„Wir opfern dieses Heim, um die anderen zu retten“
Sie schließen ein Pflegeheim, das Stift St. Michael in Nürnberg. Was ist der Grund?
Letztlich ist es dem Fachkräftemangel in unseren Pflegeheimen insgesamt geschuldet und der hat sich in den letzten Monaten enorm zugespitzt. Die Fachkräfte fehlen uns aber nicht in dem Haus, das wir schließen werden, sondern in den anderen fünf Pflegeheimen in unserer Trägerschaft. Dort stehen 30 bis 40 Zimmer leer, weil uns das Personal fehlt. Das Haus St. Michael trägt sich wirtschaftlich, ist voll belegt. Wir haben dort keinen Personalmangel und einen guten Ruf. Aber das Haus ist in den 50er-Jahren gebaut und in die Jahre gekommen. Es entspricht nicht mehr den Vorgaben des Altenpflegewohnqualitätsgesetzes. Dieses legt die Standards für Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung fest. So sind beispielsweise die Sanitärräume für die Bewohner:innen zu klein. Wir müssten viel Geld in die Hand nehmen, um das Haus baulich herzurichten. Bis 2026 hätte es noch eine Duldung, aber spätestens dann müssten wir handeln.
Wie viele Bewohner und Bewohnerinnen sind betroffen?
Im Haus St. Michael leben 51 pflegebedürftige Menschen. Es ist ein kleines Haus. Würden wir es so umbauen, wie es das Gesetz fordert und mehr Raum pro Bewohner:in schaffen, dann könnten wir nur noch 30 bis 35 Personen aufnehmen. Das Haus wäre nicht mehr wirtschaftlich zu führen. Daher haben wir uns für die Schließung entschieden. Schließlich ist für uns die Pflege das Geschäftsfeld, wo wir am marktwirtschaftlichsten unterwegs sind.
Wann gehen endgültig die Lichter aus?
Wir schließen vermutlich Mitte des Jahres. Der Termin steht aber noch nicht endgültig fest. Zuerst müssen die zwölf indischen Ordensschwestern aus St. Michael in ein neues Domizil umziehen.
Wird es noch weitere Schließungen geben?
Mit unserem jetzigen Vorhaben wollen wir gerade verhindern, dass weitere Heime schließen müssen. Weil wir die Fachkräfte an anderen Orten einsetzen und mit unserer Pflegeschule zusätzlich in Ausbildung investieren. Wir opfern also dieses Heim, um die anderen zu retten. Auch werden wir unsere Kapazitäten erst mal nicht erweitern. Ursprünglich hatten wir geplant, ein Pflegeheim als Ersatz für das Stift St. Michael an anderer Stelle mit 120 bis 130 Plätzen neu zu bauen. Erstens haben wir dafür bisher kein geeignetes Grundstück gefunden und zweitens passen wir gerade die Kleider der schmaleren Taille an, obwohl der Bedarf an Pflegeplätzen in der Bevölkerung da wäre. Die Situation hat sich komplett umgekehrt. Vor einigen Jahren konnten sich die Menschen noch einen Pflegeplatz aussuchen, heute muss man sich darum bewerben.
Wie werden die Bewohner:innen weiter betreut und was passiert mit den Mitarbeitenden?
Wir handeln hier nach drei Grundsätzen. Erstens: Jede Bewohnerin, jeder Bewohner bekommt einen Pflegeplatz in einer anderen Einrichtung. Zweitens: Jede und jeder Mitarbeitende aus St. Michael behält den Arbeitsplatz, aber in einem unserer anderen Häuser. Drittens: Der Stadt gehen keine Pflegeplätze verloren. Indem wir die Fachkräfte in anderen Pflegeheimen beschäftigen, können wir dort derzeit geschlossene Zimmer wieder aufmachen. Die anderen Heime sind neuer, hier muss nicht aufwendig saniert werden.
Was ist für die Zukunft geplant?
Das Haus St. Michael bekommt einen neuen Zweck. Hier schaffen wir etwa 50 Wohnheimplätze für Auszubildende, insbesondere für Pflegeschüler:innen, die wir im Ausland anwerben wollen, aus Nordafrika, Indien und dem ferneren Asien. Direkte Kooperationen mit einem bestimmten Land haben wir aber nicht. Wer als Arbeitgeber Azubis Wohnraum zur Verfügung stellt, ist eindeutig in einer besseren Position. Für die Umwidmung des Gebäudes müssen wir baulich kaum sanieren. Unsere Auszubildenden sollen hier nicht nur Unterkunft finden, sondern eine neue Heimat.
Wir schaffen Stellen für deren soziale Begleitung, veranstalten kulturelle Events oder Sprachkurse, damit sich die Menschen gut einleben und einen neuen Lebensmittelpunkt finden können. Diese betreuerische Arbeit finanzieren wir aus Eigenmitteln. Wir denken beispielsweise über ein Sprachenjahr nach. Damit könnten an Pflegeausbildung Interessierte aus dem Ausland ein Jahr vor der Ausbildung schon hier wohnen, Deutsch lernen und dann mit der regulären dreijährigen Pflegeausbildung beginnen. Begleitet würde er oder sie durch einen Tutor. Früher war es so, dass Azubis während der ganzen Ausbildungszeit an eine Einrichtung gebunden waren. So konnten sie sich mit dem Betrieb identifizieren. Das ist mit der generalistischen Pflegeausbildung nicht mehr so. Die Pflegeschüler:innen sind an ganz verschiedenen Orten nur für kurze Zeit eingesetzt. Wir wollen aber, dass sie sich in unseren Häusern und bei der Caritas wohl und zu Hause fühlen und bleiben. Kulturelle Begleitung kann für uns der Schlüssel sein, Pflege für die Zukunft zu sichern. Das Heimatgefühl müssen aber wir, also die Caritas, schaffen. Das kann die Schule nicht leisten. Schließlich konkurrieren wir auch mit den privaten Anbietern. Diese bilden oft nicht aus. Manche stellen zusätzlich zum Gehalt ein Auto und werben uns die Leute ab. Wir fischen ja alle im selben Teich.
Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen? Was muss sich ändern?
Dass das Altenhilfewohnungsgesetz mit seinen Vorgaben in die falsche Richtung ging, hat die Politik erkannt, korrigierend eingegriffen und manches zurückgenommen. Der Altbestand darf bleiben. Ein anderes Thema: Überregulierung. Man hat das Gefühl, der Gesetzgeber hat wenig Vertrauen, dass in Pflegeheimen verantwortungsvoll gearbeitet wird. Die Dichte an Überwachungsinstrumenten ist hoch. Sicher, manchmal ist das auch berechtigt, aber organisatorisch bindet es viele Kapazitäten. Ein positiveres Licht auf die Branche und mehr Wertschätzung gegenüber Pflegenden täte allen gut.
Auch könnte der Zuzug aus dem Ausland leichter sein. Wir haben mit sehr großen ausländerrechtlichen Hürden zu kämpfen. Diese müssten abgebaut werden. Auch würde ich mir wünschen, dass die Politik ein Sonderprogramm für die soziale Betreuung von Pflegekräften aus dem Ausland auflegt, damit wir deren Begleitung nicht aus Eigenmitteln aufbringen müssen. Das würde uns finanziell entlasten. Denn ohne ausländische Pflegekräfte, die sich hier gut einleben und auch hierbleiben wollen, wird es nicht gehen. Wir als Caritas haben da einen richtigen Marktvorteil, denn Caritas hat im Ausland einen positiven Klang. Wir sind da in der Poleposition.