Mit sorgenden Gemeinschaften und Pflegenetzwerken die Zukunft stemmen
Der demografische Wandel, die zunehmende Anzahl pflegebedürftiger Menschen und der gravierende Fachkräftemangel in der Pflege stellen derzeit besondere Herausforderungen dar. Die konfessionellen Träger der Altenhilfe1 wollen mit ihren Angeboten dazu beitragen, dass eine gute Pflege-Infrastruktur die sozial Schwachen, die Menschen in entlegenen Dörfern und die Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf (zum Beispiel am Lebensende) im Blick hat. Dabei stehen Caritas und Diakonie auch für eine faire und sachgerechte Entlohnung in der Altenhilfe mit tariflichen Vergütungen der Mitarbeitenden sowie für deren hochwertige berufliche Qualifizierung.
Caritas und Diakonie wollen auch zukünftig mit einem am Gemeinwohl orientierten Profil die Situation in der Pflege in Deutschland erkennbar mitgestalten – als sozialer Dienstleister, als Anwalt der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, als fairer und innovativer Partner der Mitarbeitenden und als Möglichkeitsraum für freiwilliges soziales Engagement für alte und kranke Menschen.
Caritas, Diakonie, Deutscher Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) und Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) stehen daher vor den folgenden fünf großen Aufgaben:
Sozialräumliche Sorgestrukturen vorhalten
Pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sind auf ein unterstützendes,
ressourcen-förderliches Umfeld in ihrer
Nachbarschaft und auf lokal verfügbare
Unterstützungsleistungen angewiesen. Diese
örtliche soziale Infrastruktur muss im Zusammenwirken
der Akteure der Altenhilfe
und professionellen Pflege, der Selbst- und
Nachbarschaftshilfe und der kommunalen
Daseinsvorsorge organisiert werden.
Eine zentrale Aufgabe der kommunalen
Daseinsvorsorge ist es, eine altersgerechte Infrastruktur zu schaffen, des Weiteren seniorengerechte Wohnformen
im Quartier, eine attraktive Dienstleistungs- und Behördenstruktur,
die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, Begegnungsräume
von Jung und Alt sowie Angebote der Kultur- und
Freizeitgestaltung. Dazu bedarf es einer umfassenden responsiven
und partizipativen Planung und Kooperation im Sinne einer bedarfsgerechten
Quartiers- und Stadtentwicklung.
Als Träger von sozialer Infrastruktur kennen Caritas und Diakonie die Lebenswirklichkeit der (alten) Menschen und ihr soziales Umfeld. Sie nehmen mit dieser Expertise eine unverzichtbare Funktion in den kommunalen Planungsprozessen und operativen Entscheidungen wahr und unterstützen diese zusätzlich mit ihrer zielgruppen- und generationenübergreifenden Perspektive.
Sorgende Gemeinschaften und Engagement fördern
Gemeinwohlorientierung lebt von freiwilligem bürgerschaftlichen
Engagement – gerade auch von und für ältere Menschen. Freiwilliges
Engagement ermöglicht es, soziale Beziehungen zu stärken und der
Vereinsamung im Alter entgegenzuwirken. Die Bereitschaft und
Fähigkeit der Menschen, im Sozialraum Verantwortung für ihre Mitmenschen
zu übernehmen, kann durch Pflegedienste, aber auch ins
Quartier geöffnete Pflegeeinrichtungen moderierend und unterstützend
aktiviert werden. In der Betreuung pflegebedürftiger Menschen
und bei ihrer Alltagsbegleitung und -gestaltung arbeiten Pflegeeinrichtungen
und niedrigschwellige, von Nachbarschaftshilfe und
ehrenamtlichem Engagement getragene Unterstützungsangebote Sektoren verbindend
eng zusammen. So können sorgende Gemeinschaften
entstehen, die nachhaltig und zuverlässig Verantwortung für das
Miteinander übernehmen – unterstützt unter Umständen auch durch
neue (genossenschaftliche) Modelle des Wohnens und der Unterstützung
im Alter.
