Gezielte Hilfe für ukrainische Frauen und ihre Kinder
Die Brutalität des russischen Angriffskriegs löste im Februar 2022 die größte Fluchtbewegung auf dem europäischen Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg aus.1 Auch über zwei Jahre danach ist kein Frieden in Sicht, und so leben 4,3 Millionen Menschen aus der Ukraine heute als Kriegsflüchtlinge in der EU2, davon rund 1,1 Millionen in Deutschland.3
Die Caritas hat über alle Dienste hinweg Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine geleistet und unterstützt diese auch weiterhin. Während man den hohen Zugangszahlen aus der Ukraine etwa in den Migrationsdiensten für Jugendliche und Erwachsene, den psychosozialen Zentren sowie den Angeboten für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit mit Sondermitteln des Bundes begegnete, konnte darüber hinaus mit Spendenmitteln ein spezifisches Angebot für Geflüchtete aus der Ukraine an den Start gehen - "Caritas4U".4 Zum 31. Dezember 2023 endete die große Mehrheit der Angebote nach rund anderthalb Jahren - Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.
Wenige Wochen nach Kriegsausbruch, im April 2022, hatte sich die Bundesdirektorenkonferenz auf ein Unterstützungsangebot für Geflüchtete aus der Ukraine verständigt, das die Ankommens- und Integrationsprozesse vor Ort begleiten sollte. Nur zwei Monate später, im Juni, starteten bundesweit die ersten Angebote. Um den hohen Zugangszahlen und den unterschiedlichen Bedarfslagen gerecht zu werden, förderte man Aktivitäten in vier übergeordneten Schwerpunkten und füllte sie vor Ort mit Leben: Psychoedukation und psychosoziale Stabilisierung; Unterstützungs- und Lotsenfunktion für privat aufgenommene Geflüchtete und deren Gastgebende; Angebote zum Spracherwerb und zur Berufsintegration sowie Maßnahmen zum Empowerment und zur Vernetzung der Geflüchteten. In diesen Bereichen wurden zwischen dem 1. Juni 2022 und dem 31. Dezember 2023 an insgesamt 92 Standorten Angebote umgesetzt. Hauptzielgruppe waren Frauen und Mütter mit ihren Kindern (73 Prozent), in einigen Angeboten standen auch ältere Menschen im Fokus.
Rückgriff auf bewährte Konzepte
Bei der Umsetzung konnten die Standorte vielfach auf bereits vorhandene Konzepte und Erfahrungswerte zurückgreifen. Insbesondere in den Bereichen Spracherwerb und Berufsintegration sowie Empowerment und Vernetzung konnten bewährte Aktivitäten umgesetzt werden. Zu diesen zählten beispielsweise niedrigschwellige Sprachkurse und -cafés, Angebote zur Sozialraumerkundung sowie Informationsveranstaltungen und gemeinschaftliche Freizeitangebote.
Auch im Bereich der psychosozialen Stabilisierung wurde auf bereits Erprobtes zurückgegriffen. Viele der Geflüchteten aus der Ukraine brachten durch die Erlebnisse in der Ukraine oder aus Sorge um Freunde und Angehörige, die sich noch im Kriegsgebiet befinden, starke psychische Belastungen mit.
Wissen vermitteln und stabilisieren
Die niedrigschwelligen Angebote zur Psychoedukation und psychosozialen Stabilisierung in "Caritas4U" konzentrierten sich darauf, den Betroffenen gezielte Unterstützung zu bieten. So zielt beispielsweise das "EBTS"-Programm ("Evidence Based Trauma Stabilization") des SKM Köln, welches schon 2017 entwickelt wurde, darauf ab, Kindern und ihren Familien nach traumatischen Erfahrungen Stabilität zu verleihen und das Risiko von posttraumatischen Belastungsstörungen zu mindern. Das Programm integriert Erkenntnisse aus Trauma- und Bindungstheorien in spielerische Rollenspiele zwischen Müttern und Kindern. Dabei erhalten Eltern leicht verständliche Informationen über traumatischen Stress und Traumata, während spielerische Aktivitäten wie das "Bärenspiel" Sicherheit, Selbstwirksamkeit und Bindung fördern.
