Mitglieder haben Rechte und Pflichten
Auch wenn manche Trägervertreter im Stillen den Wert dieses Kriteriums schon einmal angezweifelt haben mögen -ohne Kirchlichkeit im weiteren theologischen als auch im engeren rechtlichen Sinne geht es nicht. Die Nichterfüllung dieses Kriteriums, ebenso wie das Abweichen von anderen caritasverbindlichen Regeln wie den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) oder der Grundordnung des Kirchlichen Dienstes (im Folgenden: Grundordnung), muss in den Verbänden und Gliederungen der Caritas Folgen haben.
Diese Folgen betreffen auch die Mitgliedschaft im Bereich der Caritas. Die Mitgliedschaft in den Caritasverbänden auf regionaler, diözesaner und Bundesebene und ihre Voraussetzungen sind allerdings immer noch nicht einheitlich geregelt, obwohl es seit Jahren Mustersatzungen vonseiten des Deutschen Caritasverbandes (DCV) gibt. Zwar dürfte es eine weitgehende Übereinstimmung in den Grundanforderungen geben; der Wortlaut der zahlreichen Satzungswerke ist jedoch nach wie vor uneinheitlich, und das gilt auch für die innere Struktur der Verbandssatzungen. Die Gründe hierfür sind zum einen historischer Natur, zum anderen regionalen Bedarfslagen und Zuständigkeiten geschuldet.
Die Notwendigkeit einer strengeren Vereinheitlichung wurde lange Zeit nicht gesehen. Nunmehr sind jedoch verschiedene parallele, sich teilweise auch überlappende Entwicklungen zu beobachten, die diesen Zustand infrage stellen. Darüber hinaus erfordern sie, die Frage der Voraussetzungen einer Mitgliedschaft in der verbandlichen Caritas auf die Tagesordnung zu setzen. Bei den genannten Entwicklungen handelt es sich zum einen um den Novellierungsprozess der Verbandsordnung des DCV, als dessen Ergebnis insbesondere auch explizite Voraussetzungen (zwingende Anwendung der AVR und der Grundordnung) für die Mitgliedschaft korporativer Träger im DCV festgeschrieben wurden (vgl. Verbandsordnung des DCV, Teil 3 § 20).
Gretchenfrage - wie hältst du’s mit den AVR?
Zum anderen handelt es sich um die Reformprozesse im Bereich der AVR und im Bereich der Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission. Hier hat die Mitarbeiterseite völlig zu Recht eingefordert, dass die Verbände der Caritas viel stärker darauf achten müssten, ob ihre Mitglieder tatsächlich insbesondere die AVR korrekt anwendeten. Läge hier ein Missbrauch ("AVR-Dumping") der Privilegien des Dritten Weges vor, müssten die entsprechenden Träger von der Mitgliedschaft in den Gliederungen der Caritas ausgeschlossen werden.
Die Möglichkeit der Anwendung sowohl der Grundordnung als auch der AVR stellt im Verhältnis zu den Regelungen des staatlichen Arbeitsrechts eine Privilegierung dar und ist keinesfalls disponibel. Ihre Anwendung gehört zu den essenziellen Bedingungen für die Mitgliedschaft in den Verbänden und Gliederungen der Caritas. Denn sowohl die Grundordnung als auch die AVR sind unmittelbarer Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechtes unserer Kirche. Sie sind damit gerade die Elemente, die das katholisch-christliche Selbstverständnis unserer Kirche und ihrer Gliederungen im Bereich des Arbeitsrechts zum Ausdruck bringen.
Kirchlichkeit gibt Anteil am Selbstbestimmungsrecht
Zum Dritten ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes anzuführen, welches sich in seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2007 (AZ 7 ABR 72/06) zur Frage der Kirchlichkeit von Trägern und Einrichtungen eindeutig verhalten hat: Von deren Kirchlichkeit - und damit von der Möglichkeit der Teilhabe am verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht (etwa im Bereich des Arbeitsrechts) der Kirchen - sei nur dann auszugehen, wenn es seitens der Kirchen auch ein "Durchgriffsrecht" gegenüber diesen Trägern und Einrichtungen gäbe. Dieses Recht müsse sicherstellen, dass bei den Trägern und Einrichtungen kirchenspezifische Regelungen (AVR, Grundordnung, Mitarbeitervertretungsordnung - MAVO etc.) auch umgesetzt würden.
Das Kriterium der Kirchlichkeit im hier angesprochenen rechtlichen Sinne ist letztlich auch als wesentlich für die Frage der Mitgliedschaft von Einrichtungen und Trägern im Bereich der Caritas anzusehen. Denn diese Bedingung stellt im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte kirchliche Selbstbestimmungsrecht die notwendige Kohärenz zwischen der Kirche und ihren Gliederungen einerseits und den juristischen und natürlichen Personen beziehungsweise Trägern und Einrichtungen andererseits sicher, die sich der Kirche zugehörig erklären. Nur über die Erfüllung des Kriteriums Kirchlichkeit können sie an den Privilegien des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes teilhaben.