Die Einbindung ehrenamtlichen Engagements in die professionelle
Dienstleistungserbringung – als echter Mehrwert für die Pflegebedürftigen
– sowie die Moderation und Aktivierung zivilgesellschaftlichen
Engagements gehören zu den Kernaufgaben von Diakonie und
Caritas. Mit den Grünen Damen und Herren, mit Freiwilligenagenturen
und Senioren-Kontaktbörsen bieten und erschließen die konfessionellen
Träger von Einrichtungen der Altenhilfe Räume für konkretes
Engagement.
Bedarfsgerechte, flexible Angebote entwickeln
Die steigende Zahl der pflegebedürftigen Menschen zeichnet sich durch eine sehr große Heterogenität der Lebensvorstellungen und der Unterstützungsbedarfe aus. Hinzu kommen wachsende regionale Unterschiede bei der demografischen, wirtschaftlichen und sozialstrukturellen Entwicklung.
Mehr denn je ist für diese spezifischen unterschiedlichen Bedarfe ein System vernetzter Versorgungsformen erforderlich. Die bestehende Angebots- und Dienstleistungs-Struktur für pflegebedürftige Menschen, die mehr als häusliche Pflege benötigen, aber nicht ins Pflegeheim übersiedeln wollen, muss ausgebaut werden. Zu diesem differenzierten Angebot gehören Tagespflege, Nachtpflege und Kurzzeitpflege, Betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften in Verbindung mit niedrigschwelligen Leistungen, mit Nachbarschaftshilfe, Mittagstisch und Freizeitangeboten.
Auch medizinische und therapeutische Angebote gehören zu diesen Netzwerkstrukturen. Sowohl für die Verhinderungspflege bei dringend erforderlicher Erholung der pflegenden Angehörigen als auch für die Nachsorge nach einem Krankenhaus-Aufenthalt fehlt es an Plätzen. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände setzen sich für den Ausbau flexibler Angebote und solitärer Kurzzeitpflege-Einrichtungen ein, die nur auf der Grundlage einer verlässlichen Finanzierung entstehen können.
In diesem System von vernetzten Versorgungsformen
wird die vollstationäre Pflege
ein wichtiger Baustein in der Angebots- und
Dienstleistungsstruktur für die Menschen
bleiben, die diese Wohnformen wählen und/oder Versorgungssicherheit benötigen. Ihre
Konzeptionen gilt es zielgruppenbezogen
weiterzuentwickeln.
Um den zukünftigen steigenden Pflege- und Betreuungsbedarf abdecken zu können, braucht es auch neue, innovative Angebote, die den Bedürfnissen von älteren, hilfs- und pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen entsprechen. Das Leistungs- und das Ordnungsrecht müssen weiterentwickelt werden, um abgestufte Begleitungs-, Wohn- und Versorgungsformen zwischen den vollstationären Pflegeangeboten und den ambulanten Pflegediensten ausbauen zu können.
Die Rahmenbedingungen für die ambulanten Wohnsettings müssen so geändert werden, dass eine Versorgungskontinuität bei einem zunehmenden Hilfe- und Pflegebedarf möglich ist. Gleichzeitig müssen aber auch die verlässlichen Unterstützungsleistungen die Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Menschen fördern. Hierzu gehört auch, dass die Leistungen der Pflegeversicherung einfacher, übersichtlicher und flexibler gestaltet werden müssen, als dies heute der Fall ist. Sie müssen passgenau auch den Bedürfnissen alleinstehender Menschen Rechnung tragen, die nicht mit der Unterstützung von Familienangehörigen rechnen können. Live-in-Care2 bedarf als ergänzendes individuelles Angebot einer ausreichenden Qualifizierung. Die Leistungen der Pflegeversicherung müssen geeignet sein, die Haupt-Pflegeperson zu unterstützen, zu entlasten und ökonomisch abzusichern, wenn diese die wesentliche Verantwortung für die Pflege übernimmt. Die Pflegekassen sollen die Arbeit in quartiersbezogenen Netzwerken fördern, die im kommunalen Raum entwickelt werden.
Die Pflegeversicherung weiterentwickeln
Die Einführung der Pflegeversicherung zielte
darauf, das Risiko der Pflegebedürftigkeit
eigenständig abzusichern und dabei die
zusätzliche Belastung der Beitragszahler
sowie die öffentliche Finanzierung in einem
engen Rahmen zu halten. Dafür sollten die
Leistungen der Pflegeversicherung von vornherein
nur ergänzenden Charakter haben.
