Rotstift kontra Teilhabe
Mit grosser Verve beraten Politik und Verbände derzeit unter dem Stichwort "neues Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderung" über eine Reform der Eingliederungshilfe. Besonders Länder und Kommunen sehen eine Chance, das auf dem Bundessozialhilfegesetz beruhende Recht der Eingliederungshilfe zu reformieren und die Kosten zu bremsen.
Die Reform soll, wie lange gefordert, die Eingliederungshilfe inhaltlich weiterentwickeln, den Bund an den Kosten beteiligen und Einsparmöglichkeiten konsequent ausloten. Die Reformagenda wird einerseits mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, andererseits mit der angespannten Haushaltslage der Kommunen begründet.
Versprochen wird eine Reform mit personzentrierten Leistungen, partizipativer Bedarfsfeststellung, aus einer Hand gesteuerten Leistungen und unbürokratisch gewährtem Bundes- teilhabegeld für alle mit "wesentlicher Behinderung". Flächendeckend sollen Alternativen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Werkstatt ermöglicht werden. Und alles kostenneutral.
Obwohl eine so tiefgreifende Reform zur Vorsicht mahnen sollte, wird von vielen Seiten suggeriert, aufgrund der anstehenden Solidarpaktverhandlungen sei Eile geboten. Stutzig machen müssen folgende Aspekte: Es wird damit gerechnet, dass durch ein Bundesteilhabegeld bis zu fünf Prozent der Leistungsberechtigten aus dem Bezug der Eingliederungshilfe ausscheiden. Ob damit in jedem Fall die selbstbestimmte Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gefördert wird, oder ob nicht eher Fehlanreize in Richtung zusätzliches Familieneinkommen gesetzt werden, bliebe zu prüfen. Die selbst verordnete Kostenneutralität der Reform wird nur dann einzuhalten sein, wenn es den Leistungsträgern gelingt, in größerem Umfang Leistungsberechtigte abzuweisen. Das Verfahren, Teilhabebedarfe festzustellen, muss nur entsprechend restriktiv gestaltet werden. Dazu passt die bislang fehlende Bereitschaft der Kosten- und Leistungsträger, objektive Beratung zuzugestehen. Das sowie die Assistenzleistungen durch gesetzliche Betreuer zu stärken, wäre bei der Umstellung auf personzentrierte Leistungen unbedingt nötig. De facto wird mit der Reform nur das bestehende soziale Dreiecksverhältnis ausgehebelt. Die Leistungsnehmer werden so jedenfalls nicht gestärkt.
Die Caritas kann nur einer Reform zustimmen, die das Selbstbestimmungsrecht betont, die das Prinzip der individuellen Bedarfsdeckung sowie das Wunsch- und Wahlrecht sicherstellt. Die Reform muss den einzelnen Menschen und dessen Umfeld stärken. Einkommen und Vermögen dürfen bei den Teilhabeleistungen nicht herangezogen werden. Wie sich die Reform auf die Angebotslandschaft der Eingliederungshilfe auswirkt, muss vorab geprüft werden. Der Caritas geht es um eine fachliche Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, nicht um eine Reform, deren Grundanliegen das Sparen ist.