Gehen die Armen leer aus?
Wir werden 2017 einen Rentenwahlkampf bekommen. Den Auftakt bildete eine unverantwortliche Bierdeckelrechnung des WDR. Der Sender unkte, 2030 fiele jeder zweite Neurentner in die Altersarmut. Obwohl dies die Dimension des Problems um ein Vielfaches verzerrt, setzt sich diese Zahl in den Köpfen fest. Schließlich leben wir im postfaktischen Zeitalter.
Statt der Panik entgegenzutreten, sprang Ministerpräsident Seehofer auf den Zug der allgemeinen Erregung auf und erklärte die Riesterrente schlicht für gescheitert. Damit beförderte er die Illusion, man könne die Rentenreformen zurückdrehen. Die gesetzliche Rente muss die stärkste Säule der Alterssicherung bleiben, aber sie kann sie allein nicht stemmen.
Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Wer mit der Rente punkten will, muss vielen etwas geben. Man wird im Wahlkampf Versprechungen machen. Man dreht ein wenig an der Rentenformel oder hebt das sogenannte Rentenniveau an. Egal, was man genau macht: Es wird teuer. Aber nicht nur das: Diejenigen, die gute Rentenansprüche haben, werden vergleichsweise viel, die Minirentner aber nur Minibeträge bekommen. Die arbeitende Mitte, die durch ihre Beiträge das umlagefinanzierte System unterhält, wird mehr für die verrentete Mitte zahlen.
Und die Armen? Wer als Bezieher einer kleinen Rente auf ergänzende Grundsicherung angewiesen ist, hat von der Erhöhung nullkommanichts. Denn der kleine Mehrbetrag, den er als Rentner erhält, wird ihm bei der Berechnung der Grundsicherung in gleicher Höhe wieder abgezogen. Riestert er, gilt dasselbe. Es hat für ihn also keinen Sinn, privat vorzusorgen. So geht die Riesterförderung genau an denen vorbei, die sie am dringendsten nötig hätten. Das immerhin will die Koalition jetzt noch ändern. Gut so!
Wer den Armen helfen will, darf die Grundsicherung nicht diskreditieren
Wer den Armen wirklich helfen will, muss die Grundsicherung im Alter weiterentwickeln, statt sie zu diskreditieren. Man könnte bei ihrer Berechnung zumindest einen kleinen Teil der gesetzlichen Rente belassen und auch 100 Euro von privaten oder betrieblichen Vorsorgeansprüchen. Dann hätte jeder, der sein Leben lang gearbeitet und womöglich vorgesorgt hat, aber dennoch auf Grundsicherung angewiesen ist, im Alter mehr als jemand, der über lange Zeit nicht erwerbstätig war oder eben nicht vorgesorgt hat. Das hier bestehende Gerechtigkeitsdefizit wollte schon die schwarz-gelbe Regierung beseitigen, blieb aber tatenlos.
Eine fairere Berechnung der Hartz-IV-Sätze, wie die Caritas sie fordert, würde auch den Grundsicherungsempfängern zugutekommen. Auch die Vermögensfreigrenze (2600 Euro!) sollte man anheben. Weil mehr Bezieher von Minirenten dann ergänzende Hilfe bekämen, stiege natürlich die Empfängerzahl. Wer dann Skandal ruft, diskreditiert den Sozialstaat.
Zielgenaue Politik für die Armen ist in einem Wahlkampf unpopulär. Sie zu fordern wäre doch die Aufgabe der Sozialverbände. Aber dafür müsste man sich auf die Probleme einlassen, das Alterssicherungssystem in Zeiten des demografischen Wandels zu stabilisieren. Das ist unbequem. Wer aber alles für alle fordert, kann den Armen nicht helfen.