Schuldnerberatung und Klimaschutz – geht das zusammen?
Oxfam führt deutlich vor Augen, wer für den Klimawandel verantwortlich ist: Fünfzig der reichsten Milliardär:innen der Welt verursachen mit ihren Privatjets und Jachten in 90 Minuten im Mittel mehr Treibhausgase als der weltweit durchschnittliche Mensch in einem ganzen Leben.1 Doch nicht nur hier ergibt sich eine enorme Schieflage beim Ausstoß von Treibhausgasen zwischen Arm und Reich. Die reichsten zehn Prozent der Menschen sind verantwortlich für 50 Prozent der Emissionen, die ärmsten 50 Prozent dagegen für lediglich acht Prozent. Klar ist damit, dass Ratsuchende in der Schuldnerberatung beim Klimawandel nicht in die moralische Pflicht zu nehmen sind. Und doch gibt es spannende Anknüpfungspunkte zwischen Armutsprävention und Klimaschutz. Klimafreundliches Verhalten spart bares Geld, wie auch der Stromspar-Check der Caritas zeigt. Zudem gilt es, die Klient:innen der Schuldnerberatung für den Klimaschutz als politisches Projekt des Wandels zu gewinnen. Denn von einer sozial-ökologischen Transformation mit einem ausgebauten ÖPNV, energetischer Sanierung und klimaangepassten Städten profitieren vor allem Menschen mit geringen Einkünften und Überschuldete. Sie gilt es als politisch agierende Bürger:innen zu stärken. Die Ansatzpunkte für die Schuldnerberatung sind umfassender, als zunächst vermutet.
Aktuell bewegt sich in der finanziellen Bildung einiges. Im Herbst 2024 fand das bislang größte Vernetzungstreffen in diesem Bereich statt.2 Vorzeigeprojekte zur Vermittlung von Finanzbildung wurden von Finanz- und Bildungsministerium, Bundesbank und Bafin ausgewählt. Aus der Schuldnerberatung wurden zwei Projekte präsentiert. Zum einen Young Finance, ein Kooperationsprojekt der Caritas mit der ING Diba, bei dem unterschiedliche, innovative Methoden zur Vermittlung von Finanzbildung umgesetzt werden. Zum anderen die bei der AWO Göttingen entwickelte Idee "Geld sparen, Klima schützen".
Beide Projekte haben einen gemeinsamen Ausgangspunkt. Bei Überschuldungsprävention können die meisten Auslöser von Überschuldung nur indirekt bearbeitet werden. Arbeitslosigkeit, Trennung, Scheidung, Tod, Erkrankung, Sucht etc. können Schuldnerberater:innen nicht verhindern, sondern höchstens Wege zum Abmildern finanzieller Folgen aufzeigen. Anders ist das bei dem Thema der "unwirtschaftlichen Haushaltsführung", das bei jungen Erwachsenen am häufigsten Überschuldung auslöst. Beide Projekte knüpfen hier an.
Dafür werden den Teilnehmenden zunächst klassische Planungsfähigkeiten und finanzielles Grundwissen vermittelt. Innovativ ist beim Göttinger Projekt das, was im Anschluss geschieht: Nachdem diese Grundlagen gelegt sind, wird in den darauffolgenden Workshopterminen die Motivation zum Sparen reflektiert. Die Diskussionen reichen von kurzfristigen Sparzielen (für die Anschaffung einer Spielekonsole) über langfristige Sparziele (Auto, Immobilie, Altersvorsorge) bis hin zu moralischen Fragen, zum Beispiel nach einer hedonistischen oder puritanischen Lebensführung: Wer sagt denn, dass Geld ausgeben mehr Spaß macht, als Geld zu sparen?
Ähnlich wird beim Thema "Klimaschutz" vorgegangen. Jede:r Teilnehmende wird gefragt, ob er:sie motiviert ist, etwas für den Klimaschutz zu tun. Hier sind die Diskussionen oft kontrovers, denn hier geht es um Werte. Es wird deutlich, dass nicht jeder dieselben hat. Am Ende jedoch sind auch hier alle motiviert, etwas für den Klimaschutz zu tun.
Der Dreh ist schließlich folgende Feststellung: "Wenn du etwas für deinen Geldbeutel und für den Klimaschutz tun möchtest, dann wäre es doch toll, wenn es Bereiche gäbe, bei denen das gleichzeitig möglich ist. Lass uns doch mal schauen, wo das ganz konkret für dich möglich ist." Diese Erkenntnis wird in mehreren Einheiten durch Kleingruppenarbeit, Stadtrundgänge, Vernetzung in sozialen Medien und andere Methoden erfahrbar. Im Ergebnis haben die Teilnehmenden ein Instrument mehr im Koffer der Überschuldungsprävention.
