Geflohen und schwanger: Was nun?
In den letzten beiden Jahren bestimmt das Thema Flucht und Vertreibung nicht nur die politische Diskussion in Deutschland, sondern ist auch in den Schwangerschaftsberatungsstellen in Trägerschaft von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) angekommen. Im Zeitraum von 2013 bis 2015 ist die Zahl der Ratsuchenden um zehn Prozent gestiegen. An der jährlichen Auswertung1 ist abzulesen, dass die Zunahme mit der Beratung von schwangeren Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund zusammenhängt.
Insgesamt haben im Jahr 2015 über 113.000 Ratsuchende eine katholische Schwangerschaftsberatungsstelle besucht oder online Beratungsanliegen formuliert.
Der Anteil der Ratsuchenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist in den letzten drei Jahren in der katholischen Schwangerschaftsberatung bundesweit gestiegen. Dies gilt sowohl für den Anteil der Ratsuchenden aus EU-Staaten, den osteuropäischen Staaten, die nicht Mitglied der EU sind, als auch für Ratsuchende aus dem nicht europäischen Ausland. Insgesamt beträgt der Anstieg in diesen drei Gruppen im Vergleich zwischen 2013 und 2015 zehn Prozent.
Beratung von Frauen aus EU-Staaten
Viele Beratungsstellen sagen, dass sie einen besonders hohen Beratungsbedarf von Frauen aus EU-Staaten haben. Sind diese arbeitsuchend, haben sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Hochschwanger haben sie häufig keine in Deutschland gültige Krankenversicherung. Wenn sie keine Versicherungsansprüche im Herkunftsland haben, nehmen die Frauen oft die notwendigen medizinischen Untersuchungen nicht wahr. Prekäre Wohnverhältnisse stellen eine zusätzliche Belastung während der Schwangerschaft dar. Eine Schwangerschaft beziehungsweise die Geburt eines Kindes schränken die Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit ein. Dies bringt die Frauen in finanzielle Schwierigkeiten. Fehlende soziale beziehungsweise familiäre Netzwerke und fehlende Sprachkenntnisse sind Ursache für Isolation und Verzweiflung.
Ausländerinnen aus den Westbalkanstaaten
Als besonders schwierig stellt sich die Situation von Schwangeren aus den Westbalkanstaaten dar, die nicht Mitglied der EU sind. Fehlende Kenntnisse über das Sozialsystem in Deutschland führen zu Unsicherheit und Missverständnissen. Ungeklärte Aufenthaltsverhältnisse werden teilweise zum Auslöser für eine Schwangerschaft, da die Frauen hoffen, durch ein Kind ein Bleiberecht zu bekommen. Viele Schwangerschaftsberaterinnen geben die Rückmeldung, dass die Beratung dieser Zielgruppen sehr zeitaufwendig ist, aufgrund der komplexen Problemlagen, der ungeklärten Aufenthaltssituationen und der eingeschränkten staatlichen Leistungen.
Beratung von Frauen mit Fluchthintergrund
Die Beratung von Frauen aus dem nicht europäischen Ausland hat im Vergleich zu 2014 um drei Prozent zugenommen. Viele haben einen Fluchthintergrund. Herkunftsländer der geflüchteten Frauen sind vor allem Syrien, Afghanistan und Irak. Die Schwangerschaftsberaterinnen erleben bei schwangeren Frauen mit Fluchterfahrung einen sehr hohen Grad an Belastung und Orientierungslosigkeit. Oft sind diese Schwangeren in sehr schlechter physischer sowie psychischer Verfassung. Viele Frauen sind traumatisiert durch Gewalterfahrungen während der Flucht oder durch Todesängste, die sie erlebt haben. Die meisten sorgen sich um die in der Heimat zurückgelassenen Familienangehörigen oder um Angehörige, die sie während der Flucht verloren haben.
Aufgrund kultureller Unterschiede im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt haben viele Frauen Angst. Sie haben es schwer, sich im medizinischen System in Deutschland zurechtzufinden. Sie befürchten, für sich und das Baby nicht gut sorgen zu können. Kreißsaalbegehungen mit beispielsweise Arabisch sprechenden Krankenhausmitarbeiter(inne)n oder Hebammen wurden an manchen Orten als Best-Practice-Modell etabliert. Für viele Frauen ist die Wohnsituation in den Flüchtlingsunterkünften gerade mit Baby sehr belastend, da es kaum oder keine Rückzugsmöglichkeiten gibt. Fehlende Beschäftigung in der Flüchtlingsunterkunft, die Verpflichtung, die Familie in der Heimat finanziell unterstützen zu müssen und Zukunftsängste bezüglich des Aufenthaltsrechts in Deutschland machen es den schwangeren Frauen schwer, eine positive Perspektive mit ihrem Kind zu entwickeln.
Die Schwangeren suchen die Beratungsstellen oft mit der Bitte auf, finanzielle Unterstützung oder Sachleistungen für eine Babyausstattung zu bekommen und Hilfe bei der Wohnungssuche zu erhalten. Sie stellen Fragen zur Übernahme von Kautionskosten oder Hausratergänzung, zur Arbeitsplatzsuche, zur medizinischen Versorgung rund um die Geburt, zur Kinderbetreuung, zur Familienzusammenführung oder zu Möglichkeiten für eine Therapie nach traumatisierenden Erfahrungen. Die Schwangerschaftsberater(innen) informieren und beraten. Sie vermitteln finanzielle Hilfen, in Angebote Früher Hilfen und stellen aufsuchende Angebote in Gemeinschaftsunterkünften bereit, um die geflüchteten Menschen emotional und physisch zu stabilisieren. Wo es gelingt, Familienhebammen in die Begleitung von Frauen in Gemeinschaftsunterkünften oder in der Beratungsstelle einzubeziehen, ist der Zugang und die Versorgung der Frauen deutlich verbessert.
