Ein paar neue Pflegekräfte und ein wenig digitale Technik
Die Auswirkungen der ersten drei Pflegestärkungs-Gesetze, von denen die letzten beiden Anfang 2017 in Kraft getreten sind, sind beträchtlich: Zunächst ist die Zahl der Pflegebedürftigen erheblich angestiegen (bundesweit um circa eine halbe Million), ohne dass das Versorgungssystem irgendwie vorbereitet gewesen wäre. Die Versorgungs-Engpässe nehmen dadurch weiter zu und Kliniken können oft trotz größter Anstrengungen bei Entlassungen keine angemessenen Übergänge in andere Versorgungsformen anbieten.
In Baden-Württemberg verschärfen sich im stationären Bereich die Versorgungs-Engpässe zusätzlich, weil die Landesheimbauverordnung ab Mitte 2019 keine Doppelzimmer mehr vorsieht. Eine weitere Auswirkung: Der vorab prognostizierte Effekt (meist Zwillings- oder Rothgang-Effekt genannt), dass es bei der Überleitung von Pflegestufen in Pflegegrade und den dabei oft vollzogenen doppelten Stufensprüngen mittelfristig zur Absenkung der Personalquote kommen wird, lässt sich inzwischen in der Praxis deutlich nachweisen. Die Pflegegrad-Verteilung ist in vielen Einrichtungen 2017 und 2018 gesunken, weil neue Bewohner(innen) niedriger eingestuft wurden und so weniger Personal zur Verfügung steht als noch 2016.
Rasch ansteigende Eigenanteile der Versicherten sind eine weitere Folge. Von 2017 bis 2019 gab es bei der Paul Wilhelm von Keppler-Stiftung als Träger durchschnittlich Steigerungen von jährlich etwa 150 Euro; mehrere Einrichtungen liegen mit ihrem Eigenanteil bereits bei über 3000 Euro.
Hinzu kommt, dass nach Wegfall der Landesförderung und den massiv gestiegenen Baukosten die Investitionskostensätze förmlich explodieren. Beim Wechsel von einem Bestandsbau in einen – meist durch die Vorschriften eben jener Landesheimbauverordnung notwendig gewordenen – Neubau steigen die Mietkosten für ein Pflegezimmer oft um 500 Euro im Monat.
Stabile Eigenanteile als Plus
Die Pflegestärkungsgesetze haben weder die Arbeitsbedingungen noch die Qualität der Versorgung der Pflegebedürftigen verbessert. Größter Zugewinn der Reformen ist nach wie vor die zusätzliche Betreuung bei alltäglichen Aktivitäten nach § 43 b, wie der für die Pflegegrade 2 bis 4 geltende stabile Eigenanteil.
Die Erwartungen an eine rasche und tiefgreifende Reform des Pflegeversicherungs-Gesetzes sind hoch und bekannt (etwa Initiative Pro-Pflegereform): die Umstellung auf eine echte Teilkaskoversicherung mit gedeckeltem und bezahlbarem Eigenanteil, die Aufhebung der Sektorengrenzen, die strukturelle und umfassende Verortung der Behandlungspflege im stationären Bereich künftig im SGB V, Abbau von Reglementierungen.
Das am 1. Januar 2019 in Kraft getretene Pflegepersonal-Stärkungsgesetz fördert digitale Technik und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf, die die Paul Wilhelm von Keppler-Stiftung in Anspruch nehmen wird. Freilich werden mit den Förderquoten keine großen Sprünge zu machen sein. Auch zusätzliches Personal einzustellen wird möglich – wenn es gefunden wird. Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht durch erhebliche Bürokratie erschwert oder teilweise kompensiert wird. Leider zeichnet sich dies in Gesprächen zur Umsetzung auf Landesebene bereits ab. Dabei geht es vor allem um ausdifferenzierte Personalnachweise.
Mit der Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze und des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes ist der Beitrag der Pflegeversicherung auf über drei Prozent gestiegen und wird – so der Bundesminister – weiter steigen. Dennoch haben die damit verbundenen Reformen bisher die Weiterentwicklung und die anstehenden Erfordernisse in der Altenpflege höchstens ansatzweise lösen können.
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