Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben
Teilhabe am Arbeitsleben spielt für Menschen mit Behinderung eine ebenso große Rolle wie für alle Menschen. Welche Chancen haben Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft und hier speziell auf dem Arbeitsmarkt? Diese Frage ist nicht neu. Die Diskussion darüber hat aber eine neue Qualität bekommen durch das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen", die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).1 Deren Artikel 27 "Arbeit und Beschäftigung" benennt Rechte und Anforderungen. Das hier Grundgelegte gilt für alle Ebenen in der Gesellschaft, auch für den privaten Sektor. Damit hat es eine erhebliche Relevanz für die Praxis, erfordert ein neues Grundverständnis und eine Klarstellung für alle Seiten.
Erste Schritte zur Teilhabe
Für die praktische Arbeit ist es von elementarer Bedeutung, den "Geist" der neuen UN-BRK deutlich zu machen, konkret die Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in Verbindung mit den jeweiligen Rahmenbedingungen zu suchen und zu verbessern. Hier spielt auch der Behinderungsbegriff eine große Rolle. In der Präambel der UN-BRK Buchstabe e wird beschrieben, dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern. Darum ist der Abbau der einstellungs- und umweltbedingten Barrieren der erste Schritt zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. Notwendig sind ein Sensibilisierungsprozess zur Auseinandersetzung mit diesem Anliegen und ein Umdenken aller Beteiligten, eine Bewusstseinsbildung (gemäß Artikel 8 der UN-BRK). Diesem Prozess muss Raum und Zeit eingeräumt werden. Es geht um Inklusion, um die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft. In der gesellschaftlichen Debatte steht das Thema "inklusive Bildung - Inklusion in der Schule" im Fokus. Inklusionsinitiativen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt sind weniger öffentlichkeitswirksam. Über Gründe dafür lässt sich spekulieren.
Auf der Homepage der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen wird das Grundverständnis der UN-BRK zusammenfassend dargestellt: "Die UN-BRK schafft keine Sonderrechte, sondern konkretisiert und spezifiziert die universellen Menschenrechte aus der Perspektive der Menschen mit Behinderungen vor dem Hintergrund ihrer Lebenslagen, die im Menschenrechtsschutz Beachtung finden müssen. Dazu greift sie auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie auf die wichtigsten Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen zurück und formuliert zentrale Bestimmungen dieser Dokumente für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen.
Teilhabe ist ein Menschenrecht
Teilhabe behinderter Menschen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade. Die UN-BRK stellt dies klar und konkretisiert damit grundlegende Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Sie erfasst Lebensbereiche wie Barrierefreiheit, persönliche Mobilität, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Rehabilitation, Teilhabe am politischen Leben, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. Grundlegend für die UN-BRK und die von ihr erfassten Lebensbereiche ist der Gedanke der Inklusion: Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft."2
Diese Klarstellung zum Grundverständnis muss den praktischen Fragen vorangestellt werden. Solange diese Botschaft noch nicht angekommen ist, gestaltet sich auch die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben schwierig. Für die konkrete Praxis ergeben sich neue Anforderungen. Es gilt entsprechend den verschiedenen Zielgruppen von Menschen mit Behinderung, die Beschäftigung durch geeignete Strategien, Initiativen und Maßnahmen zu fördern und gemäß den gesetzlichen Regelungen behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche entsprechend der Art oder Schwere ihrer Beeinträchtigung zu gewähren, wie zum Beispiel Ausbildungszuschüsse, Eingliederungszuschüsse sowie Mittel für Probebeschäftigungen und Praktika. Das sind Leistungen, die behinderte und schwerbehinderte Menschen von der Bundesagentur für Arbeit oder den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten können. Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf alternativ zu den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) in der "Unterstützten Beschäftigung" auf dem ersten Arbeitsmarkt gewinnen zunehmend an Bedeutung.
Leistungsträger müssen besser zusammenarbeiten
Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben ist entsprechend der Art oder Schwere der Beeinträchtigung individuell sehr unterschiedlich zu gestalten. Das betrifft die Förderung der Eingliederung, der Wiedereingliederung sowie notwendige Rehabilitationsleistungen. Ein Grundproblem in Deutschland ist das "zergliederte System der sozialen Sicherung" mit den damit verbundenen unterschiedlichen Zuständigkeiten der Sozialleistungsträger auf Grund des Kausal- und des Finalprinzips.
Angesichts der Vielzahl von Schnittstellen im gegliederten System der sozialen Sicherung und insbesondere in der Rehabilitation ist die Zusammenarbeit der Leistungsträger zu verbessern. Dazu sollten auch auf regionaler und kommunaler Ebene die in § 94 SGB X vorgesehenen Arbeitsgemeinschaften gegründet und ausgebaut werden für eine bessere Kooperation und Koordination der Leistungsträger zur Eingliederung behinderter Menschen. Notwendig ist ebenso eine verstärkt trägerübergreifende Arbeit von der gemeinsamen Beratung bis hin zur Leistungsgewährung mit personenzentriertem Ansatz. In der Praxis werden diese Möglichkeiten nicht beziehungsweise nicht ausreichend genutzt. Ein Zusammenwirken der Leistungsträger erfolgt mit dem Antragsverfahren für die Beschäftigung in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Das ist geregelt mit dem Fachausschuss, aber in anderen Bereichen wird der Mangel an Zusammenarbeit in der Praxis beklagt.
