Aus für eine erweiterte Impfpflicht – was nun?
Lange, leidenschaftlich und emotional wurde im Parlament um die Einführung einer Impfpflicht gerungen. Zu Recht, denn eine solche Verpflichtung stellt einen starken Grundrechtseingriff dar, der wohlbegründet sein muss. Zur Debatte stand am 7. April 2022 im Bundestag ein Kompromissvorschlag, den die Gruppe der Befürwortenden der allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren um Heike Baehrens und Janosch Dahmen auf der einen Seite und die Gruppe der Befürwortenden der Impfpflicht ab 50 Jahren um Andrew Ullmann et al. erzielt hatten. Beide Seiten haben sich stark aufeinander zubewegt und auch Elemente des Unionsantrags zu einer Impfvorsorge, vor allem das Einführen eines Impfregisters, integriert. Eingebracht wurde schließlich ein Gesetzentwurf, der eine verpflichtende Impfberatung für alle noch nicht geimpften Personen ab 18 Jahren vorsah. Zudem war die Einführung einer Impfpflicht ab 60 Jahren ab dem 15. Oktober vorgesehen. Diese hätte im Herbst gemäß einem noch zu treffenden Bundestagsbeschluss um eine frühestens ab 15. Oktober geltende Impfpflicht für die Altersgruppen 18 bis 64 ergänzt werden können. Alle Verpflichtungen waren bis 31. Dezember 2023 befristet. Zudem hätte der Bundestag die Regelungen jederzeit wieder aufheben können.
Der Deutsche Caritasverband (DCV) hat den Kompromissentwurf unterstützt, denn das Konstrukt ähnelte der "bedingten" allgemeinen Impfpflicht, für die sich der Verband als ergänzenden Schritt zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht bereits beim Impfpräventionsgesetz vom Dezember 2021 ausgesprochen hatte. Eine "bedingte" Impfpflicht bedeutet, dass die Verpflichtung zur Impfung nur in Kraft treten soll, wenn bis zu einem gesetzlich zu bestimmenden Zeitpunkt eine auf der Grundlage der Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts festzulegende Impfquote nicht erreicht ist. Denn Zwang müsse immer die Ultima Ratio bleiben, wenn alle milderen Mittel ohne Erfolg ausgeschöpft sind. Diese Position hat der DCV auch in der Anhörung der Gesetzentwürfe und in Anträgen zur Impfdebatte im März 2022 im Gesundheitsausschuss bekräftigt. Aus Sicht der Caritas ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht allein nicht ausreichend, um den Schutz vulnerabler Personen sicher zu gewährleisten. Wenn mit Stand Anfang April immer noch 25 Prozent der Menschen in Deutschland nicht geimpft sind und sich die Tendenz einer stagnierenden Impfquote fortsetzt, ist dies vor allem für Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, eine große Gefahr. Schon heute zeigt sich, dass insbesondere ungeimpfte an Covid-19 erkrankte Personen häufig ins Krankenhaus und auf Intensivstation eingeliefert werden müssen. Aufgrund dieser hohen Patient:innenlast müssen nach wie vor geplante Operationen oder Behandlungen verschoben werden. Aber auch diese Patient:innen haben ein Recht auf gesundheitliche Versorgung und darauf, dass weitere gesundheitliche Schädigungen abgewendet werden. Triage-Situationen müssen dringend vermieden werden. All diese Argumente haben aus Caritassicht dafür gesprochen, die Impfpflicht über den Einrichtungsbezug hinaus zu erweitern. Sie hätte sich auch auf Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren erstrecken sollen, da die STIKO für diese Gruppen die Impfung ausdrücklich empfiehlt und diese in der Regel auch selbst bei medizinischen Eingriffen einwilligen können.
Kritik an Wegfall der Maskenpflicht
Wie kann und sollte es nach dem Scheitern einer weitergehenden Impfpflicht weitergehen? Wie kann verhindert werden, dass die Beschäftigten von sozialen Einrichtungen und Diensten, die vulnerable Personen betreuen, die Lasten des Schutzes dieser Gruppen allein schultern müssen? Zunächst ist nüchtern festzustellen: Anders, als es der Geist der jüngsten Novellierung des Infektionsschutzgesetzes vom März 2022 atmet, ist die Pandemie keineswegs vorüber. Das Infektionsschutzgesetz hat etwa schon mit dem Fallen der Masken bei Physiotherapeut:innen Löcher ins Netz der Schutzmaßnahmen gerissen. Kritisch zu sehen ist, dass die Maskenpflicht in Innenräumen sowie die Abstands- und Hygieneregeln weggefallen sind.
Schutz vulnerabler Gruppen nicht den Einrichtungen aufbürden
Es kann nicht sein, dass der Schutz vulnerabler Personen von der Gesellschaft allein den betreuenden Einrichtungen und Diensten aufgebürdet wird. In jedem Fall muss schnell ein Impfregister aufgebaut werden. Anders als in den Gesetzentwürfen der Impfpflicht ab 18 oder 50 vorgesehen, sollte eine staatliche Stelle und nicht die Krankenkassen mit dieser Aufgabe betraut werden. Denn die Krankenkassen müssen diese Daten in gleicher Weise erheben wie eine staatliche Institution, sie können dies aber nicht für die mindestens 80.000 Nichtversicherten tun. Die Entwicklung der pandemischen Lage sowie der Impfquoten ist bis zum Sommer sorgsam zu beobachten. Gleichzeitig müssen Bund und Länder mit allen Mitteln versuchen, die Impfquoten zu erhöhen. Es gilt, den in den Köpfen verfestigten, von politisch entsprechend motivierten Kreisen bewusst betriebenen Falschinformationen entgegenzutreten: Dies sind vor allem die Mythen der Unfruchtbarkeit, der angeblich genverändernden Wirkung der mRNA-Impfstoffe und dass Omikron nur ein harmloser Schnupfen sei. Nicht zuletzt muss klar gesagt werden: Die Impfung verspricht keinen absoluten Schutz vor einer Infektion, sehr wohl aber vor schweren oder gar tödlichen Verläufen und Hospitalisierung. Falschinformationen sind gezielt aufzudecken, um Ängsten und Unsicherheiten vieler Ungeimpfter begegnen zu können. Dies muss niedrigschwellig und zielgruppenspezifisch passieren, auch durch geeignete mehrsprachige Informationen. Auf der Grundlage eines Impfregisters könnten Impfeinladungen in die noch bis mindestens Ende 2022 bestehenden Impfzentren erfolgen. Denn eines ist klar: Die Impfung wirkt. Die Politik bleibt weiterhin in der Pflicht, alle Maßnahmen zu ergreifen, die die Bevölkerung schützen.
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