Kranke brauchen soziale Chancen
Bis 1999 führte der heute 44-jährige Ralf A. ein glückliches Leben. Er lebte verheiratet in einem kleinen Ort im Landkreis Tuttlingen in Baden-Württemberg und ging mit Freude seiner Arbeit als KFZ-Mechaniker nach. Dann knickte er beim Betreten eines Randsteins um und brach sich den rechten Fuß. Fünf Schrauben wurden ihm eingezogen. Als sich der Fuß besserte, nahm er halbtags seine Arbeit wieder auf. Doch dann stellten die Ärzte 2001 eine chronische Hepatitis C bei Ralf A. fest, die zu einer Leberzirrhose führte. Da er als KFZ-Mechaniker mit Öl und Verdünnungsstoffen arbeitete, die schädlich für die Leber sind, musste er seinen Beruf aufgeben.
Arbeit verloren und Beziehungen gescheitert
Ralf A. erhielt ein Jahr lang Arbeitslosengeld I und rutschte dann in die Sozialhilfe ab. Seine Ehe ging in die Brüche. Er heiratete erneut und zog mit seiner zweiten Frau zu deren Mutter. Doch das ging nicht gut: „Am Anfang war ich einverstanden, um als Arbeitsloser Kosten für eine Mietwohnung zu sparen. Doch meine Frau wollte dann dort gar nicht mehr wegziehen“, erzählt Ralf A. Er zog zu seiner eigenen Mutter und Schwester nach Ingolstadt, kurz darauf nochmals zu seiner Frau nach Baden-Württemberg zurück. Doch die Ehe funktionierte nicht mehr. Es folgten einige andere Beziehungen, die allerdings auch nicht von Dauer blieben. Als wesentlichen Grund sieht Ralf A. dafür: „Ich konnte nicht mehr arbeiten und brauchte wegen meiner Krankheit zudem stets viel Schlaf.“ Müdigkeit ist Folge einer chronischen Lebererkrankung.
Auf dem ersten Arbeitsmarkt, bedauert Ralf A., wird er nicht mehr arbeiten können. Und mehr als vier Stunden täglich darf er auf ärztliche Weisung hin auch anders nicht mehr tätig sein. Ferner bedrückt ihn, dass er Schulden hat, die eine frühere Lebensgefährtin bei Internetgeschäften gemacht hatte. „Ich hatte diese Geschäfte leider unterschrieben. Das war fahrlässig“, bekennt Ralf A., dass ihm im Zuge seiner gesundheitlichen und persönlichen Schicksalsschläge auch eigene Fehler unterliefen.
Vor einigen Jahren zog er endgültig nach Ingolstadt. Seine Schwester machte ihn auf die Caritas-Wohnheime und Werkstätten vor Ort aufmerksam. Seit 2009 absolviert er dort eine Therapie. „Ich hatte damals keine Lebensperspektive mehr. Ich war froh, erst einmal von meinen Ex-Frauen weggekommen zu sein und dann einen Neuanfang machen zu können, bei dem ich kompetente Hilfe erfahren habe“, schöpfte Ralf A. neue Hoffnung. Er startete eine Halbtages-Arbeitstherapie im Gaimersheimer Caritas-Markt bei der Möbelannahme. „Das machte ich sehr gerne, und ich hatte das Gefühl, wieder Fuß zu fassen.“ Doch vor einem halben Jahr hatte er erneut Pech. Ralf A. erlitt einen Leistenbruch und musste wieder aufhören zu arbeiten. Operiert worden ist er bisher nicht. Zwei Kliniken schätzten das Risiko für eine Narkose aufgrund seiner Leberzirrhose als zu hoch ein.
Hoffen auf die Operation
Doch er und seine Caritasbetreuerin Nina Wild hoffen darauf, dass es mit einer Operation demnächst noch klappt. „Ralf A. war hier auf einem guten Weg. Wenn er sich hoffentlich gesundheitlich stabilisiert, was derzeit das Wichtigste ist, sollte es ihm gelingen, später wieder eigenständig wohnen zu können und stundenweise auf dem zweiten Arbeitsmarkt tätig zu sein“, zeigt die Sozialpädagogin Perspektiven auf. Denkbar sind nach ihrem Eindruck für Ralf A. zum Beispiel ein „Ein-Euro-Job“ oder ein Zuverdienst neben einer Erwerbsminderungsrente. Sie schätzt an Ralf A., „dass er seine Arbeitstherapie im Caritas-Markt stets zuverlässig absolviert hat, er selbst seinen Haushalt ordentlich führt und sich trotz seiner Schicksalsschläge grundsätzlich nicht in eine depressive Grundstimmung hat herabziehen lassen.“ Mit der Leberzirrhose wird Ralf. A. vermutlich immer leben müssen. Nicht abfinden wollen sich er und Nina Wild aber damit, dass sein Leben krankheitsbedingt arm wird: perspektivlos ohne Arbeit, neue Freiräume, Selbstverantwortung und Beziehungen. Auch und gerade Menschen mit Krankheiten brauchen soziale Chancen. Nina Wild will diese mit und für Ralf A. suchen und nutzen.
