Gut begleitet durchs Labyrinth der Strukturen und Paragrafen
Integration in Erwerbsarbeit ist für Menschen mit Fluchthintergrund ein zentraler Schlüssel für eine selbstbestimmte Lebensführung und häufig auch der Ort gesellschaftlicher Anerkennung - oder deren Verwehrung. Die berufliche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt beinhaltet nicht zuletzt Herausforderungen, die sich aus der Komplexität des jeweiligen aufenthaltsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Status ergeben. Daraus und aus der in Teilen schwierigen Anerkennung ausländischer (Berufs-)Bildungsabschlüsse entstehen nicht nur Unsicherheiten für Geflüchtete selbst, sondern auch für Arbeitgeber.
Im Zeitraum 2015/2016 wurde in Stuttgart das Pilotprojekt "ZIFA-jobcoaching"1 als arbeitsbereicheübergreifendes Pilotprojekt der Bereiche Migration und Integration sowie Arbeit eingerichtet. Es sollte die Erwerbsintegration geflüchteter Menschen unterstützen, die in den durch den Caritasverband betreuten Unterkünften in Stuttgart leben. Das Angebot wendete sich an Geflüchtete unabhängig von ihrer Bleibeperspektive oder dem Bildungsstand und damit auch an diejenigen, die durch das Unterstützungssystem zu fallen drohten beziehungsweise denen dies durch die Vorgaben der Systeme geschieht.
Die zweite Projektphase, vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2021, zielte insbesondere darauf, die Erreichbarkeit von Frauen sowie die Nachbetreuung zu verbessern und Ausbildungsabbrüche durch eine angebotsübergreifende Übergangsgestaltung und Begleitung zu verhindern.
Der Ende 2021 von der Autorin dieses Beitrags vorgelegte Abschlussbericht2 beinhaltet ein Monitoring, Kurzporträts, Qualitätsfaktoren sowie Empfehlungen für die Weiterarbeit. Eine dieser Empfehlungen ist der Ausbau der Peer-to-Peer-Arbeit.3
Im Zentrum der wissenschaftlichen Begleitung stand die Perspektive der Geflüchteten und damit die Frage, was diese warum als hilfreich und wichtig erleben. Mit neun Nutzer(inne)n wurden fortlaufend im Abstand von sechs bis neun Monaten Gespräche in Präsenz geführt. Qualitätsfaktoren, die aus diesen Gesprächen heraus erarbeitet wurden, sind:
1. Zugänge: offene Tür und kurze Wege
Für die Nutzer(innen) ist wichtig, dass sie unkompliziert und schnell einen Termin erhalten - gegebenenfalls auch unangemeldet kommen können - und freundlich behandelt werden. Die Sozialdienste in den Unterkünften sind eine wichtige Brücke zu "ZIFA-jobcoaching". Die Kontaktaufnahme zu ZIFA wurde auch dadurch erleichtert, dass eine Mitarbeiterin zuvor in den Wohnhäusern im Sozialdienst gearbeitet hatte, so dass es ein Wiedersehen mit einer aus Alltagsbezügen bekannten Person war.
2. Unterstützung beim Spracherwerb und Lobbyarbeit
Die Sprache ist der Schlüssel zu Arbeit und Ausbildung. Gleichzeitig erzählen viele von Schwierigkeiten im Rahmen der vorgesehenen Stunden, die Prüfungen für die geforderten Niveaus zu bestehen. Hervorgehoben wurden von allen Befragten die präzisen Kenntnisse der Mitarbeiterinnen über die jeweils notwendigen Sprachkenntnis-Voraussetzungen und das differenzierte Wissen darüber, wie und wo welche Sprachkurse zu welchen Konditionen und in welchen Kombinationen besucht werden können. Von großem Nutzen ist es für sie, dass die ZIFA-Mitarbeiterinnen mit ihrer Lobbyarbeit neue Stunden über einen weiteren Berechtigungsschein "herausholen". Die Mitarbeiterinnen kennen Wege und haben Kontakte. Sie können begründen, warum weitere Stunden notwendig und gut investiert sind. Dies werten die Nutzer(innen) als unmittelbar wirksame Unterstützung, und es hilft ihnen darüber hinweg, dass sie ein wiederholtes Nichtbestehen auch als Beschämung erleben. Denn es gibt wieder Hoffnung auf eine weitere Chance.