Sieht man die genannten relativ neuen Entwicklungen im Zusammenhang, wird deutlich, dass Mitgliedschaftsfragen nunmehr mit größerer Aufmerksamkeit und mehr Stringenz behandelt werden müssen, als dies in den letzten Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Die Aufmerksamkeit ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf zwei verschiedene Bereiche zu richten.
Zum einen geht es darum, inwieweit bei Trägern und Einrichtungen überhaupt das Merkmal der Kirchlichkeit gegeben ist. Zum anderen geht es im Bereich des Arbeitsrechtes um die Ahndung von Verstößen per se kirchlicher Einrichtungen gegen die Vorgaben des Dritten Weges, der in den Einrichtungen den Interessenausgleich zwischen Mitarbeiter- und Dienstgeberseite sichert.
Der letztgenannte Aspekt wäre einfach zu behandeln, wenn vor dem Hintergrund des hier ohnehin bestehenden Durchgriffsrechts der Bischöfe von den Diözesan-Caritasverbänden eine echte Aufsicht im Hinblick auf die stringente Anwendung der Regelungen des Dritten Weges und der Grundordnung ausgeübt würde. Hier geht es kurzfristig sicherlich in erster Linie um einen Prozess der Bewusstmachung der Bedeutung des Dritten Weges und der Notwendigkeit der Einhaltung seiner Regelungen.
Schwieriger ist allerdings die Situation von Einrichtungen und Trägern zu werten, die im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht kirchlich sind. Hier fehlt es an einem innerkirchlichen Instrument zur Durchsetzung dessen, was etwa im Bereich des Arbeitsrechts gerade die Ausprägung des verfassungsrechtlich geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes ausmacht. Es fehlt der Kirche beziehungsweise ihren Gliederungen somit gerade an einer Möglichkeit, das, was als richtig gilt, im Konfliktfall auch einzufordern.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung fallen Einrichtungen und Träger in einer solchen Situation nicht mehr unter das durch die Verfassung garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und können daher auch nicht mehr die daraus folgenden Privilegien in Anspruch nehmen. Für den Bereich des Arbeitsrechts heißt dies beispielsweise: Stiftungen bürgerlichen Rechts, die sich, selbst wenn sie es wollten, nicht der staatlichen Stiftungsaufsicht entziehen könnten, fallen unter den Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes. Die in den jeweiligen Bistümern geltenden Mitarbeitervertretungsordnungen sind damit im Umkehrschluss nicht mehr anwendbar - ebenso wenig wie die Verfahren und Regelungen des Dritten Weges. Diese Konstellation schließt eine Mitgliedschaft von bisherigem Zuschnitt in einem Caritasverband per se aus.
Leichtversion einer Mitgliedschaft?
Es stellt sich dann jedoch die Frage, ob vonseiten der verbandlichen Caritas nicht neue Mitgliedschaftsformen angeboten werden sollten, die es auch nichtkirchlichen Trägern ermöglichten, sich zur Caritas zugehörig zu erklären.
An eine solche Mitgliedschaft sind jedoch auch bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Es müsste sich etwa aus der Satzung oder Verfassung des gemeinnützigen Mitgliedschafts-Aspiranten eine historisch und/oder inhaltlich begründete Nähe zum Bereich der katholischen Kirche ergeben. Diese kann beispielsweise dadurch zum Ausdruck kommen, dass ein oder mehrere geborene Kuratoriums-(Vorstands- etc.) mitglieder immer kirchliche Amtsträger sein müssten.
Und wenn schon die AVR nicht qua Zugehörigkeit zum Dritten Weg zur Anwendung kommen, müsste sich der Träger oder die Einrichtung bereiterklären, die AVR-Caritas zumindest als Haustarif gelten zu lassen (sowie die Grundordnung des Kirchlichen Dienstes zu beachten). Eine solche Bedingung ist unverzichtbar, da ansonsten die kirchlichen Mitglieder der Caritasverbände einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den nichtkirchlichen Mitgliedern hätten. Im Übrigen würde sich Lohndumping vonseiten eines Mitglieds der Caritas auch negativ auf das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Caritas insgesamt auswirken.
Aus diesem Gedanken heraus wird auch deutlich, welchen Vorteil die Mitgliedschaft in der verbandlichen Caritas für einen im rechtlichen Sinne nichtkirchlichen Träger oder eine solche Einrichtung bietet: Sie profitieren, neben der Möglichkeit der Inanspruchnahme von verschiedenen spitzenverbandlichen Dienstleistungen, für die von ihnen zu erbringende gemeinnützige Arbeit vom Legitimitätsbonus, den die verbandliche Caritas in der Gesellschaft genießt.