Neues Handwerkszeug für die Einzelfallberatung
Auch für die Einzelfallberatung gibt es bereits Ansätze, mit dem Thema Nachhaltigkeit neues Handwerkszeug zu entwickeln.3 Es beginnt damit, Wege zur Ausgabenreduktion zu ebnen. Beispielsweise weisen Schuldnerberater:innen im Rahmen der Existenzsicherung immer wieder auf kostenlose Möglichkeiten hin, Lebensmittel zu bekommen. Auffällig ist, dass die Ratsuchenden, wenn sie an Einrichtungen wie die Tafeln verwiesen werden, diese eher nur so lange aufsuchen, wie es unbedingt notwendig ist. Foodsharing4 jedoch, wo sie ebenfalls kostenlos Lebensmittel bekommen, nutzen sie häufig auch nach der Krise.
Interessant ist, warum und für wen Instrumente wie Foodsharing in der Einzelfallberatung besonders gut funktionieren. Das Miteinander ist deutlich weniger krisenbesetzt als bei den Tafeln. Essen, Klima und Welt retten sind Themen, die ein positiveres Miteinander schaffen können. Foodsharing funktioniert auch ohne jeglichen moralischen Impetus gut. Besonders attraktiv ist es für die Ratsuchenden, denen ökologische Themen ohnehin wichtig sind. Ihnen bietet sich die Möglichkeit, ihre Krise umzudeuten: als Chance, ohne Zynismus, als Zeitpunkt, ab dem man seine Werte bewusster lebt und "nebenbei" Ausgaben reduziert.
Werte bewusster leben und "nebenbei" Ausgaben reduzieren
Das Potenzial dieser Erkenntnis ist nicht zu unterschätzen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 sind für 57 Prozent der Bevölkerung Umwelt- und Klimaschutz wichtig.5 Damit ist es wahrscheinlich, dass ein relevanter Anteil der Ratsuchenden für solche Themen offen ist. Überschuldungssituationen mit im Schnitt über 30.000 Euro Schulden sind damit nicht zu regulieren. Aber das "soziale" in der "sozialen Schuldnerberatung" bedeutet, den psychodynamischen Prozess positiv zu begleiten. In dem Sinne bietet der Klimaschutz ein weiteres Instrument.6
Damit sind hier einige Ansätze aus der Praxis skizziert, die den Instrumentenkoffer der Schuldnerberatung erweitern können. Festzuhalten bleibt jedoch auch, dass - ähnlich wie in der gesamten sozialen Arbeit - die Verknüpfung von Klimaschutz und Schuldnerberatung noch am Anfang steht.
Die reichsten zehn Prozent der Menschen sind verantwortlich für 50 Prozent der globalen klimaschädlichen Emissionen.
1. Online unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-3-oxfam
2. Online unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-3-finanzbildung
3. Vgl. Bode, T.; Grahlmann, L.: Nachhaltig beraten, nachhaltig leben: Erste Ideen aus der Schuldnerberatung. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, 3/2024, S. 213-222.
4. https://foodsharing.de
5. BMUV: Umweltbewusstsein in Deutschland 2022. Online unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-3-umwelt
6. AG SBV: Soziale Schuldnerberatung Konzept. 2018. Online verfügbar unter https://tinyurl.com/nc25-3-agsbv
Zum Weiterlesen
Bode, T.; Moers, I.: Ökologie und Nachhaltigkeit in der Schuldnerberatung. In: Die Fachzeitschrift für Schuldnerberatung 36, 2/2021, S. 80-86.
Schwarze, U.: Die Leitidee der "Nachhaltigkeit" in der Sozialen Schuldnerberatung Teil 1. 2022 a. Online unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-3-iff; Schwarze, U.: Die Leitidee der "Nachhaltigkeit" in der Sozialen Schuldnerberatung Teil 2. 2022 b. Online unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-3-iff3
Angermeier, K. et al.: Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Soziale Schuldnerberatung? 2024. Online unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-3-nachhaltigkeit
Kontaktaufnahme erwünscht
Die Entwicklung steht sowohl in der Theorie als auch in der Praxis am Anfang. In der Caritas möchten wir diejenigen zusammenbringen und unterstützen, die am Thema oder am Caritas-Projekt "Young Finance" interessiert sind. Wir würden uns daher freuen, wenn sich Interessierte bei Katharina Scholz melden, unserer Referentin für Schuldnerberatung: Tel. 07 61/2 00-4 24, E-Mail: katharina.scholz@caritas.de