In der WG mit Demenzkranken
Es ist zehn Uhr morgens. In der Wohngemeinschaft für demenzkranke Menschen in Berlin-Marzahn sitzen die 90-jährige Gertrud Berger und die 77-jährige Lucia Schmidt am Esstisch im Wohnzimmer mit einem Glas Saft, als Christopher Olsen hereinkommt. Er begrüßt die Damen herzlich: "Guten Morgen, wie geht es dir? Was hast du heute schon gemacht?"
Die Frauen freuen sich über die Aufmerksamkeit des jungen Mannes, der weder ihr Enkel noch ihr Großneffe ist. Der junge Amerikaner besucht sie freiwillig einmal in der Woche und verbringt ein paar Stunden mit ihnen. Christopher stammt aus Seattle, im Bundesstaat Washington im Nordwesten der USA. Vor etwa einem Jahr kam er nach Deutschland, weil er die Sprache lernen und hier studieren wollte.
Dann bekam er Heimweh, suchte Familienanschluss und eine Möglichkeit, um mehr Kontakt zu Einheimischen zu bekommen. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft in Berlin befand sich damals ein Altersheim. So kam ihm spontan der Gedanke, sich um ältere Leute zu kümmern, und er meldete sich bei der Caritas als Ehrenamtlicher im Bereich Altenpflege. Seitdem betreut er demenzkranke Menschen.
In den USA ist ehrenamtliches Engagement selbstverständlich
"Bei uns in den USA ist es selbstverständlich, dass man sich sozial engagiert. Dort gibt es keine soziale Absicherung. Also ist man auf freiwillige Helfer angewiesen", erzählt der Amerikaner, der sich schon als Schüler ehrenamtlich engagierte. "Außerdem hatte meine Oma auch Alzheimer. Ich wohnte damals aber zu weit weg, um sie häufiger zu besuchen." Am Anfang hat er ehrenamtlich Betreuungsgruppen für Demenzkranke in Marzahn und in Kreuzberg mitbegleitet. Seit kurzem kommt er nun regelmäßig in die Demenz-Wohngemeinschaft am Blumberger Damm.
Wichtig ist Christopher bei seiner ehrenamtlichen Arbeit vor allem das Gespräch mit den Demenzkranken. Er findet es spannend, wenn sie ihm von ihren Erlebnissen aus der Kriegszeit erzählen und davon, wie das Leben damals in Deutschland war: "So lerne ich etwas über die deutsche Geschichte. Manchmal singen sie mir auch alte deutsche Lieder vor, deren Strophen sie noch aus ihrer Jugend kennen." Oft sind es nämlich gerade Ereignisse, die lange zurück liegen, an die sich demenziell Erkrankte noch recht gut erinnern können.
Einfühlungsvermögen und Geduld sind gefragt
Die beiden Frauen sind inzwischen "ein wichtiger Teil" seines Lebens, seine "zweite Familie" geworden. Außer zu ihren Angehörigen und zu ihren Pflegern haben Demenzkranke oft kaum noch Kontakt zur Außenwelt. Christopher Olsen möchte deshalb einfach für sie da sein, mit ihnen Gesellschaftsspiele spielen, kochen oder spazieren gehen. Manchmal stößt er aber auch an seine Grenzen: Neulich etwa, als er mit einer der beiden Frauen Frikadellen zubereitet hat. Sie war es gewohnt, die Küche als ihr "Revier" zu betrachten. "Als ich ihr vorschlug, bei der Zubereitung etwas anders zu machen, ist sie richtig wütend geworden", erzählt Christopher. "Da war ich einen Augenblick lang sprachlos und mir fiel keine Erwiderung auf Deutsch mehr ein." Einfühlungsvermögen und Geduld sind in solchen Situationen gefragt. "Man darf auf Demenzkranke keinen Druck ausüben", hat Christopher im Umgang mit Gertrud Berger und Lucia Schmidt gelernt.