"BAYAN" bedeutet Klarheit
"Die Menschen, die wir beraten, befinden sich in einer sehr unsicheren Lebenssituation", sagt Eva Hösch vom jüngsten Projekt der Berliner Caritas. Seit Mai 2021 berät sie zusammen mit ihrer Kollegin Awaz Dosky Menschen mit Fluchtgeschichte, psychischen Erkrankungen und Suchtsymptomatik. Hier in ihrem Souterrain-Büro in einem Steglitzer Altbau sind die beiden allerdings nicht täglich anzutreffen, denn sie besuchen ihre Klient*innen zur Beratung dort, wo sie leben. In den meisten Fällen ist das eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete, einige von ihnen wohnen schon seit 2015 dort. "Bayan bedeutet 'Klarheit' auf Arabisch, Kurdisch und Farsi. Unser Name steht dafür, dass wir in einer scheinbar ausweglosen Situation Orientierung und Unterstützung geben", erklärt Awaz Dosky, die selbst aus dem Irak stammt. Sie weiß, was es bedeutet, sich in einem fremden Land zurechtfinden zu müssen.
Existenzielle Not
Die Menschen, die zu „Bayan“ kommen, hat ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren aus der Bahn geworfen: Sie sind traumatisiert durch ihre Fluchtgeschichte oder durch die (Kriegs-) Zustände in ihrem Heimatland. Gleichzeitig wissen sie nicht, ob sie in Deutschland bleiben können. Sehr häufig wurde ihnen nur eine kurze Aufenthaltsbescheinigung zugesprochen, die nicht länger als drei Monate gilt. Viele Leistungen vom Amt wurden ihnen verwehrt oder werden ihnen nur durch große Hartnäckigkeit genehmigt. Sie haben keine Beschäftigungsmöglichkeit, sprechen noch nicht sicher Deutsch, haben keinen Zugang zur Gesellschaft. Die Unterkünfte liegen weit draußen am Berliner Stadtrand, so dass sie sich abgeschieden fühlen. Das Bedürfnis, all das zu vergessen und sich zu betäuben, können die beiden Beraterinnen nachvollziehen. Eva Hösch, die nach ihrem Studium der Politikwissenschaft als Asylberaterin tätig war, erklärt: "Viele haben erst kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland zu Drogen gegriffen, denn in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist der Zugang zu Substanzen sehr leicht und das Konsumieren weit verbreitet." Bei vielen arabischsprachigen Klienten - die meisten Ratsuchenden sind Männer - handelt es sich dabei um Haschisch, Cannabis und Alkohol. Ihre Ansprechpartnerin ist Awaz Dosky, weil sie die Sprache gut spricht. "Meine erste Frage zu Beginn der Beratung lautet immer, was derjenige gern selbst möchte. Wenn er sich in eine Therapie begeben möchte, dann suche ich nach Möglichkeiten." Doch nicht jeder sei von Beginn an bereit, sich selbst die Sucht einzugestehen. "Es gibt Männer, die zu mir kommen und sagen, sie hätten sich selbst im Griff und eigentlich gar kein Problem. Hier versuche ich dann, gemeinsam mit ihnen den Konsum zu kontrollieren und viel darüber zu sprechen", sagt die Sozialwissenschaftlerin. "Und langsam baut sich Vertrauen auf, so dass wir einen Schritt weiter gehen können." Eva Hösch berät Klienten aus Georgien und Afghanistan, die heroinabhängig sind. Einige von ihnen sind substituiert, das bedeutet, sie bekommen täglich eine Ersatzsubstanz, um die Entzugserscheinungen der Droge auszugleichen. Um eine Psychotherapie zu beginnen, sei ihr Leben aber zu unstet. Eva Hösch erklärt: „Manche Klienten sind wegen einer kurzen Aufenthaltserlaubnis ständig von Abschiebung bedroht. Um eine Psychotherapie zu beginnen, ist aber eine gewisse Ruhe und Stabilität nötig, die hier leider nicht vorhanden ist.“
Struktureller Rassismus ist ein großes Problem
Die beiden Beraterinnen können die individuellen und komplexen Probleme ihrer Klientel nicht allein lösen. Ihr Auftrag ist es, die Brücke zu bestehenden Hilfeangeboten zu schlagen und sie bei dem, was ihnen rechtlich zusteht, zu unterstützen. Denn im Behördendschungel findet sich keiner ihrer Klienten allein zurecht. Oftmals kommen Dolmetscher*innen hinzu, um einer Person bestmöglich zu helfen. Doch bei ihrem Engagement stoßen die Projektmitarbeiterinnen immer wieder an Grenzen. Sie sprechen dabei von strukturellem Rassismus. Die Berliner Behörden, die für Geflüchtete zuständig seien, seien deutlich unterfinanziert und hätten weniger personelle Kapazitäten als andere Behörden. Dadurch würden Geflüchtete gegenüber Deutschen klar benachteiligt. „Im Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten ist beispielsweise nur eine Person für alle Fragen rund um das Thema Pflege zuständig“, erzählt Eva Hösch. „Das bedeutet, man muss diese eine Person erreichen, um Pflegeleistungen für jemanden zu organisieren. Es sind teilweise dringende Angelegenheiten. Zum Beispiel, wenn jemand aus dem Krankenhaus entlassen wird und nahtlos eine Pflege zu Hause braucht, weil er offene Wunden hat.“ Awaz Dosky ergänzt: „Wir erleben es auch, dass Pflegedienste uns gleich absagen, wenn sie hören, dass wir sie in einer Flüchtlingsunterkunft brauchen. Sie sagen ab mit der Begründung, dass sie dort schlechte Erfahrungen gemacht hätten.“
Unterstützung, die wirkt
Eva Hösch und Awaz Dosky haben oft die Erfahrung gemacht, dass ihre Klienten anfangs skeptisch ihnen gegenüber waren. Viele haben bereits Beratung in Anspruch genommen und wurden dabei enttäuscht. Es gebe auch Klienten, die sehr depressiv seien und eine Wut allem und jedem gegenüber entwickelten. Doch mit der Zeit und der kontinuierlichen Beratung entwickle sich Vertrauen und vor allem eine große Dankbarkeit. "Einem Klienten aus Georgien, der im Rollstuhl sitzt, konnte ich nach einem halben Jahr Arbeit eine therapeutische Wohngruppe in Aussicht stellen“, erzählt Eva Hösch und strahlt. „Natürlich haben wir noch ein paar Hürden auf dem Weg dorthin zu nehmen. Aber dadurch, dass er jetzt eine Perspektive hat, stabilisiert sich seine Psyche. Es ist sehr schön zu sehen, wie es diesem Menschen heute spürbar besser geht.“