Die Ausführungen zur Ausgangsfrage können an dieser Stelle nur einige grundsätzliche Aspekte aufgreifen, die ihren Bezug im Wesentlichen im Erfahrungsaustausch mit Menschen mit Behinderung, mit der Behindertenberatung und Reha-Beratung sowie aus der Gremienarbeit haben.
Welche Erfolge haben Förderprogramme?
Positiv ist zu bewerten, dass im Zuge der Umsetzung der UN-BRK die Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt durch verschiedene Initiativen verbessert werden sollen, wie zum Beispiel durch die vereinbarte Inklusionsinitiative auf Bundesebene und die Initiative Inklusion des Landes Brandenburg. Die Bündelung von Maßnahmen und zusätzlichen Programmen soll Arbeitgeber durch die Nutzung der Förderungen zur Einstellung von Menschen mit Behinderung in ihren Betrieb motivieren. Zu fragen ist aber auch, wie der langfristige Erfolg nach Beendigung der Förderung aussieht. In vielen Fällen muss leider festgestellt werden, dass der Übergang in die bezahlte Beschäftigung nicht gelingt und eine Weiterbeschäftigung der Menschen mit Behinderungen seitens der Arbeitgeber nicht erfolgt. Die Gründe sind vielschichtig und lassen letztendlich keine Bewertung zu. Das kann beispielsweise die Wirtschafts-/ Auftragslage des Betriebs sein. Die Sorge wegen des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer(innen) sollte kein Grund sein. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass während des geförderten Beschäftigungszeitraums die Skepsis und Vorbehalte gegenüber den Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz abgebaut werden können und eine bezahlte Beschäftigung möglich wird. In vielen Fällen wird dieses Ziel nicht erreicht. Die Konkurrenz auf dem Stellenmarkt ist groß. Sowohl der Appell an die soziale Verantwortung der Arbeitgeber als auch die Beschäftigungsinitiativen und Förderprogramme für Menschen mit Behinderung reichen nicht aus, wenn nicht ein Umdenken im Sinne der Inklusion zur Umsetzung der UN-BRK geschieht.
Betriebliche Ausbildung muss gefördert werden
Sicher sind die Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt behinderungsbedingt individuell verschieden. Sie sind auch maßgeblich abhängig von den Ausbildungsmöglichkeiten. Behinderungsbedingt geht die Schere schon viel früher auseinander. Gerade deshalb ist das Thema Inklusion von elementarer Bedeutung: gemeinsam von Anfang an. Im Zusammenhang mit der Teilhabe am Arbeitsleben steht das Themenfeld Ausbildung, beginnend mit dem Übergang Schule/Beruf. Insbesondere für die Schulabgänger der Förderschulen stellt sich die Frage nach einer beruflichen Perspektive. Ziel muss es sein, dass alle ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Schulabgänger mit Behinderung eine betriebliche Ausbildung im dualen System absolvieren und einen Abschluss in einem regulären Ausbildungsberuf erreichen können. Sicher ist das ein hehres Ziel, aber auch die beste Voraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsleben. Deshalb sind diese Möglichkeiten der betrieblichen Ausbildung für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf zu verbessern. Damit verbunden muss die betriebliche theoriereduzierte Ausbildung ausgebaut werden. Aber hierfür muss mit den Kammern die Anerkennung der Berufsabschlüsse für die theoriereduzierte Ausbildung geregelt werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den "Erfolg".
Zum Spektrum der Ausbildungsmöglichkeiten gehört ebenso die Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung. Für die Zukunft der beruflichen Ausbildung der Schulabgänger mit Behinderung lassen sich aufgrund der demografischen Entwicklung schwer Prognosen erstellen. Aber auf ein Problem muss an dieser Stelle noch hingewiesen werden: Zunehmend geht es vor allem auch um die notwendige Vermittlung von Fähigkeiten zum Erwerb von sozialer Kompetenz der Auszubildenden. Diese Frage gewinnt in der praktischen Arbeit an Bedeutung.
Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben ist abhängig von zwei Faktoren: vom Arbeitsmarkt, seinen Rahmenbedingungen und der sozialen Verantwortung der Arbeitgeber einerseits und von den erworbenen beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen im konkurrierenden Personalgefüge andererseits. Provokant lässt sich zum Schluss die Frage stellen: Reicht es aus, die Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt durch die Gewährung von Nachteilsausgleichen zu verbessern oder bedarf es einer Neuorientierung hin zu einem inklusiven Arbeitsmarkt, in dem einstellungs- und umweltbedingte Barrieren abgebaut werden? Daran wird die Gesellschaft zu messen sein.
Anmerkungen
1. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die UN-Behindertenrechtskonvention (Schattenübersetzung des Netzwerks Artikel 3 e.V. ), www.netzwerk-artikel-3.de
2. Internetseite der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: www.behindertenbeauftragte.de
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