Kinder und Hochaltrige reichen sich die Hand
"Hände, die halten, Hände, die schützen, Hände, die leiten, Hände, die loslassen, braucht nicht nur ein Kind", so Jakob Ackermann (geboren 1924) über sein "unvergessliches Erlebnis Generationsbrücke".
Diese denkwürdige Erfahrung ist Ergebnis eines Prozesses, der im Jahr 2009 mit der "Generationsbrücke Aachen" begann und 2012 unter dem Dach der katholischen Stiftung Marienheim Aachen-Brand zur Gründung der "Generationsbrücke Deutschland" (GBD) geführt hat. Ziel der GBD ist es, junge und pflegebedürftige alte Menschen zu verbinden, indem sie ihnen Begegnungen und regelmäßiges Miteinander ermöglicht. So kann sie einen Beitrag zum bewussteren gesellschaftlichen Zusammenleben der Generationen leisten. Übrigens spielen die Hände dabei eine ganz besondere Rolle: Bei der Begrüßung und Verabschiedung, beim gemeinsamen Basteln und Singen reichen Jung und Alt sich die Hand - auch im übertragenen Sinne.
Bei den Begegnungen erleben beide Generationen Wertschätzung, Verbundenheit und Freude. Die alten Teilnehmer(innen) werden durch die ansteckende Lebendigkeit der Kinder angeregt, erfahren eine besondere Abwechslung im Heimalltag und haben die Möglichkeit, ihr Wissen weiterzugeben und sich trotz der aktuellen Lebensumstände in die Abfolge der Generationen und die Gesellschaft eingebunden zu fühlen. Die Kinder profitieren von der Lebenserfahrung der älteren Generation. Sie können an einem außerschulischen Lernort ihre Sozialkompetenz weiterentwickeln und Pflegebedürftigkeit, Demenz und Tod als Bestandteile des Lebens kennenlernen. Mitmenschlichkeit, Toleranz und Respekt zwischen den Generationen werden gelebt und erfahren. Eine Jugendliche (15 Jahre) fasste ihre Erlebnisse im Reflexionsgespräch zusammen: "Hier in der Schule kann man keine Schwäche zeigen. Wenn du weinst, lacht dich jeder aus. Im Altenheim, da kann man einfach sein, wie man ist. Da muss man nicht cool sein. Da könnte man sogar weinen. Die würden einen noch in den Arm nehmen."
Erfolgsfaktoren für intergenerative Begegnungen
Für ein gutes Gelingen der Begegnungen, steht das praxiserprobte Konzept der GBD auf fünf Grundpfeilern:
- altersgerechte Vorbereitung der Kinder;
- Regelmäßigkeit und Langfristigkeit;
- feste Partnerschaft in fester Gruppen
- aktives Miteinander sowie
- strukturierte und ritualisierte Begegnungen.
Wichtige Grundlage ist dabei das Prinzip der Freiwilligkeit. Weder Jung noch Alt werden zur Teilnahme an den Begegnungen verpflichtet oder überredet.
Da der Besuch im Altenheim für viele Kinder gleichzeitig ihre erste Begegnung mit pflegebedürftigen alten Menschen ist, werden ihnen altersgerecht Kenntnisse über Pflegebedürftigkeit, Demenz und das Leben im Heim vermittelt. Sie erhalten praktische Hilfestellung für die Besuche bei den Senior(inn)en und erfahren alles über den strukturierten Ablauf, die Aktivitäten und Rituale, die jede Generationsbrücke-Begegnung charakterisieren. Das erleichtert ihnen den ersten Kontakt und hilft, eventuell vorhandene Berührungsängste abzubauen. Dies gelingt spielerisch beispielsweise durch das "Malen nach Handmaß". Hier wird die Hand des Partners als Schablone benutzt, und es entstehen bunte Bilder, Blumen, Elche oder Igel. "Die Hand meines Partners ist schrumpelig und hat schon ganz viel erlebt" (Kindergartenkind, 5 Jahre). "Sie ist ja auch 80 Jahre älter" (Bewohnerpartner).
Ein bis zweimal pro Monat sehen sich die Kinder und Senior(inn)en für etwa eine Stunde. Damit Vertrauen und Sicherheit als Grundlage für persönliche Beziehungen entstehen können, finden die Treffen über die Dauer eines Kita- beziehungsweise Schuljahres in festen Partnerschaften mit jeweils sechs bis zwölf Kindern und Bewohner(inne)n statt. Diese Sicherheit wird auch durch die Strukturen und Rituale der Begegnungen geschaffen: Begrüßungs-, Kontakt- und Abschiedslied wechseln sich mit bewegungsreichen Aktivitäten im Stuhlkreis und ruhigen Aktivitäten an den Tischen ab. Damit Jung und Alt sich wirklich begegnen können, steht bei diesen Aktivitäten das Miteinander im Vordergrund: Mit- und nicht nur füreinander wird gesungen, gespielt, gebastelt und erzählt und somit eine Brücke zwischen den Generationen gebaut.
Es gelingt nur zusammen
Auch das Miteinander zwischen den beteiligten Institutionen ist unabdingbar, um gelingende intergenerative Kontakte zu ermöglichen. Eine gute Kommunikation und verlässliche Zusammenarbeit innerhalb des Kooperationstandems - bestehend aus einer Kita/Schule und Altenpflegeeinrichtung - bilden die Grundlage für die Umsetzung. Auch sie müssen "Hand in Hand" gehen, wie es oft bei den Begegnungen gesungen wird. Gelingt dies, berichten nicht nur die teilnehmenden Kinder und Bewohner(innen), sondern auch die Mitarbeiter(innen) von persönlichen Glücksmomenten: "Es ist die Stunde in meiner Arbeitswoche, auf die ich mich am meisten freue. Ich gehe so zufrieden raus, weil ich das Glück der Kinder und Bewohner sehe und teile. Es ist auch eine anstrengende und intensive Stunde, die gute Absprachen sowie Vor- und Nachbereitung erfordert. Aber: Es lohnt sich!"