Sprachliche Hürden sind das zentrale Problem
Sprachliche Hürden wurden von den Beratungsstellen als eines der zentralen Probleme im Umgang mit den Frauen mit Fluchthintergrund benannt.
Beratung reduziert sich durch die eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten häufig auf Basisinformationen, beispielsweise bezüglich des Erwerbs einer Babyerstausstattung oder der medizinischen Versorgung vor und nach der Geburt. Die Beratung verändert sich zusätzlich dadurch, dass sie in der Regel "indirekt" über Dritte erfolgt: über einen Dolmetscher, den Ehemann oder ein Kind, ohne dass die Ratsuchende unmittelbar ihren Bedarf oder ihre Probleme äußern kann. Nicht immer vereinfachen Sprachmittler die Beratungssituation. Viele sind unsicher oder überfordert mit der Übersetzung frauenspezifischer Themen. Auch Ehemänner tun sich mitunter schwer, Themen adäquat zu übersetzen, die im Heimatland nur in Frauenverbünden besprochen werden, zumal wenn die Beratung von einer Beraterin geführt wird. Viele Themen sind daher durch die Wahl des Dolmetschers von vornherein von der Beratung ausgeschlossen. Das hohe Beratungsaufkommen einerseits und der durch sprachliche Hürden stark reduzierte Beratungsumfang andererseits stehen oftmals im Widerspruch zu einem von den Berater(inne)n wahrgenommenen erhöhten Beratungsbedarf der Ratsuchenden selbst. Der Beratungsprozess wird dann befördert, wenn geeignete Sprachmittler(innen) vorhanden sind oder aber auf geeignete muttersprachliche Printmaterialien, erklärende Videos oder Apps zum Thema Schwangerschaft und Geburt zurückgegriffen werden kann.
Angebote für Frauen mit Fluchthintergrund
Die Stärke der katholischen Schwangerschaftsberatung liegt darin, aus den Beratungserfahrungen zügig unterstützende Angebote abzuleiten. So sind im Jahr 2015 über die Einzelfallhilfe hinausgehende zusätzliche Angebote für die Zielgruppe der schwangeren Frauen mit Fluchthintergrund entwickelt worden. Als Beispiele zu nennen sind englischsprachige Gruppenangebote, Tandemberatungen mit Arabisch und Französisch sprechenden Familienhebammen, Tandemveranstaltungen mit Arabisch sprechenden Hebammen in Krankenhäusern oder in Flüchtlingsunterkünften sowie offene Sprechstunden in Flüchtlingsunterkünften.
An vielen Orten greifen die Beratungsstellen auf ehrenamtliche Mitarbeitende zurück, die beispielsweise eine alltagspraktische Begleitung der schwangeren Frauen übernehmen. In manchen Beratungsstellen stellen Ehrenamtliche sogenannte Carepakete zusammen. Diese enthalten erste Babyausstattung mit Kleidung, Windeln und Pflegeprodukten für das Baby. Flankierend zur Einzelfallhilfe kann mit der Ausgabe dieser Pakete unbürokratisch und konkret geholfen werden.
Zusätzliche Mittel sind nötig
Einige Diözesen haben zusätzliche Kirchenmittel bereitgestellt, um Projekte zur Unterstützung von schwangeren Frauen mit Fluchterfahrung zu finanzieren. In den meisten Diözesen ist die personelle und finanzielle Situation der Beratungsstellen jedoch gleich geblieben, so dass die Beratungsstellen, je nach Region und Frequentierung, an die Grenzen der Belastbarkeit gekommen sind. Die Beratung von schwangeren Asylbewerberinnen erfordert eine Zusammenarbeit in Netzwerken. Diese müssen gepflegt beziehungsweise aufgebaut werden, was wiederum zeitintensiv ist. Auch wenn die Schwangerschaftsberatungsstellen über ein hohes kreatives Potenzial verfügen, auf Missstände unverzüglich zu reagieren, sollte die Überlastungssituation bei Überlegungen der Länder zur Finanzierung und Ausstattung der Schwangerschaftsberatungsstellen berücksichtigt werden.
Aufgabe des Fachdienstes wird es sein, den Beratungsauftrag hinsichtlich der schwangeren Frauen speziell mit Fluchthintergrund eigens zu klären und die Schnittstellen zu anderen Beratungsdiensten sowie zu Ehrenamtlichen herauszuarbeiten. Eine umfassende Beratung, Begleitung und Integration gelingen nur, wenn sich die unterschiedlichen Fachdienste abstimmen und gut zusammenarbeiten, wie zum Beispiel Flüchtlingssozialarbeit zusammen mit der Migrationsberatung und mit Ehrenamtlichen.
Anmerkung
1. Der Jahresbericht 2015 greift neben dem Schwerpunktthema "Beratung von schwangeren Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund" weitere interessante Themen auf. Als Download unter:
www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/familie/neue-angebote-fuer-schwangere-gefluechte
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