"Hier erhalte ich Raum, zu fühlen und über das Erlebte zu sprechen, ohne Druck oder Bewertung, das gibt mir Kraft für den Alltag und die Zukunft." (Zitat einer teilnehmenden Mutter)
Im Gegensatz hierzu konnte im Schwerpunkt zur privaten Unterbringung auf weniger Erfahrung zurückgegriffen werden. Während "Wohnen" als Handlungsfeld sozialer Arbeit und die Bedeutung von Wohnbedingungen für die Lebensbewältigung von Geflüchteten nicht neu waren, gab es bisher wenige Angebote, die bei der Aufnahme in privaten Wohnraum und den damit einhergehenden Herausforderungen unterstützten.5
Mitwohnen als Herausforderung
Im Kontext der Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine nimmt das Thema einen größeren Stellenwert ein. Die aufenthaltsrechtliche Stellung ermöglichte, dass unmittelbar nach der Einreise private Unterkünfte bezogen werden konnten. Daher kam ein Großteil der Geflüchteten (74 Prozent) direkt in privatem, oft geteiltem Wohnraum unter.6 Diese Wohnverhältnisse brachten Herausforderungen hinsichtlich Nähe und Distanz sowie Verständigungsschwierigkeiten mit sich, denen die Anlaufstellen in "Caritas4U" begegnen. Der besonderen Bedeutung dieser innovativen Strukturen trägt auch der Beschluss Rechnung, der Mitte 2023 getroffen wurde: Mit den verbleibenden Spendenmitteln konnten Angebote im Bereich der privaten Unterbringung gestärkt und bis 30. Juni 2024 verlängert werden.
In den anderen drei Bereichen endete die Förderung zum Jahresende 2023. Etwa 60 Prozent der umsetzenden Stellen gaben in einer abschließenden Umfrage an, dass sie die Angebote eigenmittelfinanziert fortführen oder so anpassen wollten, dass eine Weiterführung durch Ehrenamtliche möglich sein sollte. Allerdings gibt es auch Angebote, die trotz eines fortbestehenden Bedarfs nicht weitergeführt werden können.
Eine gewisse Herausforderung lag auch in der Zweckbindung der Spendenmittel. Diese erforderte, dass sämtliche Angebote und Aktivitäten ausschließlich auf die Bedürfnisse der Geflüchteten aus der Ukraine ausgerichtet wurden. Die Bereitstellung spezifischer Angebote für diese führte vor Ort jedoch mitunter zu Herausforderungen. Teilweise wurde sie als Ausgrenzung anderer Personengruppen wahrgenommen. Über die Hälfte der beteiligten Standorte gab an, dass die Zielgruppenbegrenzung in der Praxis für Probleme sorgte - viele Standorte befürworteten daher für künftige Projekte eine größere Offenheit der Angebote.
Gleichwohl hat "Caritas4U" innerhalb der Caritas einen bedeutenden Beitrag zur Bewältigung der hohen Zugangszahlen aus der Ukraine geleistet. Über 90 Prozent der umsetzenden Stellen gaben an, dass sich die Lebenslage der Geflüchteten durch die Angebote verbessert habe. Die Umsetzung der Spenden war somit äußerst erfolgreich, und "Caritas4U" verdeutlicht die Wirksamkeit von spendenfinanzierten Angeboten zur Unterstützung von Menschen in Notlagen. Ohne die großzügige Unterstützung der Spender:innen und das Engagement der Caritas-Mitarbeitenden wäre diese zügige und unbürokratische Hilfe für die Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine nicht möglich gewesen. In Zeiten vermehrter Fluchtmigration macht "Caritas4U" aus zweierlei Gründen Hoffnung: Deutschland kann sich bei der Bewältigung von Ausnahmesituationen auf zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Caritas verlassen. Und auch wenn die gesellschaftliche Diskussion derzeit anderes vermuten lässt, konnten über die "Caritas4U"-Förderung in kürzester Zeit viele positive Integrationsgeschichten geschrieben werden.
1. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc24-ukraineflucht
2. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc24-ukraine-eu
3. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc24-ukraine-de
4. Die Verwendung und Bereitstellung von Sondermitteln des Bundes für Geflüchtete aus der Ukraine wurde umfassend ausgewertet, S. a. Fischer, P.: Wie wurden Ukraine-Sondermittel eingesetzt? In: neue caritas Heft 7/2024, S. 24 ff.
5. An einigen Standorten bundesweit, etwa in Hannover, bietet das "Übergangs- und Auszugsmanagement" der Caritas eine solche Unterstützung für Geflüchtete an. Siehe Kurzlink:
https://tinyurl.com/nc24-cv-hannover
6. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: BAMF- Kurzanalyse 3/2023, Kurzlink: https://tinyurl.com/nc24-wohnen