Alleinerziehend und arbeitslos
Die 37-jährige Julia Kramer ist alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern, Mia (3) und Noah (5), Einzelhandelskauffrau und arbeitslos. Lange Wartelisten für einen Kitaplatz, starre Arbeitszeiten und das Stigma der mangelnden Belastbarkeit, das einer Alleinerziehenden aus der Sicht vieler Personalverantwortlichen anlastet, erschweren ihr den Wiedereinstieg in den Beruf. Für Julia Kramer, die in Wirklichkeit anders heißt, steigt damit das Risiko der Altersarmut; ihre Kinder wachsen in relativer Armut auf und haben schlechtere Zukunftsperspektiven.
Die Familie ist mit diesem Problem nicht allein: Im Jahr 2021 gab es in Deutschland rund 2,6 Millionen Alleinerziehende1, gut 80 Prozent davon waren Frauen. Eine Untersuchung des Deutschen Caritasverbandes in Zusammenarbeit mit CorrelAid2 hat sich nun der Frage gewidmet, welchen Einfluss diese Lebenssituation auf die Chancen der - vorwiegend weiblichen - Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt hat. Dafür wurden Daten der Stichtagserhebung der Allgemeinen Sozialberatung (ASB) der Caritas vom 23. September 2021 ausgewertet, in der Klient:innen der ASB über ihre Lebensumstände und persönliche Herausforderungen am Arbeitsmarkt befragt wurden. Die Daten wurden mit mehreren Zielen ausgewertet: Um herauszufinden, wer das Angebot der ASB wahrnimmt, welche Bevölkerungsgruppen mehr Unterstützung benötigen und wie die ASB verbessert werden könnte sowie um das Potenzial der erhobenen Daten aufzuzeigen.3
Von den 2526 am Stichtag beratenen Klient:innen gaben 44 Prozent an, Arbeitslosengeld II (ALG II) zu beziehen, davon waren 58 Prozent Frauen. Von Arbeitslosigkeit betroffen waren 62 Prozent der Alleinerziehenden, aber nur 44 Prozent der Alleinstehenden und 37 Prozent der Menschen in einer Partnerschaft. Wer sich allein um seine Kinder kümmern muss, hat es also schwerer auf dem Arbeitsmarkt. Wie auch in der Bevölkerung zeigt sich hier ebenfalls ein starkes Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern: 94 Prozent der Alleinerziehenden mit ALG-II-Bezug waren Frauen.
Alleinerziehende sind länger arbeitslos
Arbeitslos zu werden ist das eine, jedoch ist auch die Aufgabe, aus der Arbeitslosigkeit wieder herauszukommen, eine große Herausforderung. Um die Gefahr von längerfristiger Arbeitslosigkeit zu ermitteln, wurde deshalb im nächsten Schritt die Länge des Bezugs über verschiedene Personengruppen betrachtet. Es stellte sich heraus, dass 30 Prozent der alleinerziehenden Klient:innen der ASB bereits seit mehr als drei Jahren ALG II erhalten, während dies seltener auf Alleinstehende und verpartnerte Personen (17 Prozent) zutraf (siehe Abbildung rechts).
Das Risiko, jahrelang in der Arbeitslosigkeit zu verbleiben, ist bemerkenswerterweise für Alleinerziehende mit Migrationshintergrund niedriger: Nur 36 Prozent der arbeitslosen Alleinerziehenden mit Migrationshintergrund gaben an, länger als drei Jahre ALG II zu beziehen, bei jenen ohne Migrationshintergrund waren es dagegen 58 Prozent.4 Betrachtet man den Bildungsgrad, so lässt sich eindeutig feststellen, dass diejenigen Alleinerziehenden ohne Abschluss beziehungsweise nur mit Schulabschluss stärker von längerfristiger Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Neben einer Auswertung der reinen Häufigkeiten wurden Regressionsanalysen genutzt, um das Risiko der Klient:innen, arbeitslos zu werden und dann länger als drei Jahre ALG II zu beziehen, zu berechnen. Dabei zeigte sich, dass Alleinerziehende eine um 19 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit haben, ihren Job zu verlieren und auch ein um 14 Prozentpunkte höheres Risiko, mehr als drei Jahre arbeitslos zu bleiben. Verglichen wurde die Gruppe mit Alleinstehenden und Menschen in einer Partnerschaft.
