Engagiert für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling
Arthur Biesalski war vor drei Jahren abends in der Saarbrücker Innenstadt unterwegs. Vor der Galeria Kaufhof sah er ein paar junge Leute auf dem Boden sitzen. Kerzen brannten, zwei Polizisten standen daneben. Eine Demo? "Was macht denn ihr da?", hat er gefragt. "Wir reden miteinander", antwortete einer. Biesalski war der Einzige, der stehen blieb. Und erfuhr: Einer der Jungen sei erst 15 und ohne Papiere und nun in der Zentralen Aufnahmestelle des Saarlands für Flüchtlinge in Lebach als Asylsuchender untergebracht. Voller Angst und Unsicherheit unter lauter Erwachsenen und für ihn Fremden. Per Handwurzeluntersuchung sei er als erwachsen erklärt worden.
Biesalski, heute 76, seit vielen Jahren aktiv in KAB, Kirche, Caritas, CDA und CDU sowie Gewerkschaften, sagt über diesen Moment: "Eine zufällige Begegnung, aber dann schlägt das Herz. Ich versprach, mal bei einem Bekannten von der Saarbrücker Caritas nachzufragen, was man tun könnte."
Herausholen aus Angst und Trauma
Man kann vieles tun, Biesalski lebte das "Wir schaffen das"-Motto von Angela Merkel schon zuvor im Engagement für Flüchtlingsfamilien, für verfolgte Christen in Syrien oder als Mitglied im saarländischen Flüchtlingsrat. Dazu kam seit 2017 sein Einsatz für Alireza, so heißt der damals 15-, heute 18-jährige im Iran Geborene mit afghanischen Eltern. Vater verschollen im Kriegsgebiet, jüngerer Bruder entführt und verschwunden im Iran. Alireza selbst war dort von Verfolgern vom Fahrrad gerissen und mit dem Messer schwer verletzt worden. Von der Mutter mit dem letzten Geld gemeinsam mit dem zwei Jahre älteren Bruder Schleusern anvertraut, auf dem gefährlichen Weg durch Länder und Kontinente dann im Saarland gelandet, allein - den älteren Bruder verschlug es nach Frankreich.
Biesalski erinnert sich: "Alireza war anfangs sehr verängstigt und traumatisiert. Das Sprachproblem war sehr schwierig. Aber mit der Zeit hat er Vertrauen gefasst und sich positiv entwickelt." Dabei hat er ihn begleitet, zum Arzt und zur Beratungsstelle, zu Behörden, zu Rechtsanwalt und Gerichten, hat telefoniert, geschrieben, Anträge ausgefüllt, geredet und notfalls gestritten.
So unterstützt, durfte Alireza eine Berufsbildungsschule besuchen, den Hauptschulabschluss machen. "Er ist immer einer der Besten, kein Streber, er hilft auch den anderen in der Klasse." Jetzt hat er gerade die Mittlere Reife gut bestanden. Arthur Biesalski hat nicht nur bei Sozial- und Erdkunde geholfen ("von Mathe und anderem verstehe ich nicht genug"). Und: "Wir haben auch dank seiner guten Integration erreicht, dass er sich seit Anfang des Jahres im Saarland frei bewegen darf." Welche Talente hat sein Schützling? "Er ist sehr lernwillig und zielstrebig, verlässlich und erwartet es auch von anderen. Seine gute Art und Kommunikation kommt an bei den Menschen, er ist freundlich, nie laut und aggressiv."
Das ist gut, denn am Wochenende oder in Schulferien lebt Alireza im Gästezimmer, unter der Woche hat er einen Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung - allein unter Kindern als - laut BAMF-Entscheidung angeblich Volljähriger. Durch dieses Angebot des Kreisjugendamtes besteht nun keine Wohnortpflicht im Zentrum Lebach mehr.
Jeder bleibt bei seinem Glauben
Und Biesalski teilt mit ihm Zeit, ermöglicht ihm, in der Stadtbibliothek Bücher auszuleihen. Fährt ihn im Auto zu Praktikumsstellen. Sie gehen spazieren im Stadtgarten. Und sie diskutieren über Politik, Geschichte und Religion. Denn Arthur ging in der Karwoche beten, Alireza ist Muslim und fastet im Ramadan streng bis 21 Uhr.
