Tabuthema „Beruf und Pflege“
Er wollte es genauer wissen, der Personalchef eines mittelständischen Autozulieferers. Das war kurz nach Einführung des Pflegezeitgesetzes 2009. Zu dem Zeitpunkt war das Thema Beruf und Familie in der Personalplanung des Unternehmens fest etabliert. Mehrere betriebliche Maßnahmen wurden erfolgreich angestoßen, um Mitarbeiter(inne)n eine optimale Kinderbetreuung zu ermöglichen. Beim Thema "Vereinbarkeit von Beruf und Pflege" allerdings war man bis dato initiativlos geblieben. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es keinerlei Hinweise dahingehend gab, dass Angestellte des Unternehmens neben dem Beruf Angehörige pflegten. Trotzdem wollte der Personalchef genauer hinschauen und ließ eine anonyme Mitarbeiterbefragung durchführen. Das Ergebnis sorgte für großes Erstaunen: Fast jeder dritte Beschäftigte war in irgendeiner Form in die Pflege von Angehörigen involviert.
Pflege ist zweiter Vollzeitjob
Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Denn repräsentative Studien zeigen, dass durchschnittlich rund 13 Prozent der voll- oder teilzeitbeschäftigten Erwerbstätigen in Deutschland für eine hilfe- oder pflegebedürftige Person sorgen. Auf die häusliche Pflege entfallen pro Woche durchschnittlich 37 Stunden. Berufstätige, die ihre Angehörigen pflegen, haben damit zwei Vollzeitjobs zu bewältigen. Schätzungen zufolge haben sogar zehn Prozent der Pflegenden ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der Doppelbelastung aufgegeben.
Auf politischer Ebene hat man in den letzten Jahren auf diese gesellschaftliche Entwicklung reagiert, und es wurden gesetzliche Regelungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege eingeführt: Seit dem Pflegezeitgesetz 2008 können pflegende Angestellte eine unbezahlte, maximal sechsmonatige "Pflegeauszeit" oder einen zehntägigen Sonderurlaub nehmen, um für eine begrenzte Zeit ganz für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da zu sein. Im Jahr 2012 wurde das Familienpflegezeitgesetz verabschiedet, das erwerbstätigen Pflegenden - analog zum Modell der Altersteilzeit - mit Arbeitszeitkonten und flexibler Arbeitszeitgestaltung den Verbleib im Erwerbsleben erleichtern soll.
Zahl der Pflegenden wächst
Mit dem starken Wachstum der Gruppe pflegender Angestellter und der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen in der zweiten Lebenshälfte verändern sich auch die Ansprüche an die Personalkonzepte in den Unternehmen. Dies ist auch für Unternehmensverantwortliche in der Caritas von Bedeutung.
Doch trotz vielversprechender Einzelinitiativen und Appellen scheint die Akzeptanz familiärer Pflege immer noch keine Selbstverständlichkeit in der Arbeitswirklichkeit zu sein. Dies zeigt auch eine repräsentative Umfrage, die das Forsa-Institut im Auftrag der Stiftung "Zentrum für Qualität in der Pflege" durchgeführt hat. Befragt wurden 200 Personalentscheider in mittelständischen Unternehmen ab einer Betriebsgröße von mehr als 50 Mitarbeiter(inne)n. Mit 67 Prozent sehen etwa zwei Drittel der Personalverantwortlichen weder akuten noch zukünftigen Handlungsbedarf, pflegenden Angestellten die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu erleichtern. Damit scheint das Gros der Unternehmen noch nicht für den Unterstützungsbedarf von pflegenden Mitarbeitern sensibilisiert.
Auffallend ist auch, dass die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit nach wie vor stärker in der Personalpolitik der befragten Unternehmen berücksichtigt wird. Während sich 80 Prozent der Entscheider bewusst sind, wie wichtig es für ihre Angestellten ist, Beruf und Familie zu vereinbaren, gibt nur jedes zweite Unternehmen an, sich auf die steigende Zahl von Angestellten mit pflegenden Angehörigen einzustellen. Auffallend ist auch ein hoher Informationsbedarf. Obwohl das Pflegezeitgesetz vor vier Jahren in Kraft getreten ist, gaben nur etwa 16 Prozent der Personalchefs an, die gesetzlichen Details zu kennen.