Neuland in der Krankenhausplanung: Fälle statt Betten sind entscheidend
Der staatliche Sicherstellungsauftrag und damit die Krankenhausplanung Nordrhein-Westfalen (NRW) ist Ausdruck der Verantwortung für eine quantitativ und qualitativ gute gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Aufgabe der Bundesländer ist es, diesen Versorgungsanspruch umzusetzen. Dies zeigt sich unter anderem in der Garantie der wohnortnahen Versorgung, der Gewährleistung einer hochwertigen Notfall- und Akutversorgung und in einem differenzierten Angebot an Behandlungsmöglichkeiten inklusive Wahlfreiheit für Patient(inn)en.
Mit dem Krankenhausgestaltungsgesetz des Landes NRW von 2007 wollte die damalige Landesregierung keine Schwerpunkte mehr festlegen, stattdessen die Gestaltungsfreiheit der Krankenhausträger stärken - mit Hilfe der Regelungswirkung des Marktes. Die Erwartung, damit Überkapazitäten abzubauen, erfüllte sich nicht. In den Regionen entwickelten sich parallele Angebotsstrukturen und unter den Häusern entstand ein harter Konkurrenzkampf. Mehr und mehr Häuser gerieten in wirtschaftliche Schieflage und an den Rand der Insolvenz. Der Ausstieg großer gemeinnütziger Träger aus dem inzwischen zum Risikobereich definierten Krankenhaussektor war die Folge. Der Kampf um ärztliches und pflegerisches Personal führte zu hohen Abwerbesummen.
Der Krankenhausplan 2015 schwenkte wiederum zu einer qualitätsorientierten Planung um. Die Bettenzahl bildete weiterhin die Planungsgrundlage, jedoch sollten etwa 10.000 Betten abgebaut werden. Ansätze einer qualitätsorientierten Planung sollten erstmals über bundes- und landeseigene Qualitätskriterien und Mindestmengen erfolgen. Der Plan entfaltete allerdings keine steuernde Wirkung. Der Verzicht auf eine detaillierte Rahmenplanung und die unpräzisen Qualitätsstandards machten die Umsetzung und erst recht die Überprüfung unmöglich.
Beim Blick auf NRW dürfen parallele Entwicklungen der Bundesebene nicht außer Acht gelassen werden. Der rechtliche Regelungsbereich für das Gesundheitssystem ist in den vergangenen Jahren so differenziert und komplex geworden, dass selbst Experten nicht mehr alles erfassen können. Einerseits wurde eine Vielzahl an Gesetzen in kurzer Zeit verabschiedet, anderseits vollzog sich eine Kostenexplosion im Krankenhausbereich, der man mit den unterschiedlichen Maßnahmen Einhalt gebieten wollte.
Mit dem Krankenhausstrukturgesetz 2015 wollte die Bundesregierung den Rahmen für eine Weiterentwicklung von qualitativen Standards und eine nachhaltige Sicherung der Betriebskosten der Häuser setzen sowie Unterstützung bei Umstrukturierungsprozessen geben. Ein ähnliches Ziel verfolgte man mit dem Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung 2016. Aus Sicht der Krankenhausträger stellten sich die beabsichtigten Verbesserungen insbesondere im Hinblick auf die finanzielle Situation der Häuser nicht ein. Hinzu kam der Eindruck, in der Politik herrsche ein tiefes Misstrauen gegen die Krankenhäuser. Indizien dafür waren unter anderem die neuen, umfassenden Kontrollrechte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und die Diskussion über "Qualitätszu- und -abschläge"
Der Markt regelt es nicht
Der Paradigmenwechsel weg von der Regulierung durch den Markt scheint notwendig und wird von vielen Akteuren im Bereich bestätigt. Politisch will NRW künftig wieder verstärkt seine Steuerungsfunktion wahrnehmen. Für welchen Ansatz hat sich das Land NRW dabei entschieden?
In der öffentlichen Debatte gab es Stimmen, die ein in Dänemark entwickeltes zentralistisches Modell für die Bundesrepublik für zukunftsfähig erachteten. Dabei wurden kritische Aspekte ausgeblendet, etwa die historisch gewachsenen Krankenhausstrukturen und die föderale Zuständigkeit in Deutschland. So erschien dieses Modell auf den zweiten Blick nicht stimmig und galt weder bei den Akteuren im Gesundheitswesen noch in der Bevölkerung als zustimmungsfähig.
