Wer anderen hilft, lebt länger und ist zufrieden
Welche Relevanz hat altruistisches Verhalten für das menschliche Zusammenleben einerseits und das Streben nach Individualität andererseits? Handelt es sich um ein Nebenprodukt anderer zentraler Bestrebungen des Menschen, die auf das Selbst bezogen sind, oder helfen Menschen anderen um des Helfens willen, und was wissen wir über die Ursachen und Folgen altruistischen Verhaltens?
Das Thema Altruismus ist ein bedeutsamer Teil der "Positiven Psychologie", die menschliche Stärken in den Mittelpunkt stellt.1 Handlungen, die die Stärken des Menschen zum Ausdruck bringen, fördern das Wohlbefinden. Denn sie führen zu einer höheren Lebens- sowie zu einer höheren beruflichen Zufriedenheit. Die Stärken des Menschen lassen sich teilweise lernen, wie zum Beispiel Dankbarkeit oder Hoffnung.
Positives bedeutet nicht allein die Abwesenheit von Negativem: Das Positive steht für sich im Mittelpunkt der "Positiven Psychologie": So bedeutet die Abwesenheit von Krankheit nicht automatisch Gesundheit, und Studien über Depressionen machen keine Aussagen über Fröhlichkeit. Die Determinanten des Positiven lassen sich nicht als das Gegenteil der Determinanten des Negativen ableiten. Die Planung und Ausführung positiver Interventionen gehört zu den Hauptzielen der "Positiven Psychologie".
Wieso helfen Personen anderen?
Untersuchungen zeigen, dass Altruismus ein reales Phänomen ist. Somit stellt sich die Frage, wieso Personen anderen helfen. Dabei kann zwischen situativen Einflüssen und Einflüssen der Persönlichkeit unterschieden werden.2
Zunächst zu den Situationseinflüssen, die sehr stark sind: Um zu helfen, muss man sich zum Eingreifen kompetent fühlen, die Situation als Hilfesituation definieren und das Gefühl haben, dass das eigene Verhalten Zustimmung bekommen und nicht etwa vor den Augen anderer lächerlich erscheinen wird.
Was den Einfluss der Persönlichkeit angeht, finden individuelle Unterschiede ihren Ausdruck in der altruistischen Persönlichkeit. Deren zentrale Merkmale sind soziale Verantwortlichkeit, Empathie und Selbstwirksamkeit.
Wege zum Altruismus
Es führen mehrere Wege zu altruistischem Verhalten: Diese können soziale Verantwortung, Mitgefühl, Schuldgefühle und/ oder Reziprozität (Wechselseitigkeit) und Fairness sein. Diese Faktoren können gleichzeitig und in Kombination wirksam werden.
Der amerikanische Psychologe Daniel Batson ging der Frage nach, ob prosoziales Verhalten altruistisch oder egoistisch motiviert ist. Folglich werden zwei Motivationssysteme unterschieden, die möglicherweise dem Helfen zugrunde liegen: das altruistische Motivationssystem und das egoistische Motivationssystem. Im Rahmen der Empathie-Altruismus-Hypothese von Daniel Batson erscheinen hierzu zwei Arten von Situationen besonders aufschlussreich: Situationen mit freier Wahl einerseits und Zwangssituationen andererseits. Es wird angenommen, dass das altruistische Motiv durch Empathie angetrieben wird, die die Besorgnis um das Wohlergehen anderer erhöht.
Empathische Besorgnis wird als wahre altruistische Motivation verstanden. Eine egoistische Motivation hingegen zielt auf die Reduktion persönlichen Unbehagens ab; dies stellt eine weitere situationsspezifische Reaktion auf die Beobachtung eines Notfalls dar.
Wenn das persönliche Unbehagen stärker ist als die empathische Besorgnis, wird der Beobachter jene Handlungsalternative wählen, die die niedrigsten Kosten und die größte Belohnung verspricht. Folglich kann die Person die Situation, in der sie mit dem Leid einer anderen Person konfrontiert ist, verlassen, sofern eine direkte Flucht möglich ist. Wenn hingegen die empathische Besorgnis stärker ist als das persönliche Unbehagen, ist altruistisches Verhalten wahrscheinlich. Dies gilt unabhängig von der Verfügbarkeit einer Fluchtmöglichkeit. Die Aktivierung empathischer Besorgnis hängt von dem Wissen über die Fortdauer des Leids des Opfers ab.
Altruistisches Verhalten ist somit in Situationen wahrscheinlich, in denen die empathische Besorgnis überwiegt sowie in Situationen, in denen eine Flucht schwierig ist und gleichzeitig das persönliche Unbehagen überwiegt. Folglich wird wenig Hilfsbereitschaft für solche Personen vorhergesagt, die stark durch persönliches Unbehagen gekennzeichnet sind und denen sich eine einfache Fluchtmöglichkeit bietet, um sich der Notlage der anderen Person entziehen zu können.
Empathische Besorgnis ist dadurch gekennzeichnet, dass die Person Wärme, Weichherzigkeit und Mitleid fühlt, wenn sie mit dem Leid des Opfers konfrontiert wird. Persönliches Unbehagen äußert sich darin, dass sich die Person alarmiert, beunruhigt und niedergedrückt fühlt, wenn sie mit dem Leid des Opfers konfrontiert wird.