Die Pflegeversicherung ist als Teilleistungssystem
konzipiert und dient einer teilweisen
Entlastung der Versicherten von den pflegebedingten
Kosten. Reichen die Eigenmittel
des Versicherten trotz der Leistungen der
Pflegeversicherung nicht aus, erhalten diese
subsidiär Leistungen der Sozialhilfe.
Aufgabe der Sozialversicherung ist es, das
jeweilige Lebensrisiko, in diesem Fall das Risiko
der Pflegebedürftigkeit, für die Bürgerinnen
und Bürger auf ein kalkulierbares Maß zu
reduzieren. Das gelingt bei der Pflegeversicherung
nicht umfassend. Die tatsächlichen
durchschnittlichen pflegebedingten Kosten
liegen in allen Pflegestufen in der vollstationären Pflege deutlich über den Leistungssätzen
der Pflegeversicherung. Dies hat sich auch mit
den im PSG II eingeführten einrichtungs-einheitlichen
Eigenanteilen nicht geändert. Jede
Qualitätsentwicklung muss in dieser Logik
von den pflegebedürftigen Menschen beziehungsweise
subsidiär vom Sozialhilfeträger
finanziert werden. In der stationären Pflege
schlägt sich dies in den steigenden Eigenanteilen
nieder. In der ambulanten Pflege bedeutet
es höhere Zuzahlungen oder eine Reduktion
der Leistungszeiten für die Versicherten.
Eine Vereinbarkeit von häuslichen familiären Pflegeaufgaben mit einer Vollzeit-Berufstätigkeit ist kaum möglich, insbesondere wenn der Pflegebedarf nach und nach ansteigt. Die Haupt-Pflegepersonen sind daher oft gezwungen, ihre Berufstätigkeit (schrittweise) zu reduzieren oder ganz aufzugeben. Die familienergänzenden Leistungen und auch die Beiträge für die Alterssicherung dieser Pflegepersonen erweisen sich heute als unzureichend, weil sie die Haupt-Pflegeperson wirtschaftlich nicht ausreichend absichern.
Die Pflegeversicherung wird als soziale Pflegeversicherung aus einkommensabhängigen Beiträgen analog zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert. Die Beiträge sind – wie auch die Leistungen – gesetzlich festgeschrieben. Die skizzierten Beschränkungen sind für das Risiko der Pflegebedürftigkeit in einer Gesellschaft des langen Lebens nicht angemessen.
Die Pflegeversicherung muss in Richtung
einer „echten Pflege(teil)kaskoversicherung“
zu einer vollgültigen fünften Säule der Sozialversicherung
ausgebaut werden, die den
Selbstbehalt begrenzt. Die Pflege-Sachleistungen
sollen dabei auch zukünftig nicht den
gesamten Bedarf decken, der im Zusammenhang
mit der Pflegebedürftigkeit entsteht
(zum Beispiel die Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Pflegeheim).
Da das Risiko der Pflegebedürftigkeit
gesamtgesellschaftlich steigt, werden auch
die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen
müssen. Ergänzend ist unter Umständen der
Einsatz von Steuermitteln zu prüfen. Für die Veränderungen in der Pflegeversicherung braucht es einen gesamt-gesellschaftlichen Diskurs, um
zu einer Lastenverteilung zu gelangen, die als gerecht
und effizient empfunden wird. In diesem Zusammenhang
ist auch über eine andere Beitragssystematik für
die gesetzliche Pflege- und die gesetzliche Krankenversicherung
zu diskutieren, wie zum Beispiel die Erhöhung
der Beitrags-Bemessungsgrenze und der Pflichtversicherten-Grenze
oder über eine Zusammenführung
von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung.
Diese Diskussion sollte nicht unter dem Vorzeichen zunehmender „Belastung“ geführt werden, sondern unter der Überschrift der Arbeit an einer humanen Gesellschaft – wobei die Investitionen in die Pflege nicht nur den Pflegebedürftigen zugute kommen, sondern auch vielfältige positive Beschäftigungseffekte und binnenwirtschaftliche Nachfrage erzeugen.