Erfahrungswissen weitergeben
Das intergenerative Begegnungskonzept der Generationsbrücke Deutschland - welches im Jahr 2014 mit dem Deutschen Engagementpreis ausgezeichnet wurde - wird mittlerweile von deutschlandweit über 80 Kooperationspartnern (Altenpflegeeinrichtungen, Kitas, Schulen) umgesetzt. Damit auf der einen Seite mehr junge Menschen erfahren können, "dass alte Leute auch cool" (Schülerin, 8 Jahre) und "wie ein lebendiges Lexikon" (Schüler, 13 Jahre) sein können und auf der anderen Seite mehr alten Menschen "das Herz aufgeht, wenn [sie] die Mädchen und Jungen bei der Generationsbrücke" sehen, gibt die GBD ihr gesammeltes Erfahrungswissen in Fortbildungen weiter. In einer anderthalbtägigen Schulung werden haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) mehrerer Kooperationstandems (bestehend aus je einem Altenpflegeheim und einer Kita/Schule) befähigt, Generationsbrücke-Begegnungen in ihren Einrichtungen inhaltlich und organisatorisch umzusetzen. Zur direkten Implementierung erhalten alle teilnehmenden Institutionen ein ausführliches Handbuch. Im Anschluss kann eine Kooperation mit der GBD eingegangen werden. Diese dient der Unterstützung und Vernetzung. Zum Service gehören Beratung, ein Starter-Kit mit Arbeitshilfen und jährlich stattfindende Fachtagungen an zunehmend mehr Orten in Deutschland (derzeit in Aachen, Berlin und Tübingen).
Innovative Konzepte in die Breite tragen
Ein Modellprojekt von Politik, Stiftung und Wohlfahrtsverband
Um aufzuzeigen, wie innovative soziale Konzepte in Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden besser verbreitet werden können, sind das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), der Deutsche Caritasverband, die Lotterie "Glücksspirale" und die BMW Stiftung Herbert Quandt in eine dreijährige Modellförderung der Generationsbrücke Deutschland eingestiegen. Damit einhergehend erhalten Mitgliedseinrichtungen des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) einen Rabatt von 50 Prozent auf die Fortbildungsgebühr der GBD. Somit zahlen sie nur 340 anstelle von regulär 680 Euro. Der Gruppenpreis für GBD-Fortbildungen gilt immer für bis zu vier Personen eines Tandems aus Altenpflegeeinrichtung und Kita/Schule (maximal zwei Mitarbeiter(innen) pro Institution). Die GBD bietet auch Inhouse-Schulungen in einer der beteiligten Einrichtungen an.
Mehrgenerationenperspektive bietet Vorteile
GBD-Beiratsmitglied Andreas Kruse, Professor für Psychologie und Direktor des Instituts für Gerontologie an der Universität Heidelberg, betont: "Die Arbeit der Generationsbrücke Deutschland ist in meinen Augen charakteristisch für die Entwicklung und Implementierung innovativer Ansätze in der Altenpflege."1 Der Gedanke, ein generationenübergreifendes Partizipationsprojekt in die Altenpflege zu implementieren, sei auch deswegen zu begrüßen, da gerade die Kontakte zwischen alten und jungen Menschen ein hohes Potenzial besitzen - und zwar
- für die Lebensqualität alter und sehr alter Menschen, die auf diesem Wege das Motiv der "Generativität" verwirklichen könnten, also dem Bedürfnis, nachfolgenden Generationen etwas weiterzugeben;
- für das Lebenswissen junger Menschen, die durch den Kontakt mit lebenserfahrenen reflektierten alten Menschen weiteres lebenspraktisches Wissen gewinnen könnten;
- für die Altersbilder, die sich durch derartige Begegnungen differenzierten,
- für das Konzept der Pflege, das durch dieses psychologische Moment bereichert würde;
- für die öffentliche Wahrnehmung von stationären Einrichtungen, die durch die Integration der Mehrgenerationenperspektive eine substanzielle Veränderung erfahre.
Auch der Professor für Neurologie an der Universität Göttingen, Gerald Hüther - ebenfalls Beiratsmitglied der GBD -, betont die Bedeutung generationenverbindender Projekte: ",Transgenerationale Weitergabe von Erfahrungen‘ heißt das, was in einer menschlichen Gemeinschaft funktionieren muss, wenn sie auch in Zukunft fortbestehen und sich weiterentwickeln will."2
Mit einer Ausweitung intergenerativer Begegnungen könnte die Vision der GBD vom bewussteren Zusammenleben der alten und jungen Generation Wirklichkeit werden. Der eingangs zitierte Jakob Ackermann schreibt in seinen Memoiren: "Vielleicht würde es dann aus allen Himmelsrichtungen tönen: Alle Menschen sind füreinander da!"
Anmerkungen
1. Andreas Kruse in: Thiede, R.: Die Generationsbrücke. Wie das Miteinander von Alt und Jung gelingt. Freiburg im Breisgau: Herder, 2016., S. 169.
2. Siehe generationsbruecke-deutschland.de/unterstuetzung/beirat/index.php
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