Raphaelswerk Kassel
Träume hat praktisch jeder - von der eigenen Zukunft, von geheimen Wünschen, die man verwirklichen will. In der Regel behält man diese Träume eher für sich, gibt man doch sonst damit auch allerhand von sich preis.
Susanne Denzel vom Caritasverband Nordhessen-Kassel erfährt die Träume von sehr vielen Menschen, die ihr meist völlig unbekannt sind. Trotzdem erzählen diese ihr bereitwillig von sich - mehr noch erwarten sie von der Diplom-Sozialpädagogin dazu Ratschläge: Wie kann ich meinen Traum am besten verwirklichen?
Susanne Denzel ist für die Caritas in der Migrationsberatung tätig. Ihr Klientel sind dabei meistens in Deutschland lebende Ausländer. Im Auftrag des Raphaels-Werkes ist Frau Denzel gleichzeitig aber auch zuständige Beraterin für Auswanderer: Deutsche, die auf Zeit oder Dauer Deutschland den Rücken kehren und ins Ausland gehen wollen. Davon gibt es gerade in dieser Phase der wirschaftlichen Unsicherheit mehr denn je.
Kanada, USA, Schweiz - das sind die Länder, auf welche die meisten der Auswanderungswilligen ein Auge geworfen haben. Aber auch Spanien, Großbritanien, Norwegen, Dänemark, ja sogar Russland und andere Länder in Osteuropa, Asien und Afrika tauchen in der Statistik von Susanne Denzel auf.
Mobilität ist heute eine alltägliche Angelegenheit - Menschen sind rund um den Erdball unterwegs. Deutschland ist das Ziel vieler Menschen aus aller Welt, die auf der Flucht sind, die in das Land ihrer Urahnen zurückkehren, die hier mit einem deutschen Partner ihre eigene Familie gründen oder hier auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Angehörigen hoffen.
"Oft haben diese Menschen hier bei uns nicht den leichtesten Start", betont Susanne Denzel, "Sprachkennntnisse fehlen und müssen mühsam erworben werden, Aufenthaltsberechtigung, Arbeitserlaubnis, Berufsanerkennung. - alles Dinge, die einem nicht automatisch zufliegen!" Viele Ausländer leben in Deutschland unter schwierigen Bedingungen, häufig sogar ohne gesicherten Status.
Gute Infos helfen beim Start
Deutsche Auswanderer erleben in ihrem Zielland als Neulinge oft erstmals auch das Fremdsein mit all den damit verbundenen Schwierigkeiten. "Es ist ja nicht verkehrt, wenn man eine solche Erfahrung macht, dass man an anderen Orten der Welt plötzlich auch mal der Ausländer ist und sich dann über freundliche Gesten der Hilfe und Solidarität von Einheimischen freut. Je besser aber man sich vor dem Weggang informiert und aufs Ausland vorbereitet, um so weniger wirklich negative 'Überraschungen' wird man erleben. Daher auch unser Angebot auf eine Beratung des Raphaels-Werkes: Gemeinsam können wir dann im Gespräch prüfen, wie weit die Idee des Emigrierens bereits gereift ist, wo noch Unsicherheiten sind, welche Aspekte noch nicht gar berücksichtigt wurden", unterstreicht die Kasseler Caritas-Beraterin.
Susanne Denzel weiß auch aus eigener Erfahrung, wovon sie spricht. Ihre Kindheit verbrachte sie mit der Familie teilweise in Frankreich und den USA, das Studium wiederum führte sie zeitweilig nach Ghana. So kann sie empfinden, wo die "Stolpersteine" in der Fremde liegen: "Jedes Land hat seine Bestimmungen für die Immigration, und diese sind seit den Terroranschlägen von September 2001 weltweit tendenziell verschärft worden. Auch wechseln die Vorschriften ständig. Wir müssen im Prinzip vor jeder Beratung neu im Intranet des Raphaels-Werkes recherchieren: Was hat sich womöglich gerade wieder geändert?", erläutert die Sozialpädagogin.