Länder und Kommunen in die Verantwortung nehmen
Gute Altenpflege wird möglich, wenn die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen im Bedarfsfall auf verlässliche und bezahlbare Dienstleistungen und Einrichtungen in ihrem Umfeld zurückgreifen können. Diese Rahmenbedingungen zu schaffen ist Aufgabe der Bundesländer und der Kommunen.
Den Bundesländern obliegt die Förderung der baulichen Infrastruktur. In den letzten Jahren ist die Investitionsförderung für Pflegeeinrichtungen zur Ausnahme geworden. Entsprechend haben sich die Investitionskosten als Bestandteil der Heimentgelte für die pflegebedürftigen Menschen stark verteuert. Diese Entwicklung muss umgekehrt werden. Es geht um eine Förderung von zeitgemäßen teil- und vollstationären Einrichtungen entsprechend dem regionalen Bedarf.
Die Mobilisierung privaten Kapitals der Bürger(innen) vor Ort, die über Jahrhunderte durch Stiftungen, Bruderschaften, Vereine und Kirchengemeinden für die Pflege geleistet wurde, muss neu in den Blick genommen werden. Sie sorgen zum Beispiel durch Schenkung von Grundstücken bis heute dafür, dass die Investitionskosten gemeinnütziger und öffentlicher Träger im Schnitt unter denen privatgewerblicher Anbieter liegen. Die Förderung von Genossenschaften, Stiftungen und anderen gemeinnützigen Investitionsformen für die Altenpflege muss neu belebt und gefördert werden.
Die Aufgaben der Kommunen beschränken sich nicht auf die Hilfe zur Pflege, sondern beziehen sich auf das Leben der älteren Generation im Ganzen. Bislang werden diese Aufgaben weithin als freiwillige Leistungen betrachtet. Angesichts des demografischen Wandels ist die Altenhilfe künftig als eine prioritäre Aufgabe der Kommune anzusehen. Durch die vorgeschlagene Pflege-Vollversicherung mit festen Eigenanteilen werden die Kommunen bei der Hilfe zur Pflege finanziell beträchtlich entlastet. Diese Mittel sollten zum Aufbau einer neuen kommunalen Altenhilfe- und zur Infrastrukturförderung eingesetzt werden.
Dabei sollte der Kommune die Aufgabe der Altenhilfeplanung zugeordnet werden, mit der unter anderem die vom Land zu fördernde pflegerische Infrastruktur gestaltet werden kann. Dies umfasst auch eine Sektoren übergreifende Planung von medizinischen und pflegerischen Bedarfen auf kommunaler, regionaler und Landesebene. Eine Pluralität der Anbieter sichert das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen. In die Landes-Pflegeausschüsse sind auch die Wohlfahrtsverbände und Betroffenen-Organisationen verpflichtend mit einzubinden.
Den Ländern kommt in besonderer Weise die Verantwortung zu, für die Entwicklung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Kommunen und Regionen Sorge zu tragen, wenn es um die bedarfsgerechte Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen geht. Die Infrastruktur muss die Teilhabe alter und pflegebedürftiger Menschen unterstützen und ssoziales Engagement fördern. Hierzu gehört auch ein bedarfsgerechter und angeglichener Personaleinsatz in Pflegeeinrichtungen, der Mitarbeiter(innen) und Menschen mit Pflegebedarf aus fachlicher und ethischer Perspektive hinreichend unterstützt.
Anmerkungen
1. Der Fachbeitrag fasst die wesentlichen Punkte des Positionspapiers des Deutschen Caritasverbandes (DCV) und der Diakonie Deutschland mit ihren Fachverbänden Verband katholischer
Altenhilfe in Deutschland e. V. (VKAD) und Deutscher
Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e. V.
(DEVAP) zusammen. Das Positionspapier wurde von einem
Autor(inn)enteam dieser Verbände erstellt und Anfang Dezember
2018 veröffentlicht.
Kontaktpersonen sind:
DCV: elisabeth.fix@caritas.de; DW:
peter.bartmann@diakonie.de; VKAD: andreas.wedeking@caritas.de; DEVAB: basse@devab.de
2. Osteuropäische Pflegekräfte, die im Haushalt der Pflegebedürftigen
leben.
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