Jemand muss den Finger in die Wunde legen
Die neue caritas ging als Nachfolgeheft der Zeitschrift "caritas" 1999 mit einem Versprechen an den Start: Sie wolle berichten, was in der Caritas gedacht, geplant und gemacht werde. Impulse sollen via Zeitschrift in den Verband sowie in die Gesellschaft gegeben werden. Da die Caritas sich nicht in einer eigenen Welt bewegt, sondern mitten in der Gesellschaft steht, haben natürlich reziprok auch die sozialpolitischen Entwicklungen die Inhalte der neuen caritas in den letzten 25 Jahren beeinflusst.
So haben die Themen der Sozialgesetzbücher I bis XII, die damals entstanden sind, immer wieder Diskussionsstoff geboten, insbesondere die Arbeitsförderung (SGB III), die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (SGB IX), die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), die Sozialhilfe (SGB XII) sowie die Soziale Pflegeversicherung (SGB XI). Der Deutsche Caritasverband (DCV) hat hierbei versucht, die Interessen der betroffenen Menschen anwaltschaftlich zu vertreten und dies mittels seiner Zeitschrift in den Verband und die Politik zu kommunizieren. So wurde regelmäßig über das Sozialmonitoring der Wohlfahrtsverbände mit der Bundesregierung zu "Hartz IV", heute Bürgergeld, berichtet. Wie sich die Bekämpfung der Armut überhaupt wie ein roter Faden durch die Jahre zog.
Einfluss auf Sozialgesetzbücher
Erwähnenswert ist ein Kommentar1 des damaligen DCV-Rechtsdirektors Reiner Sans zur Neuordnung der Verwaltung der Grundsicherung im SBG II. Das Bundesverfassungsgericht hatte gerügt, dass die sogenannten "Argen" grundgesetzlich nicht abgesichert sind. 2010 folgte das Ministerium von Ursula von der Leyen dem Vorschlag von Reiner Sans und seiner Arbeitsgruppe. Mit einer Grundgesetzänderung wurde die Voraussetzung geschaffen, dass es trotz getrennter Trägerschaft weiterhin Leistungen aus einer Hand geben kann.
Mit der Erweiterung des EU-Binnenmarktes und der Zulassung privater Unternehmen der Freien Wohlfahrt kamen seit den frühen 1990er-Jahren völlig neue Herausforderungen auf die Caritas zu, die sich auch in Artikeln der neuen caritas widerspiegeln. Mit dem Aufkommen privater Anbieter beispielsweise in der ambulanten Pflege mussten sich die Dienste und Einrichtungen plötzlich mit einem Anbietermarkt auseinandersetzen. Kartellfragen, nationale und internationale Ausschreibungsrichtlinien, Benchmarking und Wirtschaftlichkeit wurden zu raumgreifenden Themen - auch in der neuen caritas.
Platz für Unternehmensfragen
Diese Entwicklung der Caritas zu einer unternehmerisch arbeitenden Organisation findet sich explizit in der Zeitschrift wieder. So wurde beispielsweise 2001 eine Arbeitsgemeinschaft (AG) für unternehmerische Belange gegründet,2 und im Heft werden seit der Ausgabe 7/2003 unternehmerische Themen in einer eigenen Rubrik behandelt.
Wo ein Markt ist, finden auch Kämpfe statt. Hat die Caritas für unternehmerisches Handeln im kirchlichen Dritten Weg mit einem gemeinnützigen eingetragenen Verein (e. V.) noch die richtige Organisationsform? Sind die Tarife der Caritas, wie sie in der Arbeitsrechtlichen Kommission ausgehandelt werden, noch zeitgemäß und refinanzierbar? "Quo vadis Caritas" hätte man in den vergangenen 25 Jahren mehrmals jährlich über einen Hefttitel schreiben können. Mal ging es darum, dass vor Gericht eingeklagt wurde, dass bei Ausschreibungen nicht nur der Anbieter mit den billigsten Löhnen zum Zuge kommt. Mal wurde die Frage gestellt, ob sich die verbandliche Caritas aufspalten sollte in einen Einrichtungs- und Anbieterverband und einen gemeinnützigen anwaltschaftlichen Lobbyverband für Randgruppen.3 Nicht zuletzt hatten Themen der Migration, der Digitalisierung sowie des ökologischen Handelns schon seit 1999 ihre festen Rubriken in jedem Heft.
Auch unangenehme Botschaften verkünden
Über eine längere Phase begleitete die Redaktion den Prozess zur Schaffung einer neuen AVR4 Diese kam jedoch nicht zustande. Dass danach einzelne Verbände mit dem Altenhilfetarif aus der Reihe tanzten, war eine der Konsequenzen.5 Hin und wieder ging es der Redaktion bei ihrer Berichterstattung zu unliebsamen Entwicklungen im Verband so, wie es in der antiken Mythologie geschah: Man köpft den Überbringer der schlechten Nachrichten, anstatt sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen. Was bleibt dann zu sagen? Irgendjemand muss ja den Finger in die Wunde legen und die Schweigespirale durchbrechen. Oft war es die neue caritas.
1. Sans, R.: Weiter Hilfe aus einer Hand. In: neue caritas Heft 20/2009, S. 3.
2. Roth, N.; Sans, R.: Unternehmen melden sich zu Wort. In: neue caritas Heft 6/2003, S. 30.
3. Kloos, B.: Große Träger machen mobil. In: neue caritas Heft 7/2000, S. 8 ff.
4. Schwerpunkt der neuen caritas Heft 5/2005, S. 9 ff. sowie in neue caritas Heft 14/2007, S. 9 ff.
5. Lause, S.: Damit der Preiskampf nicht auf dem Rücken des Personals ausgetragen wird. In: neue caritas Heft 15/2017,
S. 23.