Die Zukunft der Pflege ist bunt
In einem Klassenraum des Solinger Fachseminars für Altenpflege St. Joseph sitzen 17 Pflegeschüler(innen) aus Deutschland, Italien, dem Kongo, der Türkei und der Ukraine, um nur einige Herkunftsländer zu nennen. Auf dem Stundenplan steht der Umgang mit Senioren aus anderen Kulturkreisen. Interkulturelle Sensibilität im Umgang mit Bewohner(inne)n ist ein wichtiger Baustein in der Altenpflegeausbildung geworden. Acht Monate sind es noch bis zur Abschlussprüfung, aber eines wissen die drei Pflegeschüler und 14 Pflegeschülerinnen bereits jetzt: Sie werden sofort im Anschluss an ihre Ausbildung einen sicheren Arbeitsplatz haben. „Alle unsere Absolventinnen und Absolventen können sich die Jobs aussuchen“, sagt Ulrike Prange, die Leiterin des Fachseminars. Denn der Mangel an Fachkräften in der Gesundheits- und Altenpflege verstärkt sich fortlaufend: Im Juni 2013 kamen laut Bundesagentur für Arbeit auf 100 freie Stellen für examinierte Altenpflegekräfte nur noch 36 Arbeitssuchende.
Das Modellprojekt „Die Zukunft der Pflege ist bunt“ will Jugendliche bei ihrem Einstieg in Ausbildung und Beruf unterstützen, wenn sie aus unterschiedlichen Gründen keinen direkten Zugang ins Berufsleben finden.
Dazu zählen insbesondere Jugendliche, die mit ihrem Migrationshintergrund einen Schatz mitbringen, der gehoben werden sollte für ihren beruflichen Weg – gerade auch in den Pflege- und Gesundheitsberufen: „Zukünftige Pflegefachkräfte mit Migrationshintergrund sind aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit und ihrer interkulturellen Lebenserfahrung ein großes Potenzial für die Pflege in Deutschland“, ist der Kölner Diözesan-Caritasdirektor Frank Johannes Hensel überzeugt. Denn in einer multikulturellen Gesellschaft entwickelt sich die kultursensible Pflege zu einer immer wichtigeren Herausforderung.
Das Modellprojekt setzt daher darauf, junge Menschen mit Migrationshintergrund für Pflegeberufe zu begeistern und sie konkret in Ausbildung oder Arbeit zu vermitteln. Darüber hinaus unterstützt das Projekt gezielt die interkulturelle Öffnung von Pflegeeinrichtungen. Und nicht zuletzt will das Projekt Frauen, die in Deutschland als 24-Stunden-Betreuungskräfte alte und pflegebedürftige Menschen in deren Haushalten versorgen, in Krisensituationen beraten und unterstützen.
Träger und Koordinator des Modellprojektes „Die Zukunft der Pflege ist bunt“ ist der Diözesan-Caritasverband Köln; die vier Caritasverbände Düsseldorf, Wuppertal/Solingen, für den Kreis Mettmann und für den Oberbergischen Kreis sind Kooperationspartner bei der Umsetzung. Das Projekt startete im Januar 2012 und ist auf drei Jahre angelegt. Es wird im Rahmen des Bundesprogramms „Xenos – Integration und Vielfalt“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert.
Pflege-Azubis werben an Schulen für ihr Berufsfeld
An den vier Projektstandorten sind „Interkulturelle Fachstellen für Pflegeberufe“ eingerichtet worden. Die Mitarbeiter(innen) dieser Fachstellen werben offensiv für Pflegeberufe, zum Beispiel in Schulklassen oder auf Berufsbildungsmessen. Bislang waren Ausbildungsberufe der Pflege- und Gesundheitswirtschaft nicht unter den dort vorgestellten Berufen. Daher hatten Schulabsolvent(inn)en die Pflegeberufe als Berufs- und Karrierechance oft gar nicht im Blick.
Für die Darstellung des Berufsfeldes haben die Projektmitarbeiter(innen) Unterrichtsmodule und Präsentationen entwickelt, die die verschiedenen Pflegeberufe, Ausbildungswege sowie Verdienst- und Karrierechancen aufzeigen. Lebendig und praxisnah werden diese Präsentationen auch dadurch, dass oft Pflegeschüler(innen) mitgehen und authentisch von ihren Erlebnissen und Erfahrungen berichten. Auch die Möglichkeit, sich selber oder einer Freundin den Blutdruck zu messen, in einem Simulationsanzug auszuprobieren, wie im Alter der Bewegungsapparat eingeschränkt sein kann, oder der Pflegepuppe Jakob beim Ankleiden zu helfen, tragen dazu bei, einen lockeren Einstieg in ein Gespräch über Pflegeberufe zu finden. Häufig werden direkt weitere Einzelberatungstermine mit den Jugendlichen vereinbart, die in eine konkrete Berufswegeplanung münden. Und um ausprobieren zu können, ob die Arbeit in einem Pflegeberuf für sie das Richtige ist, bekommen interessierte Jugendliche von den Fachstellen Praktika in Pflegeeinrichtungen vermittelt.