Die Ausgangslage bei den Beratungsgesprächen ist gleichfalls unterschiedlich. Mancher hat sich schon genau informiert, viele richtige Schritte schon eingeleitet, alles wohl durchdacht. "Solchen Leuten dient das Gespräch mit mir dann eher nochmals als Reflexion: mache ich alles richtig? Will ich wirklich jetzt starten.? Bei anderen muss ich nochmals ganz elementare Grundüberlegungen anregen: Warum will ich überhaupt auswandern? Wer kommt mit, oder gehe ich alleine? Warum in dieses Land? Was erwarte ich mir am neuen Ort? Was kann ich mitbringen an Qualifikationen, welche Chancen kann ich mir dort ausrechnen? Und auch ganz wichtig: Was lasse ich hier wie zurück? Es ist nicht unbedingt sinnvoll, alle Brücken gleich abzubrechen, denn es könnte ja auch sein, dass man doch nach einiger Zeit wieder zurück möchte."
Auch die Rückkehr ist nicht ohne
Susanne Denzel berät auch solche rückkehrwilligen Deutschen, die dann von irgendwoher auf der Welt anrufen. "Manchmal klappt es einfach von Anfang an nicht, wie man sich das vorgestellt hat. Aber auch nach vielen Jahren können sich noch Schwierigkeiten ergeben, etwa wenn sich Arbeitslosigkeit oder Krankheit einstellen und den Rückkehrwillen auslösen. Heimweh kann natürlich auch eine Rolle spielen. Wenn man dann beim Weggang bestimmte Dinge nicht berücksichtigt hat - zum Beispiel Aspekte wie Krankenkasse, Rente usw, dann steht man hier bei Rückkehr vor dem Nichts. Verwandte und ehemalige Freunde warten dann vielleicht auch nicht immer in Scharen, um einen Rückkehrer aufzunehmen", gibt Susanne Denzel zu bedenken.
Vielen ist zudem auch gar nicht klar, dass sie sogar die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren können, wenn sie zum Beispiel mit ständigem Wohnsitz im Ausland eine fremde Staatsbürgerschaft annehmen - etwa im Zuge einer Eheschließung oder um die Arbeitsmöglichkeiten vor Ort zu verbessern. Raphaels-Werk-Beraterin Denzel will aber niemanden von seinen Auswanderungsplänen abschrecken, jeder sei letztendlich für sein eigenes Handeln verantwortlich, unterstreicht sie. Leben im Ausland sei zudem allemal eine positive Erfahrung, zugleich jedoch ein wirklich tiefer Einschnitt, und - so die Empfehlung von Susanne Denzel - man sollte sich daher mit dem Zielland und den dortigen Lebensbedingungen vorab wirklich intensiv auseinandersetzen: "Das erwählte Land vielleicht erst einmal auf einer Reise kennen lernen, prüfen, ob sich eigene Vorstellung und Wirklichkeit einigermaßen decken. Außerdem: Wie steht es mit dem Spracherwerb? Ganz ohne Kenntnisse ist der Neubeginn wirklich schwierig", sagt die Sozialpädagogin.
Alter spielt kaum eine Rolle
Kommt denn jemand auf solch eine Idee, ohne jede Ahnung von Land und Leuten irgendwohin Knall-auf-Fall gehen zu wollen? "Auch das gibt es tatsächlich. Nach einer TV-Doko-Soap über Auswanderer bekam ich schon mal den einen oder anderen Anruf: 'Wir haben das gestern Abend im Fernsehen mit Familie X in Thailand gesehen, und da wollen wir jetzt auch hin auswandern. Was müssen wir tun?'"
Gibt es bei den Auswanderern eigentlich eine Altersgrenze? "Nein", lacht Frau Denzel, "manchmal sind es erst die Rentner, die sich nach dem Arbeitsleben überlegen, nochmals etwas Neues auszuprobieren oder endlich dorthin zu gehen, wo sie immer schon hin wollten. Die können das natürlich recht entspannt angehen. Man sollte da aber genau prüfen, ob es mit dem Geld hinhaut, und ob die Rentenauszahlung im Ausland ohne Probleme funktionieren kann. Wie gesagt, ein wenig hat Auswandern wirklich mit Träumen zu tun. Seinen Traum wahr werden zu lassen, das ist legitim. Genauso kann es für andere aber auch stimmen, wenn der Traum ein schöner Traum bleibt. Den jeweils richtigen Schritt zu tun, dabei will ich den Menschen helfen, wenn sie zu mir in die Beratung kommen."
Christian Scharf