Auch die Anzahl der Kinder hatte einen signifikanten Effekt: Bei Alleinerziehenden mit drei oder mehr Kindern steigt das Risiko, drei oder mehr Jahre im ALG-II-Bezug zu verbleiben, um weitere 19 Prozentpunkte gegenüber dem der Alleinerziehenden mit weniger Kindern. Es ist anzunehmen, dass vor allem die höheren Anforderungen durch mehrere Kinder den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt weiter erschweren.
Probleme mit dem Jobcenter
Im Fragebogen wurde außerdem erhoben, ob die Klient:innen Schwierigkeiten mit dem Jobcenter haben. Die Wahrscheinlichkeit dafür war bei Alleinerziehenden ebenfalls erhöht, um neun Prozentpunkte im Vergleich zu anderen Klient:innen der ASB. Am häufigsten gaben alleinerziehende Arbeitslose an, Probleme mit der Erreichbarkeit des Jobcenters zu haben (33 Prozent), gefolgt von der Leistungsbewilligung (30 Prozent) und der Antragstellung (22 Prozent).
Alleinerziehende befinden sich in einer besonders schwierigen Situation: Sie haben ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden und über Jahre hinweg auf ALG-II-Bezug angewiesen zu sein, also auf dem Niveau der Grundsicherung zu verbleiben. Jahrelange Arbeitslosigkeit erhöht wiederum das Risiko späterer Altersarmut.
Ein weiteres Problem ist Kinderarmut: Gerade Alleinerziehende sind oft gar nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig und ihre Familien rutschen so unter die Armutsgrenze.5 Entsprechend wächst knapp die Hälfte (45 Prozent) aller Kinder in der Grundsicherung in einer Einelternfamilie auf.6 Kinder, die in relativer Armut leben, leiden unter einem schlechteren Zugang zu Bildung, Sport und Kultur: Zum Beispiel haben sie zu Hause öfters keinen eigenen Computer mit Internetzugang; die Mitgliedschaft im Sportverein oder der Besuch von Kinos und Museen sind zu teuer.7 Stärkere und gezielte Unterstützung für Frauen wie Julia Kramer würde also nicht nur den Alleinerziehenden helfen, einen Weg aus der Arbeitslosigkeit und relativen Armut zu finden, sondern auch ihren Kindern soziale Teilhabe und bessere Zukunftsperspektiven ermöglichen.
* Weitere Autor:innen und Analyst:innen bei CorrelAid: Christoph Wolf, Dylan Thurgood, Katharina Potinius, Sven Ehmes.
Anmerkungen
1. Quelle: Statistisches Bundesamt: Mikrozensus 2020, Kurzlink: https://bit.ly/3xQxDu2
2. Ein gemeinnütziges Netzwerk, das sich mit Hilfe von Data Science fürs Gemeinwohl einsetzt, https://correlaid.org
3. Die ASB-Stichtagserhebung, die der Analyse zugrunde liegt, erfasst anhand standardisierter Fragebögen, wer mit welchen Problemlagen die ASB aufsucht. Die Erhebungsbögen umfassen auch politisch brisante Themen wie die Lage Alleinerziehender. Die Daten wurden auf Ebene der Bundesländer und Diözesen aggregiert, so dass keine Rückschlüsse auf individuelle Personen gezogen werden können. Die Skripte können unter
https://github.com/CorrelAid/caritas-projecteingesehen werden.
4. Diese Differenz könnte viele Ursachen haben, zum Beispiel Unterschiede in der Bildungsbiografie, dem sozialen Rückhalt oder der Bereitschaft, besonders fordernden Tätigkeiten nachzugehen.
5. Quelle: Malteser Hilfsdienst; Kurzlink: https://bit.ly/3Owwz5X
6. Quelle: Bertelsmann-Stiftung, Kurzlink: https://bit.ly/3NexFBJ
7. Ebd.
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