3. Begleitung und Fürsprache
Aus den Rückmeldungen der Nutzer(innen) wird deutlich, dass ihnen die Strukturen in Deutschland (zunächst) unbekannt sind und sie auf die Unterstützung und Fürsprache bei Behörden angewiesen sind. Sie schätzen die Struktur- und Rechtskenntnisse der ZIFA-Mitarbeiterinnen und dass sie diese transparent und verständlich erklären können. Dies bezieht sich auch auf rechtliche Informationen zu Erwerbsarbeit bei unsicheren Bleibeperspektiven. Damit entsteht eine bessere Orientierung, und Zusammenhänge, Logiken und notwendige Schritte werden verständlich. Dies kann auch beinhalten, Sparringspartnerin in der Vorbereitung eines Behördengesprächs zu sein, Situationen durchzuspielen und geschriebene und ungeschriebene Gesetze zu erläutern. Geschätzt wird ebenso, dass die Mitarbeiterinnen die in Strukturen und Rechtsvorgaben liegenden Spielräume einschätzen und auf die Interessen ihrer Klientinnen hin ausloten können, und dass sie sie, wenn nötig, von der einen zur anderen Stelle begleiten, die Stimme für ihre Interessen erheben und für ihre Rechte eintreten.
4. Entspezialisierung und Netzwerke
Die Nutzer(innen) des Projekts betonen die unkomplizierte, anpackende Hilfe in Alltagssituationen: "hat mir immer bei allem geholfen." Sie formulieren diese Qualität als Unterschied zu Behörden, die sie als in ihren Zuständigkeiten deutlich begrenzter erleben. Damit einher geht das Betrachten des ganzen Lebenszusammenhangs, das auch gesundheitliche Themen und Kinderbetreuung umfasst. Die Nutzer(innen) berichten zudem von kurzen Wegen der Mitarbeiterinnen zu anderen Diensten, funktionierender
Netzwerkarbeit und einem Eingebundensein in die Landschaft der Unterstützungs- und Ausbildungsmöglichkeiten.
5. Gemeinsames Arbeiten, Selbstbestimmung und Empowerment
Sehr honoriert wird das Eingehen auf die individuelle Ausgangssituation (keine Arbeit "nach Schema F") und dass zusammen nach Wegen gesucht wird und diese gemeinsam gefunden werden. Geschätzt wird das Mehrwissen bei gleichzeitiger Arbeit auf Augenhöhe sowie die Qualität, ernstgenommen und respektvoll behandelt zu werden. Den Projektnutzerinnen wird nichts aus der Hand genommen, sie behalten ihre Würde und übernehmen selbst die Dinge, die sie bewältigen können. Gerade der emotionale Zuspruch "Du schaffst das" wird insbesondere von Frauen als Mut machend und als zentral beschrieben. Vertrauen entsteht durch die Erfahrung der Fürsprache für sie. Aber auch dadurch, dass ihnen vieles zugetraut und dass wahrgenommen wird, wie viel sie bereits geschafft und somit Stärke gezeigt haben.
Die Mehrheit der befragten geflüchteten Frauen erzählt von Wünschen, über Bildung und Erwerbsarbeit eine selbstbestimmte Lebensführung zu erreichen. Sie schätzen es, wenn sie in ihren Anstrengungen - auch auf dem Hintergrund ihrer kulturellen Herkunft - verstanden und nicht einseitig festgelegt werden.
6. Wiederkommen können
Die Nutzer(innen) schätzen es zudem, dass sie sich - auch wenn sie einen Ausbildungsplatz gefunden haben - mit Fragen zur Bürokratie weiterhin an "ZIFA-jobcoaching" wenden können. Denn Strukturen, Antragstellungen und mögliche Vorgehensweisen sind auch nach ein paar Jahren Aufenthalt nicht immer zu verstehen.
Anmerkungen
1. ZIFA = zielgerichtete Integration für Geflüchtete in Ausbildung und Arbeit. Kontakt: Anke Beiderhase, E-Mail: a.beiderhase@caritas-stuttgart.de
2. Download per Kurzlink: https://bit.ly/3B08nCU
3. Als ein anderer Ansatz - mit "role models" - bereichert diese auch die Arbeit der Hauptamtlichen.
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