Beratung zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse
Die Einzelberatungen stehen auch älteren an Pflegeberufen Interessierten offen. Darin geht es oft um die Anerkennung im Ausland erworbener Bildungsabschlüsse. „Die formale Anerkennung durch die Bezirksregierung ist für einen pflegerischen Beruf zwingend erforderlich, unabhängig davon, welcher Berufsabschluss im Herkunftsland erreicht wurde“, weiß Thorsten Gehlhaar, Mitarbeiter im Projektteam des Caritasverbandes Düsseldorf. Zuweilen sind neben fehlenden Dokumenten mangelnde Deutschkenntnisse ein Hinderungsgrund für die Anerkennung. Um die Chancen auf eine Anerkennung zu steigern, wurden an verschiedenen Projektstandorten berufsbezogene Deutschkurse mit dem Schwerpunkt Pflege angeboten.
Aus dem Kontakt zu allgemeinbildenden Schulen haben sich bereits verbindliche Kooperationen entwickelt. Künftig informieren Caritasmitarbeitende alle Jugendlichen der Jahrgangsstufen 8 und 9 der Gesamtschule Marienheide (Nordrhein-Westfalen) über die Berufsbilder „Altenpfleger(in)“ und „Gesundheits- und Krankenpfleger(in)“ sowie über entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten. Bereits in den Jahrgangsstufen 6 und 7 besuchen die Mädchen und Jungen an einem „Stöbertag“ das Seniorenheim und das Mehrgenerationenhaus der Caritas Oberbergischer Kreis. „Wir wollen jungen Menschen Mut machen, sich für eine Ausbildung in der Pflege zu entscheiden. Bei Praktika können sie die Arbeit in verschiedenen Bereichen kennenlernen und zu einer fundierten Entscheidung für eine Pflegeausbildung kommen“, beschreibt Stefanie Maus vom Caritasverband Oberbergischer Kreis die Motive für die Kooperation zwischen der Gesamtschule Marienheide und dem Caritasverband.
Aktiv gegen Ausbildungsabbrüche
Von Beginn an haben die Mitarbeiter(innen) des Projekts sich eng mit den in den Regionen ansässigen Berufsfachseminaren und Ausbildungsstätten für Pflegeberufe vernetzt. „Bei Netzwerktreffen berichteten unsere Partner aus den Pflegefachschulen, dass die Abbruchquote der Auszubildenden deutlich höher liegt als zum Beispiel bei handwerklichen oder kaufmännischen Berufen“, erläutert Dirk Müller, Mitarbeiter im Projektteam des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen. Als Konsequenz daraus haben die Projektmitarbeiter(innen) des dortigen Caritasverbandes nun schon bei drei Kooperationspartnern offene Sprechstunden für Pflegeschüler(innen) eingerichtet.
Neben den steigenden fachlichen Anforderungen seien es nicht selten private Schwierigkeiten wie prekäre Familienverhältnisse oder Verschuldung, die zum Ausbildungsabbruch führten, so Dirk Müller weiter. Das offene Beratungsangebot soll dazu beitragen, die Pflegeschüler(innen) in der Ausbildung zu stabilisieren und so die Abbruchquote zu reduzieren.
Vermittlung interkultureller Kompetenz
Ein weiterer Schwerpunkt im Projekt „Die Zukunft der Pflege ist bunt“ ist, Pflegekräfte sowie Führungs- und Leitungskräfte in Fragen der interkulturellen Kompetenz und Öffnung zu schulen. Die Sensibilisierung für interkulturelle Kompetenz und Öffnung und ihre praktische Förderung sind zum einen wichtig, weil auch in Familien mit Migrationshintergrund pflegebedürftige Verwandte nicht mehr selbstverständlich zu Hause von ihren Familienangehörigen versorgt und gepflegt werden (können). Die Einrichtungen der Alten- und Krankenhilfe sind daher gefragt, ihre Angebote zukünftig so zu gestalten, dass sie den Anforderungen der pflegebedürftigen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen gerecht werden. Zum anderen sind multikulturelle Teams in vielen Einrichtungen schon lange Realität: „Von den Pflegekräften in stationären Einrichtungen haben bereits heute knapp zwanzig Prozent einen Migrationshintergrund. Die Einrichtungen sollen durch die Schulungen unterstützt werden, ihre eigene Vielfalt als Potenzial sowohl für die Arbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern als auch für die Organisation zu nutzen“, erläutert Serena Cerra, Projektmitarbeiterin im Caritasverband Mettmann.
Osteuropäerinnen in Privathaushalten werden beraten
Neben den genannten Zielgruppen will das Modellprojekt „Die Zukunft der Pflege ist bunt“ schließlich Frauen aus Osteuropa in den Blick nehmen, die in hiesigen Privathaushalten alte und pflegebedürftige Menschen betreuen. Sehr häufig arbeiten diese Betreuungskräfte unter miserablen Bedingungen und ohne soziale Absicherung. Das kann zu enormen Belastungen und Konflikten führen, zum Beispiel wenn vereinbarter Lohn nicht gezahlt oder Freizeit beziehungsweise Urlaub nicht gewährt wird. Krisen können aber auch durch seelische Belastungen aus der Pflegesituation selbst oder eine lang andauernde Trennung von Familie und Kindern entstehen.
In solchen Krisensituationen finden die Frauen Information und Unterstützung bei den Berater(inne)n der „Interkulturellen Fachstelle für Pflegeberufe“. Hier werden sie kostenlos, vertraulich und muttersprachlich beraten. In geschütztem Raum wird mit den Frauen überlegt, welche Möglichkeiten eines Wechsels in eine reguläre und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sich ihnen bieten. Mit den Ergebnissen des Modellprojekts möchten die beteiligten Caritasverbände dazu beitragen, gerechte Lösungen für die osteuropäischen Betreuungskräfte zu finden.