Sie fahren in Biesalskis Auto zusammen auf den Verkehrsübungsplatz, weil Alireza ja mal den Führerschein machen will. Und sie besprechen alles miteinander, auch die Fragen von Aufenthaltsrecht und Integrationsmöglichkeiten. Denn Alireza strebt ein Fachabitur an und würde gern Informatik studieren. So richtet er mit einem Tablet den Arbeitsplatz für die KAB-Videokonferenz zur saarländischen Krankenhauspolitik zu Corona-Zeiten für Arthur Biesalski ein, was dieser nach eigenem Bekunden nie schaffen würde. Alireza trifft sich mit Freunden, er telefoniert viel, auch mit dem Bruder in Metz oder der in tiefer Armut lebenden Mutter in Iran, die beide mit ihren bescheidenen Möglichkeiten so gut es geht unterstützen.
Warum macht Biesalski das? Er versteht sich als politischer Christ, der den diakonischen Dienst als Zeugnis des Glaubens sieht. Und als Auftrag zum Kampf für gerechte, solidarische und menschenwürdige Lebensbedingungen besonders für jene, die in Armut, Not, Gefahr, Unterdrückung und Benachteiligung leben oder auf der Flucht sind. "Das Engagement lohnt sich. Die Kirche sind doch wir, damit die Welt ein Stück gerechter wird."
Die Haltung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge empfindet Biesalski im speziellen Fall als unbarmherzig, realitätsfern, überbürokratisch und - womöglich gewollt - abschreckend. Dass das BAMF die - wegen der Mitwirkungspflicht des Klägers - mit viel Mühe, Aufwand und Kosten aus Afghanistan beschaffte Abstammungsurkunde zwar für echt hält, aber das in dieser "Tazkira" dokumentierte Geburtsdatum1 nicht anerkennt, ist für ihn schlicht unverständlich.
Danke für die Unterstützung
Entmutigen lässt er sich aber nicht. "Auch wenn wir schon zweimal mit unserer berechtigten Klage vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes verloren haben, werde ich weiter dafür kämpfen, Alireza eine hoffnungsvolle, lebenswerte Zukunft hier bei uns zu ermöglichen." Auch in dessen Namen dankt er Mitarbeitenden in Einrichtungen und Behörden, die in Wort und Tat geholfen haben, und anderen Unterstützer(inne)n.2
Anmerkungen
1. Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten in Deutschland besondere Regeln: Sie unterliegen dem Kinder- und Jugendhilferecht, der Schulpflicht und dem Jugendstrafrecht. Sie haben Anspruch auf einen gesetzlichen Betreuer. Das Jugendamt stellt im sogenannten Clearingverfahren das Alter fest. Oft wird es nur geschätzt. Gelten sie als Minderjährige, sind sie vor Abschiebung geschützt.
2. Arthur Biesalski wurde in seinem Engagement immer wieder inhaltlich und auch materiell unterstützt vom Caritasverband Saarbrücken und Lebach, aber auch von seiner Kirchengemeinde St. Jakob/Heilig Kreuz: so, als es um die Finanzierung von Klage und Rechtsanwalt für Alireza ging und einige Hundert Euro fällig wurden. Aber auch, wenn es um Know-how in den leider sehr komplexen und verästelten Details von Aufenthaltstiteln und Bleiberecht ging.
Helmut Selzer, Geschäftsführer der Caritaseinrichtungen in der Landesaufnahmestelle für Vertriebene und Flüchtlinge in Lebach, kennt den Fall genau und hat sich immer wieder hilfreich eingeschaltet: Er bestätigte, dass die Lernvoraussetzungen für Alireza in der Unterkunft in Lebach ebenso wie die Nahverkehrsanbindungen für seinen Schulbesuch sehr nachteilig seien, oder intervenierte, als der Antrag auf Asyl abgelehnt und auch die Duldung nicht gewährt wurde. Auch als das Jugendamt einbezogen wurde, um durch einen Antrag auf Vormundschaft den Schutz für den jungen Flüchtling zu sichern.
Zugleich hat die Caritas in Lebach keine Mittel und Möglichkeiten zur Unterstützung und Begleitung von Ehrenamtlichen im Engagement. "Es gab zwar immer ehrenamtliches Engagement, anfangs sogar viel. Aber Arthur Biesalski ist nun der Einzige, der sich derzeit hier einsetzt." Mit Erfolg und Ausdauer.