Tipps und Unterstützung für Angehörige und KollegInnen psychisch Erkrankter
Sozialcourage: Eine psychische Erkrankung kommt häufig schleichend daher. Was gibt Angehörigen einen Hinweis?
Karl Heinz Möhrmann: Länger andauernde Niedergeschlagenheit, Nervosität oder Schlafstörungen sind einige dieser Frühwarnsymptome, wobei die auch andere Ursachen haben können.
Wie soll man reagieren?
Birgit Görres: Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es wichtig, sich sensibel vorzutasten und in der Kommunikation mit Betroffenen von sich auszugehen: "Ich mache mir Sorgen, weil …" Zu beschreiben, was man als Verhaltensänderung beobachtet, nachzufragen, wie es dem- oder derjenigen geht. Das ist einfacher für einen Partner oder Freund in einer engen Beziehung als für einen Kollegen am Arbeitsplatz.
Karl Heinz Möhrmann: Die Ansprache ist hier das A und O. Beschuldigungen sind in jedem Fall kontraproduktiv.
Was kann man stattdessen tun?
Birgit Görres: Es ist ganz wichtig, bei sich zu bleiben und wertschätzend eine Hand auszustrecken. Wer als Nachbar oder Freund unsicher ist oder Angst davor hat, sollte das Gespräch nicht alleine suchen.
Karl Heinz Möhrmann: Es ist leider so, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie in einem solchen Fall handeln sollen. Diese Überforderung führt auch dazu, dass sich manche aus dem Freundeskreis zurückziehen.
Was muss ich als Helfer(in) beachten?
Karl Heinz Möhrmann: Wenn jemand sich für gesund hält und weder sich selbst noch andere gefährdet, dann können wir wenig tun. Die Persönlichkeitsrechte sind ein hohes Gut. Die Polizei kann nur bei einer Gefahrenlage eingreifen, was selten vorkommt. Trotzdem gilt gerade auch für Angehörige: Krankheitseinsicht ist die halbe Miete.
Birgit Görres: Erst einmal die eigenen Grenzen beachten. Man sollte nur das zusagen, was man auch halten kann und will. Wenn man starke Sorgen hat und der- oder diejenige nicht mehr im Kontakt zugänglich ist, sollte man das psychiatrische Hilfesystem ansprechen. Manchmal erleichtert es Betroffene, wenn ihnen ein Psychiater oder eine Psychiaterin testiert, dass sie an einer Krankheit leiden.
Was mache ich, wenn ich Angst um das Leben des Partners habe?
Birgit Görres: Dies ist in der Tat eine riesige Herausforderung. Von ersten Symptomen bis zur ersten Behandlung dauert es in der Regel sieben Jahre. Daher ist es wichtig, dass erkrankte Menschen frühzeitig ein professionelles psychiatrisches Hilfeangebot bekommen.
Ein Suizidwunsch ist ein sehr ernstzunehmendes Hilfesuchsignal, über das man nicht hinweggehen sollte. Im Zweifel sollte man den sozialpsychiatrischen Dienst in der eigenen Stadt oder dem Landkreis anrufen. Die haben die fachliche Expertise, kennen das Hilfesystem in der Region und können dem oder der Betroffenen Hilfe anbieten.
Wie sollten sich Kolleginnen oder Arbeitgeber verhalten?
Karl Heinz Möhrmann: Die Arbeitgeber haben dem Gesetz nach eine Fürsorgepflicht. Insofern müssten sie eigentlich handeln - tun es aber eher selten, auch weil sie sich häufig nicht zu helfen wissen. Dabei sind die Folgen für Unternehmen enorm. So geht jeder siebte Tag, an dem sich ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig meldet, auf eine psychische Störung zurück.
Was können Unternehmen tun?
Karl Heinz Möhrmann: Wir hatten zusammen mit den Betriebskrankenkassen (BKK) das "H-I-L-F-E-Konzept" entwickelt.
Birgit Görres: Zusammen mit der Barmer haben wir eine Broschüre für Führungskräfte aufgelegt. Unternehmen können sich vor Ort direkt an unsere Mitgliedsorganisationen wenden.
Die psychische Erkrankung belastet Angehörige. Was können sie tun?
Karl Heinz Möhrmann: Sie können sich über das Krankheitsbild informieren. Da sind die sozialpsychiatrischen Dienste eine niedrigschwellige Anlaufstation. Zweitens müssen sie akzeptieren, dass die Ehefrau, der Sohn erkrankt ist. Das klingt einfacher, als es ist.
Denn es geht zum Beispiel bei Eltern oft mit Schuldgefühlen einher: Ist meine Tochter erkrankt, weil ich ihr "schlechte Gene" mitgegeben habe, fragen sich viele. Auch machen sich Angehörige große Sorgen, wenn nicht sicher ist, wann der oder die Betroffene wieder arbeiten kann.
Birgit Görres: Gerade deshalb ist es wichtig, dass Angehörige auch sich selbst Hilfe organisieren. Für sie gibt es inzwischen deutlich mehr Angebote, gerade auch über den Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Unser Dachverband integriert heute Angehörige und nahe Freunde sehr eng in die eigenen Hilfskonzepte und gibt ihnen in unseren Trägerorganisationen eine Stimme.
Karl Heinz Möhrmann: Angehörige sollten sich jeden Tag selbst etwas Gutes tun. Was ich auch sehr empfehle, ist, in eine Selbsthilfegruppe für Angehörige zu gehen. Dort erhält man nicht nur praktische Tipps, sondern erfährt auch sehr viel Empathie. Dass es anderen auch so geht wie mir, dass ich als Angehöriger mit meinen Sorgen und manchmal auch zwiespältigen Gefühlen nicht alleine bin, das gibt sehr viel Kraft und Halt. Die passende Selbsthilfegruppe finden Angehörige auf unserer Webseite, oder sie rufen uns an.
Wie kann man Betroffene und ihr Umfeld besser betreuen?
Birgit Görres: Nach wie vor sind die psychiatrischen Angebote zu klinik-lastig. Es fehlt an präventiven Angeboten und vor allem sind die Schnittstellen zwischen ambulanten Angeboten und Kliniken nicht gut geregelt. Bei uns wird zu wenig von den Menschen her gedacht - das geht zulasten von Betroffenen und Angehörigen.
Karl Heinz Möhrmann: Wir benötigen mehr fachkundiges Personal. Die Privatisierung von Kliniken macht mir Sorgen, weil auf Kosten des Personals und damit der Betroffenen gespart wird. Und wir müssen psychische Erkrankungen entstigmatisieren.
Birgit Görres: Da stimme ich zu. Hier gibt es viele Initiativen. Im Aktionsbündnis Seelische Gesundheit engagieren sich bundesweit 125 Mitgliedsorganisationen. Wir sehen Erkrankte als Expertinnen und Experten. Sie verfügen über sehr großes Wissen und auch große Empathie für Menschen, die in Not sind.