehen dieser Probleme beitragen. Ebenso sollte die Erhebung Aufschluss darüber geben, welche Hilfemaßnahmen die Dienste der ASB anbieten, um die Klient(inn)en bei der Bewältigung ihrer Probleme zu unterstützen.
Stichtag war der 18. September 2008. Dieser Tag wurde als ein möglichst repräsentativer Tag gewählt, das heißt, es war kein Montag oder Freitag, der Tag lag nicht direkt am Beginn oder am Ende des Monats, und zu diesem Zeitpunkt gab es keine Ferien. Alle ASB-Dienste der Caritas waren aufgefordert, je einen Fragebogen für jeden Ratsuchenden auszufüllen.
Die Befragung: indirekt und anonym
Das heißt, dass eine indirekte Befragung stattfand, da nicht die Betroffenen selbst, sondern die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen Auskunft geben sollten. Die Befragung erfolgte anonym hinsichtlich der Klient(inn)en, lediglich das Bundesland und die Diözese des ASB-Dienstes wurden auf dem Fragebogen vermerkt, um auch regional auswerten zu können.
Die Ergebnisse 2008 bestätigen die Ergebnisse der ersten ASB-Stichtagserhebung 2007. Gleichzeitig werden die Berichte der Berater(innen) aus der Praxis durch die Ergebnisse belegt. Insgesamt wurden am Stichtag selbst 3368 Personen direkt erreicht. Fast zwei Drittel der Gespräche fanden persönlich statt, ein knappes Drittel am Telefon; die Kontaktaufnahme per E-Mail spielte keine Rolle. Von den 3368 Personen waren 66 Prozent weiblich, insgesamt war mehr als die Hälfte der Befragten alleinstehend beziehungsweise alleinerziehend. Knapp 40 Prozent der Befragten gaben an, keine Kinder zu haben. Bei jeweils einem Fünftel lebten ein oder zwei Kinder im Haushalt, circa 15 Prozent hatten drei oder mehr Kinder. Drei Viertel der Klient(inn)en waren zwischen 25 und 60 Jahre alt, aber auch Klient(inn)en jüngeren Alters suchten die ASB-Dienste auf (zwölf Prozent), und 13 Prozent der Personen waren 60 Jahre oder älter.
Ein wichtiges Merkmal, das Aufschluss über die Klient(inn)enstruktur gibt, ist der höchste erreichte Bildungsabschluss. Hier gaben 60 Prozent der Befragten an, einen Schulabschluss zu haben, 40 Prozent verfügten zudem über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Hingegen hatte ein Viertel der Klient(inn)en keinen Schul- und damit auch keinen Berufsabschluss.
Jeder Dritte hat einen Migrationshintergrund
Bei der Frage nach dem Migrationshintergrund gaben 30 Prozent der Befragten an, dass sie selbst einen Migrationshintergrund haben, elf Prozent hatten Partner(innen) mit Migrationshintergrund. Der große Anteil an Klient(inn)en, die einen Migrationshintergrund beziehungsweise Partner(innen) mit Migrationshintergrund haben, zeigt, wie wichtig das Thema für die ASB ist.
Darüber hinaus sind alle Felder der sozialen Arbeit aufgefordert, sich intensiv mit dem Umgang mit und den Chancen von Migrant(inn)en in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dabei müssen nicht nur Konzepte für eine bessere Integration entwickelt, sondern auch die Chancen einer gesellschaftlichen Teilhabe für Migrant(inn)en diskutiert werden.
Einen Überblick über die Einkommenssituation der Befragten gibt Abb. 1: Mehr als 50 Prozent der Klienten bezogen Arbeitslosengeld II, aber nur ein Drittel gab an, Erwerbseinkommen zu erwirtschaften (hierzu zählt auch Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung). Eine Rente bezogen 16 Prozent der Befragten, sieben Prozent erhielten Leistungen nach SGB XII. Die Problemlagen, mit denen die Klient(inn)en die ASB-Beratungsstellen aufsuchen, sind vielfältiger Art.
Ein Problem kommt selten allein
Zudem haben die meisten Klient(inn)en mehrere gleichzeitig bestehende Probleme und bedürfen deshalb der Hilfe der Allgemeinen Sozialberatungsstellen. Mehr als die Hälfte der Befragten suchte Hilfe wegen finanzieller Schwierigkeiten. Probleme beim Umgang mit Behörden oder sozialrechtlicher Natur gaben beinahe zwei Drittel der Befragten an. Über 20 Prozent hatten Schulden, weitere 14 Prozent Miet- oder Energieschulden. Ebenso lagen bei jeweils fast 20 Prozent psychische Probleme oder Probleme im häuslichen Umfeld vor. Weitere oft genannte Probleme waren Arbeitslosigkeit (16 Prozent) sowie Krankheit (15 Prozent), Behinderung und Alter beziehungsweise Pflegebedürftigkeit gaben 13 Prozent an (s. Abb. 2).