„Jeder verdient Gesundheit“
Betreute in Caritas-Wohnheimen und Werkstätten haben Probleme mit Kosten
„Jeder verdient Gesundheit“, fordert die Caritas in ihrer Jahreskampagne. In Deutschland gibt es ein Recht, krankenversichert zu sein. Doch auch hier geraten Menschen mitunter in finanzielle Bedrängnis, wenn sie zum Beispiel zuzahlungspflichtige Medikamente, Zahnersatz oder Brillen erwerben müssen: etwa Betreute in den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten Ingolstadt. "Der Bezirk Oberbayern als unser Kostenträger ist dafür nicht zuständig, und die Krankenkassen bezahlen nur einen Teil der Kosten. Mit dem wenigen Taschengeld, das unseren Bewohnern zur Verfügung steht, können sie die anstehenden Kosten nicht bezahlen", macht Einrichtungsleiter Michael Rinnagl auf eine Lücke im Sozial- und Gesundheitssystem aufmerksam. Der Abteilungsleiter des Sozialdienstes der Einrichtung, Stephan Knitl-König, nennt einige problematische Beispiele.
Praxisgebühren: Seit 2004 ist in jedem Quartal beim ersten Arzt- sowie Zahnarztbesuch eine Praxisgebühr von zehn Euro fällig. Unsere Betreuten erhalten vom Bezirk Oberbayern einen monatlichen „Barbetrag zur persönlichen Verfügung“ von 100,98 Euro. Davon müssen sie auch die Praxisgebühr bezahlen. Mancher vermeidet daher einen Arztbesuch oder hat einfach kein „Taschengeld“ mehr übrig, um sich den Arztbesuch zu „leisten“.
Zuzahlungen: Bei einer Krankenhaus- oder Anschlussheilbehandlung sind zehn Euro pro Tag zu zahlen. Arzneimittel, die nur apotheken- aber nicht verschreibungspflichtig sind wie Schmerzmedikamente für leichte Schmerzen, Grippemittel, Vitaminpräparate oder viele Salbenzubereitungen, müssen von den Klienten selbst gekauft werden. Für verschriebene Medikamente müssen sie zuzahlen. Häufig kommt es vor, dass von uns betreute und andere wohnungslose Menschen das Geld dafür nicht aufbringen können. Eine Zuzahlungsbefreiung wird erst erteilt, nachdem Belege gesammelt und vorgelegt werden, die nachweisen, dass eine Belastungsgrenze von 89,76 Euro – bei chronisch Kranken 44,88 Euro – erreicht ist.
Kosten für Brillen: Diese werden außer bei höchstgradiger Sehbehinderung nicht übernommen. Neulich wollte ein Klient unserer Einrichtung nach acht Jahren eine neue Brille, da die bisherige nicht mehr seiner Sehstärke entsprach. Für die benötigten 8,5-Dioptrin-Gläser reichten seine „Ersparnisse“ vom „Sozialhilfetaschengeld“ nicht aus. Daher mussten die Caritas-Wohnheime und Werkstätten aus Spenden einen Teil der Kosten übernehmen.
Weitere Kosten: Die Kosten vieler Leistungen wie Laboruntersuchungen, Zusatzuntersuchungen für Krebsvorsorge oder Akupunkturbehandlungen stellen für sozial schwache Menschen wie die von uns Betreuten eine finanzielle Herausforderung dar und können vielfach nicht finanziert werden. An weitere gesundheitsfördernde Maßnahmen, etwa die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio oder die Anschaffung einer rückenfreundlichen Matratze, ist nicht zu denken.
Mehr Informationen zur Caritas-Jahreskampagne "Armut macht krank" ...