Die Schweiz als Vorbild
Auch in der Schweiz wollte man die Überversorgung mit Krankenhausleistungen reduzieren und die Kosten dämpfen. Dort entwickelt man im Unterschied zu Dänemark Ansätze, die die regionalen Erfordernisse und Bedarfe in den Kantonen berücksichtigten. Das Land NRW entschied sich für eine Adaptation dieses Modells und erarbeitete in einem aufwendigen Prozess den neuen Krankenhausplan NRW. Dieser völlig neue Ansatz wird bundesweit aufmerksam beachtet und könnte zur Blaupause für die anderen Bundesländer werden (S. a. neue caritas Heft 13/2020, S. 21ff.)
Grundlage war ein umfangreiches Gutachten, welches die Analyse der Versorgungssituation in NRW ermitteln, die Bedarfsprognose bis 2030 erstellen und Empfehlungen für eine neue Planung machen sollte. Der neue Ansatz wurde in einem breit angelegten Prozess durch Arbeitsgruppen des Landesauschusses für Krankenhausplanung unter Beteiligung der Vertreter(innen) der Krankenhausgesellschaft, der Ärztekammern, der Krankenkassen, der kirchlichen Büros, der Patientenvertreter(innen), der Pflege, der Universitätskliniken, der Landschaftsverbände, der kommunalen Selbstverwaltung von Oktober 2019 bis Frühjahr 2021 entwickelt. Alle Beteiligten mussten sich dazu auf die neue Systematik einlassen. Viele Annahmen aus dem Gutachten wurden verworfen, neue Modelle entwickelt. Entscheidend für den Erfolg war die Bereitschaft aller zur Konsensfindung und zum Kompromiss. Auswirkungsanalysen brachten schließlich Klarheit über Grenzen und Möglichkeiten des neuen Systems. Der entscheidende Neuansatz: An die Stelle von Bettenzahlen treten Fallzahlen, die medizinischen Leistungsbereichen und -gruppen zugeordnet werden, sowie Qualitätsvorgaben. Der Zuschnitt der Leistungsbereiche und Leistungsgruppen wurde gemeinsam definiert (circa 35 Leistungsbereiche und 70 Leistungsgruppen). Diese werden über OPS (Operationen- und Prozedurensystem) und die Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern abgebildet und den Fachabteilungen zugeordnet. Qualitätsindikatoren (Struktur und Personal) und Auswahlkriterien sollen steuernde Elemente für die Auswahl von Leistungsanbietern sein. Das Recht und die Pflicht auf Leistungserbringung im Notfall bleiben bestehen. Der Bedarf orientiert sich an prognostizierten Fallzahlen, dem demografischen Wandel und dem möglichen Ambulantisierungspotenzial. Ein fortlaufendes Monitoring wird die Umsetzung überprüfen und notwendige Anpassungen vornehmen.
Der weitgehende Konsens im Landesausschuss erfährt gleichwohl aus unterschiedlichen Richtungen und zu verschiedenen Aspekten Widerspruch. Manche Träger werten die vorgeschlagene Struktur als weiteren Baustein der Überregulierung des Gesundheitssystems. Aus ihrer Sicht dürfen Vereinbarungen zur Leistungsmenge nicht ein starres Korsett bilden, sondern müssen über regional gestaltbare Korridore Flexibilität und Entwicklung zulassen.
Caritasverbände mahnen an, dass die wohnortnahe Krankenhausversorgung gefährdet sein könnte, und äußern Bedenken, ob der Zugang zu Krankenhausleistungen für die Menschen in ländlichen Regionen sichergestellt ist. Man befürchtet eine Einschränkung der Wahlfreiheit wie auch die mangelnde Berücksichtigung vulnerabler Patientengruppen.
Caritasverbände haben sich klar positioniert
Als Fazit ist festzustellen:
◆ Das Land NRW nimmt seine planerische Letztverantwortung wahr.
◆ Die kontinuierliche Beobachtung und Weiterentwicklung der Versorgungslandschaft (zum Beispiel Konsequenzen der Pandemie) durch die an der Krankenhausplanung beteiligten Akteuren scheint gesichert.
◆ Die Trägervielfalt bleibt weiterhin gewollt.
◆ Die Erreichbarkeit eines Krankenhauses soll für alle Bewohner innerhalb von 20 Minuten gesichert sein.
◆ Für Häuser, deren Weiterbestand durch die neue Planung gefährdet ist, braucht es ein von den politischen Ebenen gestütztes Übergangskonzept.
Die katholischen Krankenhäuser in NRW bilden auch zukünftig eine zentrale Säule in der Versorgung und halten bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen vor. Die fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW haben in einem Positionspapier zur Zukunft der Krankenhäuser klar Stellung bezogen.
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