Schließlich wurde auch nach den erbrachten Hilfemaßnahmen gefragt. Alle Hilfesuchenden wurden beraten beziehungsweise es fand eine Klärung der Situation statt. 30 Prozent der Klient(inn)en erhielten Hilfe bei Anträgen oder bei der Korrespondenz mit Behörden, 22 Prozent der Befragten wurden an externe oder interne Stellen weitervermittelt, 18 Prozent bekamen eine finanzielle Unterstützung oder eine Sachleistung, beispielsweise in Form von Scheinen, die zum Einkauf in "Tafel"-Läden berechtigen (s. Abb. 3).
ALG-II-Bescheide sind nur mit Hilfe zu verstehen
Auffallend ist die Anzahl der Hilfen bei Anträgen oder im Umgang mit Behörden. Vor dem Hintergrund der Berichte über komplizierte und nicht nachvollziehbare Bescheide der Argen und der wachsenden Zahl der Klagen bei den Sozialgerichten, die sich mit den Bescheiden der Argen beschäftigen, werden diese Zahlen nachvollziehbar.
Vergleicht man die Daten der Klient(in- n)en mit Berufsausbildung (1233) und der Klient(inn)en ohne Schulabschluss (874) hinsichtlich ihrer Einkommenssituation und ihrer Problemlagen (Abb. 4), so stellt man signifikante Unterschiede fest: 65 Prozent der Hilfesuchenden ohne Bildungsabschluss beziehen ALG II, während nur 42 Prozent der Personen mit Schulabschluss auf diese Leistungen angewiesen sind.
Gleichzeitig haben die Personen ohne Bildungsabschluss wesentlich häufiger finanzielle und sozialrechtliche Probleme sowie Probleme im Umgang mit Behörden, aber auch Miet- und Energieschulden. Diese Zahlen unterstreichen die Feststellung, dass ein qualifizierter Bildungsabschluss die Wahrscheinlichkeit, langzeitarbeitslos zu werden, deutlich senkt. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, ohne qualifizierten Bildungsabschluss in weitere manifeste Probleme zu geraten, die die Hilfesuchenden nicht mehr bewältigen können.
Mit Kindern oft auf ALG II angewiesen
Auch ein Vergleich der Gruppe der Hilfesuchenden mit Kindern (1926) mit denen ohne Kinder (1273) ist interessant (Abb. 5): Besonders auffallend ist hier der hohe Anteil der Bezieher(innen) von ALG II, die Kinder haben (60 Prozent), während nur 41 Prozent der Klient(inn)en ohne Kinder ALG II beziehen. Da gleichzeitig 37 Prozent der Hilfesuchenden mit Kindern angeben, ein Erwerbseinkommen zu beziehen, kann vermutet werden, dass einige der Hilfesuchenden ergänzende Leistungen nach SGB II erhalten (darunter auch sogenannte "Ein-Euro-Jobs").
Hilfesuchende mit Kindern haben weitaus mehr finanzielle Probleme als solche ohne Kinder. Darüber hinaus treten sozialrechtliche Probleme signifikant häufiger auf.
Sozialberatung hilft schnell und unbürokratisch
Insgesamt wird durch die Stichtagserhebung 2008 deutlich, dass die Allgemeine Sozialberatung ihrem Anspruch als Erstanlaufstelle und Grunddienst der Caritas gerecht wird. Sie zeichnet sich durch schnelle und direkte Unterstützung der hilfesuchenden Menschen aus. Gleichzeitig ist sie Seismograph für die gesellschaftlichen Entwicklungen und die Probleme, die sich beispielsweise auch im Zuge der Sozialreformen ergeben.
Die dokumentierten Probleme zeigen erneut, wie notwendig ein qualifizierter Bildungsabschluss ist. Insgesamt weisen die Zahlen der Stichtagserhebung wiederum darauf hin, dass Kinder immer noch ein Armutsrisiko darstellen, und belegen damit, dass die Forderung des DCV nach einem eigenen Kinderregelsatz1 und einer Verbesserung der finanziellen Situation von Kindern und Familien mit Kindern richtig ist.
Anmerkung
1. Zuletzt in der neuen caritas Heft 17/2008, Spezial zur Kinderarmut, S. 25 ff.