Dirigent übergibt Orchester
Herr Hupe, Sie haben den Caritasverband vor und nach der Wende 1989 erlebt. Was hat sich verändert?
Geblieben ist zunächst einmal der Anspruch der Caritas, immer für die Menschen da zu sein, die unsere Hilfe brauchen, unabhängig von Rasse, Weltanschauung und Religion!
Diesen Anspruch konnten wir in der DDR meistens nur im innerkirchlichen Raum erfüllen. Der Staat bestimmte, wo die Kirche und ihre Caritas sich engagieren durften.
Mit der Wende änderte sich dieses schlagartig. Plötzlich sollte die Caritas in der neuen Gesellschaft die vielfältigsten Dienste und Einrichtungen übernehmen. Die Berater aus der BRD sagten: Caritas ist der größte Wohlfahrtsverband. Warum übernehmt Ihr nicht Kinderheime, Kindertagesstätten, Alten- und Behinderteneinrichtungen? Unsere Antwort darauf: Wir wollen, dass da, wo Caritas draufsteht, auch Caritas drin ist! Wie sollen wir das mit 50 000 Katholiken in unserem Bistum realisieren? Dennoch haben wir uns nach unseren Möglichkeiten in der neuen Gesellschaft engagiert.
Bis Mitte der neunziger Jahre wurden die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege im Freistaat Sachsen und dem Land Brandenburg gefördert, weil sie für den Aufbau sozialer Strukturen in den neuen Ländern unverzichtbar waren. Inzwischen müssen wir immer wieder beweisen, dass unsere soziale Arbeit auch heute noch für die Gesellschaft wichtig ist, und daher auch gefördert werden muss. Wenn diese Förderungen auch weniger werden, so sind die Caritas und ihre Partnerverbände doch stets bemüht, ihre breite Angebotspalette aufrecht zu erhalten. Dies ist jedoch nur möglich dank der Unterstützung durch unsere Mitglieder sowie durch die Arbeit der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Welches waren die Inhalte und Schwerpunkte Ihrer Arbeit bei der Caritas?
Ich habe von 1974 bis 1994 als Dekanatsfürsorger im Dekanat Görlitz gearbeitet. Wichtig war die Zusammenarbeit mit den katholischen Pfarrgemeinden. Dafür gab es regelmäßige Sprechstunden in den großen Pfarreien. In dieser Zeit waren die Hausbesuche bei alten und behinderten Menschen sehr wichtig. aber auch die Kinder- und Familienerholung bildeten einen Schwerpunkt der Arbeit. 1977/78 verabschiedete die Meißner Synode das Arbeitspapier "Diakonie der Gemeinde". Bischof Bernhard Huhn beauftragte die Caritas, dieses Papier in den Gemeinden mit Leben zu erfüllen. In dieser Zeit war es ganz wichtig, die persönlichen Kontakte mit den Gemeindemitgliedern zu pflegen.
In meiner Arbeit als Caritasdirektor seit 1994 war ich für die Arbeit des Verbandes im gesamten Bistum zuständig. Ich war gleichsam Dienstvorgesetzter aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich vergleiche diese Tätigkeit immer mit der eines Dirigenten. Ein Dirigent ohne Orchester aber ist nutzlos. Und so ist auch ein Caritasdirektor ohne seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren hohes Engagement auf ziemlich verlorenem Posten. Ich denke aber, dass es mir in den 17 Jahren gelungen ist, zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Orchester eine gute Stimme in Kirche und Gesellschaft zu geben. Dazu hat auch die Unterstützung durch die Mitglieder des Vorstandes sehr viel beigetragen. Sehr wichtig war auch die gute Zusammenarbeit mit den Bischöfen und dem Generalvikar des Bistums Görlitz. Herr Prälat Zomack ist seit 13 Jahren 1. Vorsitzender unseres Verbandes und hat die Belange der Caritas in den Gremien des Bistums immer gut vertreten.
Schwerpunkte in der Arbeit waren die Entwicklung und Stärkung in der Kinder- und Jugendhilfe sowie das Engagement für benachteiligte, alte und behinderte Menschen. Zeichen dafür sind die Übernahme von Kinder- und Jugendtreffs in Peitz und Lübben und die Arbeit in unseren Kinder- und Jugendtreffs in Cottbus und Hoyerswerda. 2010 konnten wir in Görlitz den Familientreff Cari-fé ins Leben rufen. 2001 eröffnete unser Alten- und Pflegeheim "Hildegard Burjan" in Görlitz und 2011 daneben unsere Caritas-Wohnanlage für Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Im Landkreis Görlitz konnten wir mit Einrichtungen in Görlitz und Reichenbach die Arbeit in der Behindertenhilfe stärken. Die St. Florian-Stiftung in Neuzelle ist für Menschen mit geistiger und seelischer Behinderung zuständig. Sie hat ihre Standorte inzwischen in Eisenhüttenstadt und Guben. Seit August 2011 gibt es eine katholische Grundschule, die die Stiftung verantwortet.
Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Caritas. Was muss getan werden, damit die Caritas weiterhin ihre Aufgaben erfüllen kann?
Die Zeit ist schnelllebiger geworden, manches "Wohin" ist nicht absehbar. Früher konnte man in Ruhe etwas erarbeiten, konnte agieren. Heute muss man zumeist sofort reagieren. Vieles wird auf den Prüfstand gestellt werden müssen, beispielsweise ob Straßensammlungen noch zeitgemäß sind oder durch andere Formen ersetzt werden sollten. Dabei sollte jedoch nicht nur der finanzielle Aspekt eine Rolle spielen, denn die vielen ehrenamtlichen Sammler kommen mit Menschen ins Gespräch, die ansonsten von Gott und Kirche wenig hören.
Dankbar bin ich, dass Bischof Ipolt sofort auf die Belange der Caritas eingegangen ist, dass er von Anfang an offene Ohren für die Caritas hatte. Mit meinem Nachfolger Matthias Schmidt wird es gute Lösungen geben. Gut, dass ist erst einmal auf eineinhalb Jahre beschränkt. Dann wird man sehen, wie die neuen Verbandsstrukturen aussehen.
Weiterhin sehe ich Gespräche mit Politikern als wichtig an.
Übrigens: Über Kollekten können wir uns nicht beklagen, fünf oder sechs im Jahr werden für die Aufgaben der Caritas gehalten. An dieser Stelle sei allen Spendern Danke gesagt.
Welchen Ratschlag geben Sie Ihrem Nachfolger im Amt mit auf seinen Weg?
Gut hinhören, nicht spontan entscheiden, wichtige Entscheidungen eine Nacht überschlafen, dann aber klare Ansagen machen, "Kante" geben.