Anerkennung, Eigenverantwortung und soziale Manieren
Anerkennung ist derzeit in aller Munde. Sucht man im Internet nach dem Begriff, trifft man nicht nur auf zahlreiche Managementseminare, die Anerkennung als das Erfolgskonzept zu mehr Mitarbeitermotivation preisen, sondern auch auf Schulungsangebote nach dem Motto "Erkenne dich selbst an und du bist glücklicher". Auch in die Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2009 war die Forderung nach Anerkennung hineingeschrieben worden.
Die Caritas wirbt mit ihrer Jahreskampagne für "Soziale Manieren für eine bessere Gesellschaft" um die Anerkennung von Menschen am Rande.
Anerkennung: Ein Begriff, der viel verspricht
Gerade weil der Begriff der Anerkennung momentan so populär ist, muss sich die Caritas kritisch mit ihm auseinandersetzen. Ist Anerkennung tatsächlich der Schlüssel zur Lösung aller Probleme? Der Schlüssel zu mehr Erfolg im Beruf, im Leben, das Wundermittel, das die Wirtschaftskrise überwindet? Ja, lässt sich durch Anerkennung endlich eine gerechte Gesellschaft erreichen? Wenn ein Begriff so viel verspricht, dann lohnt es sich, noch einmal nachzuhaken. Wo kommt er her? Was ist das Konzept dahinter?
Der Begriff der Anerkennung ist nicht so neu, wie es scheinen mag. Schon bei Hegel taucht die Idee auf, dass sich der Mensch stets in einem "Kampf um Anerkennung" befindet. Derzeit wird die Diskussion jedoch vor allem durch den Sozialphilosophen Axel Honneth geführt.1 In seiner 1990 vorgelegten Habilitation entwickelte er eine eigene Theorie der Anerkennung.2
Honneth versucht zu zeigen, dass es in der modernen Gesellschaft dem Individuum nur dann möglich ist, eine ungestörte Selbstbeziehung zu entwickeln und sich zu entfalten, wenn es in den drei grundlegenden Sphären von Liebe, Recht und sozialer Wertschätzung Anerkennung erfährt. (Als jeweiliges Gegenteil nennt er Misshandlung, Entrechtung, Entwürdigung.) Wird dem Menschen diese Anerkennung vorenthalten, entstehen unterschiedliche Formen sozialer Störungen, die zu einem Kampf um Anerkennung führen. Das Funktionieren einer Gesellschaft hängt also zu großen Teilen davon ab, inwieweit sich ihre einzelnen Mitglieder anerkannt fühlen und sich gegenseitig Anerkennung zollen. Honneth lenkt den Blick stärker auf einen individuellen zwischenmenschlichen Bereich und damit weg von staatlichen Strukturen.
Unter dieser Voraussetzung lässt sich auch seine Kritik an dem Verständnis von Gerechtigkeit als Verteilungsgerechtigkeit verstehen. Honneth sieht die Gefahr, dass die auf den Staat fokussierte Blickverengung dazu führt, dass die Bürger sich nicht mehr selbst als Akteure von Gerechtigkeit sehen, sondern ihre eigene Verantwortung an einen verteilenden Staat abgeben.3 Damit befindet sich Honneth in der Nähe eines Paradigmenwechsels, der unter den Schlagwörtern Eigenverantwortung statt Fürsorge und Umverteilung bekannt ist. Honneths Warnung vor einem alles regelnden Staat ist populär. Dies liegt vielleicht auch daran, dass sie sich gut instrumentalisieren lässt.
Wer in Armut aufwächst, hat es schwerer
Anerkennung, Ermächtigung, Eigeninitiative und -verantwortung sind positive Ziele. Sie sind jedoch falsch verstanden, wenn sie zu der Aussage führen, jeder sei seines Glückes Schmied. Schnell wird dann aus der Anerkennungs- eine Leistungstheorie. Denn nicht jeder hat die gleichen Voraussetzungen, diese Ziele anzunehmen und umzusetzen. "Wer in Armut und Not, wer im Zustand gesellschaftlicher Marginalisierung […] lebt, wer keinen oder nur einen begrenzten Zugang zu den kulturellen Ressourcen seiner Gesellschaft hat, erlebt die Forderung nach mehr Eigenverantwortung […] als eine Form der Fremdbestimmung."4 Anerkennung ist dann gut, wenn es darum geht, jeden in seiner Würde als Mensch, unabhängig von seinen Leistungen anzuerkennen, wenn jeder das Recht und die Möglichkeit bekommt, seine Ressourcen zu entfalten.
Die Diskussion um Anerkennung muss aber immer im Blick haben, dass individuelles Verhalten nicht alleine ausschlaggebend für ein gelingendes oder nicht gelingendes Leben ist. Neben der Eigenverantwortung braucht die Gesellschaft auch einen funktionierenden Sozialstaat. Dies hat die jüngste Wirtschaftskrise erneut deutlich gemacht.
Anerkennung hat mit Gerechtigkeit zu tun
Auch wenn der Begriff der Verteilung in der derzeitigen Debatte um Anerkennung und Teilhabe unpopulär geworden ist, bleibt er dennoch wichtig. Zeigt er doch, dass es ganz ohne Verteilungsgerechtigkeit weder Teilhabe noch Anerkennung geben kann. Anerkennung ist also nicht nur eine Privatangelegenheit von Mensch zu Mensch, sie ist auch immer eine politische Aufgabe. Wir brauchen einen Grundkonsens darüber, dass Anerkennung, Würde und Gerechtigkeit untrennbar zusammengehören.
Der Wert von Anerkennung, darf nicht nur an der Popularität des Begriffs gemessen werden, sondern der Wert von Anerkennung liegt darin, die sozialen Manieren jedes Einzelnen, der Gesellschaft und der Politik insgesamt zu verbessern. Denn die Humanität einer Gesellschaft erweist sich immer im Umgang mit ihren Rändern, so formuliert es treffend die Caritas-Kampagne 2009 nach einem Wort von Adolf Muschg.
Anmerkungen
1. Axel Honneth ist Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und seit 2001 Direktor des dortigen Instituts für Sozialforschung.
2. Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung : Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt a.M.,1990.
3. Vgl. dazu die Debatte von Fraser, Nancy; Honneth, Axel: Umverteilung oder Anerkennung? : Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M., 2003.
4. Günter, Klaus: Zwischen Ermächtigung und Disziplinierung. In: Honneth, Axel (Hrsg.): Befreiung aus der Mündigkeit. Frankfurt a.M., 2002.