Altruismus hat günstige Auswirkungen auf die Helfer
In einer bahnbrechenden Studie befragte Stephanie Brown3 vom Institute für Social Research 2003 zusammen mit ihren Mitarbeitern 423 ältere verheiratete Personen. Die Daten wurden zu zwei Messzeitpunkten im Abstand von fünf Jahren erhoben. Es zeigte sich, dass Personen, die Freunden, Verwandten und Nachbarn instrumentelle Unterstützung gaben oder den Ehepartner unterstützten, fünf Jahre später ein signifikant reduziertes Mortalitätsrisiko aufwiesen. Unterstützung zu erhalten hatte hingegen keinen Effekt auf die Mortalität. Dieses Ergebnismuster blieb auch nach Kontrolle der demografischen Variablen, der Persönlichkeitsmerkmale, der physischen und psychischen Gesundheit sowie der Ehemerkmale bestehen. Offensichtlich ist es die gewährte soziale Unterstützung, auf die es ankommt.
Eine weitere Längsschnitterhebung unter Leitung der gleichen Autorin mit 3376 älteren verheirateten Personen ergab, dass die Pflege des Ehepartners (im Umfang von mindestens 14 Stunden pro Woche) das Leben der pflegenden Person in bedeutsamer Weise verlängert. (Dazu wurde erfasst, wer im Zeitraum zwischen 1993 und 2000 von den Teilnehmern der Studie verstarb.) Dieses Resultat zeigte sich unabhängig von Verhaltens- und kognitiven Einschränkungen des pflegebedürftigen Ehepartners. Pflegende Personen können somit durch die Versorgung eines Angehörigen an Lebenskraft gewinnen.
Weitere empirische Befunde
David Mellor von der Deakin University in Melbourne, Australien, und seine Mitarbeiter fanden in einer Studie 2009 mit 464 freiwilligen Helfern und 709 Nichthelfern, dass die freiwilligen Helfer über ein wesentlich höheres persönliches Wohlbefinden als die Nichthelfer berichteten. Hierzu zählen Einschätzungen von Gesundheit, Lebensleistung, persönlichen Beziehungen, Teilhabe an der Gemeinschaft und Lebensstandard. Auch wenn andere Prädiktoren des Wohlbefindens (beispielweise Optimismus, Selbstwert) berücksichtigt werden, trägt der Status als freiwilliger Helfer immer noch signifikant zum persönlichen Wohlbefinden bei.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach den Ergebnissen der einschlägigen Studien Freiwilligenarbeit das Wohlbefinden von Helfern erhöht: Freiwilligenarbeit korreliert positiv mit der Lebenszufriedenheit. Dies gilt auch bei statistischer Kontrolle des sozioökonomischen Status und der physischen Gesundheit. Personen, die Hilfe von einem älteren Freiwilligen bekamen (zum Beispiel im Sinne einer Betreuung von Heimbewohnern durch andere Bewohner), weisen ein niedrigeres Depressionsniveau auf als Personen in Vergleichsgruppen. Verschiedene Forschungsansätze deuten also darauf hin, dass sich Altruismus positiv auf die Helfenden auswirkt.
Chancen des Altruismus
Freiwillige Helfer leben länger und sind zufriedener als Nichthelfer. Eine zufriedenstellende ehrenamtliche Arbeit zeichnet sich gemäß dem Medizinder Allan Luks (Center for Nonprofit Leadership, Fordham University, New York City) und der Schriftstellerin Peggy Payne durch bestimmte Merkmale aus. Die Übereinstimmung in der Einstellung unter Gleichgesinnten fördert die Zufriedenheit. Die Passung zwischen den Motiven ehrenamtlicher Helfer und ihren Aufgaben trägt dazu bei, dass das Engagement aufrechterhalten und positiv erlebt wird. Ferner schätzen zufriedene Helfer das Ausmaß ihrer persönlichen Verantwortung in einem mittleren Bereich ein. Die sich hierin manifestierende gesunde Distanz zu den Hilfeempfängern ermöglicht es den Helfern, abzuschalten und sich von einer chronischen Belastung frei zu machen.
Anmerkungen
1. Rohmann, Elke; Herner, Michael J.; Fetchenhauer, Detlef: Sozialpsychologische Beiträge zur Positiven Psychologie. Eine Festschrift für Hans-Werner Bierhoff. Lengerich : Pabst, 2008.
2. Bierhoff, Hans-Werner: Psychologie prosozialen Verhaltens. Warum wir anderen helfen. Stuttgart : Kohlhammer, 2010.
3. Brown, Stephanie L; Nesse, Randolph M.; Vinokur, Amiram D.; Smith, Dylan M.: Providing social support may be more beneficial than receiving it: Results from a prospective study of mortality. Psychological Science, (2003) 14, S. 320-327.
Literatur
Luks, Allan; Payne, Peggy: Der Mehrwert des Guten. Wenn Helfen zur heilenden Kraft wird. Freiburg : Herder, 1998.
Mellor, David et al.: Volunteering and its relationship with personal and neighborhood well-being. Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly (2009) 38, S. 144-159.