Malgruppe St. Josef
Mit dem bunten Bild einer Obstschale unter dem
Arm kommt Josefine Rausch (94) in den Raum gelaufen: "Hier Frau Schönherr, schauen Sie mal, das hab ich in dieser Woche gemacht, aber ich muss es noch verbessern... Die Äpfel haben nicht die richtige Farbe, die heben sich gar nicht vom Hintergrund ab und auch die Trauben muss ich nochmals übermalen!" Margarete Schönherr (67), Leiterin der Senioren-Malgruppe im Caritas-Altenpflegeheim St. Josef in Fulda, lobt das Engagement und die treffende Selbstkritik der betagten Hobbymalerin und gibt ihr Tipps zur Umsetzung der Korrekturen. Wöchentlich treffen in einem Gemeinschaftsraum der Einrichtung etwa 14 Bewohnerinnen und Bewohner zusammen, um zu malen.
So sind im Laufe der Jahre viele, Gemälde entstanden. Kunstpädagogin Schönherr ist seit 17 Jahren ehrenamtlich für die malfreudigen Seniorinnen da. Nach 30 Jahre Erfahrungen mit Kindern war es für sie eine Herausforderung zu ergründen, wie es um die bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten von alten Menschen bestellt ist. "Es ist erstaunlich, was da alles zu Tage tritt. Menschen, die vielleicht jahrzehntelang keinen Pinsel oder Stift mehr in der Hand hielten, entdecken Freude und Fähigkeiten beim Malen", stellt die ehemalige Grundschullehrerin fest. Bezüglich der bildnerischen Techniken seien die Möglichkeiten bei den Senioren natürlich etwas eingeschränkt, da beispielsweise Gicht oder Artrosen die Fingerfertigkeit und Motorik begrenzten. Es habe sich gezeigt, dass Farben und Pinsel am besten zu handhaben seien.
Das Alter der Teilnehmer liegt zwischen 70 und 100 Jahren. Während der Malstunde herrscht regelrechte Arbeitsatmosphäre, aber auch für Unterhaltungen und Scherze ist Platz. "Da geht es mitunter richtig laut und fröhlich zu", erzählt Schwester Ingeberga (68), die als ausgebildete Krankenschwester hier im pastoralen Dienst tätig ist und seit vielen Jahre dafür sorgt, dass auch alles organisatorisch klappt. So bereitet sie auch die Utensilien für den Malunterricht vor: Jeder Teilnehmer hat einen eigenen Farbkasten, der mit seinem Namen beschriftet ist, da werden die Gläser mit den Pinseln verteilt und auf jedem Platz ein Gefäß mit Wasser gestellt. Auch ein Zivildienstleistender assistiert regelmäßig während der Malstunde. "Als ich 88 Jahre alt wurde, bin ich zu dem Malkurs gestoßen!", erläutert Josefine Rausch und ist manchmal selbst erstaunt über ihre Fähigkeiten: "Manchmal wundere ich mich selbst, was ich alles zu Stande bringe!"
Sichtbare Erfolge
Die gerahmten Bilder schmücken mitlerweilen die Gänge des Altenpflegeheims und geben Zeugnis von der Vielfalt und Fröhlichkeit des bildnerischen Schaffens im Hause St. Josef. Im Gemeinschaftsraum im Souterrain ist sogar eine eigene Bilder-Galerie entstanden: "Da hab ich dafür gesorgt, dass die Exponate auch sichtbar sind!", erzählt Frau Schönherr und lobt die Unterstützung ihrer Arbeit durch die Geschäftsleitung. "Dort hat man mich von Anfang an immer unvoreingenommen unterstützt - mit Räumlichkeiten, Materialien und Aktivitäten!" So gab es kürzlich für die ganze Truppe neue Wasserfarbkästen.
Freilich muss die Kreativität und Initiative manchmal
angeregt und unterstützt werden. Eigene Impulse und Sichtweisen sind bei der Kursleiterin sehr willkommen. "Ich schöpfe aus dem Vollen meiner jahrzehntelangen Erfahrung!", schmunzelt sie, während sie Instruktionen für das heutige Thema "Handfeste Augenblicke" erteilt.
Wenn Hilfe benötigt wird, ist sie mit Rat und Tat zur Stelle und legt auch selbst Hand an. "Das kann ich nicht, ich bin doch kein Linkshänder!", ruft eine der Seniorinnen, die vor die Aufgabe gestellt sind, die Umrisse der eigenen Hände mit der jeweils anderen Hand auf das Papier zu bringen. "Das macht nichts! Dafür bin ich ja da.", sagt Frau Schönherr und hilft mit dem Stift, die Kontur der Seniorenhand nachzuzeichnen "Recht so? Einverstanden?" fragt sie und erhält als Antwort: "Ja, so ist es gut!".
Margarete Oberländer (9o) ist erst seit einem halben Jahr dabei, "Zuerst war es für mich nur Zeitvertreib, aber inzwischen macht es mir richtig Spaß!", erläutert sie ihre Motivation. Alle zum Malkurs versammelten Menschen sind konzentriert bei der Sache. Manche beratschlagen sich, welche Farben zu wählen sind, oder ob eine Linie verändert werden soll. Ruhig und bedächtig werden die Konturen mit Farben gefüllt.
Der Gemeinschaftssinn
Wichtiger Effekt der Malkurse ist auch die Gemeinschaft. "Nicht nur die gemeinsam erlebte Zeit während des Kurses ist bedeutsam, sondern auch die gemeinschaftlich erstellten Werke", betont Margarete Schönherr. Da werden zum Beispiel vielfarbige Collagen aus Einzelweken einzelner Seniorenmaler zusammengestellt, die dann auch so auf Ausstellungen zu sehen sind. Es tut den alten Menschen sichtbar gut, die eigenen Kreativität (wieder) zu entdecken, produktiv zu sein, das Arbeitsergebnis in den Händen zu halten und gemeinsam mit anderen etwas auf die Beine zu stellen. Dies alles erfahren die Malerinnen und Maler und sind voller Freude und Dankbarkeit.
Umgekehrt ist für Margarete Schönherr die Begeisterung ihrer betagten Schülerinnen und Schüler Anerkennung für ihren Einsatz: "Das ist das Schönste: der strahlende Blick voller Dankbarkeit aus den Augen unserer Senioren am Ende einer Malstunde!" Doch sorgt sie sich um den Fortbestand ihres Malkurses, der für alle Beteiligten so Gewinn bringend ist, denn "ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste!" So ist sie auf der Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger, die sie peu à peu anlernen könnte.
Ulrike Fleischmann