Ein Quartier für alle
Am 1. Oktober 2021 war Spatenstich für das neue Wohnquartier Hochgelegen in Heilbronn. Dort werden 1500 Menschen ein neues Zuhause finden. Das Quartiersmanagement übernimmt die Diakonische Jugendhilfe Heilbronn. Sie wird damit eine wesentliche Koordinationsfunktion und das Schnittstellenmanagement von Kinder- und Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Altenhilfe, Kommune, weiterer Akteure und der Bewohnerschaft verantworten.
Was unter einem inklusiven Quartier zu verstehen ist
Doch was bedeutet "inklusives Quartier"? Roland Jerusalem, Leiter des Stadtplanungsamtes Freiburg,schreibt dazu: "Ein inklusives Quartier ist ein Quartier für alle Menschen. Obwohl oder gerade weil bei der Entwicklung ein besonderes Augenmerk den Menschen gilt, die unsere Hilfe brauchen, also Menschen mit Handicap oder Krankheiten, Menschen mit wenig finanziellen Ressourcen oder mit anderem Unterstützungsbedarf, ist ein Quartier dann inklusiv, wenn es durch seine Ausgewogenheit, seine Mischung, seine Infrastruktur und seine Nachbarschaften ein ,normales‘ und dadurch attraktives Quartier für alle Altersgruppen darstellt. Es handelt sich also um ein maßstabsgerechtes, funktional und sozial durchmischtes Quartier."1
Was das inklusive Quartiersmanagement erreichen will
Das inklusive Quartiersmanagement hat daher folgende Ziele:
◆ ein gelingendes Zusammenleben in einem sozial durchmischten Quartier;
◆ Begegnung auf Augenhöhe, Wertschätzung der Diversität und die niederschwellige Erreichbarkeit aller Angebote;
◆ Aktivieren, Informieren und Beteiligen aller Bewohner:innen des Quartiers an Projekten, Angeboten und Veranstaltungen, damit sie selbstverantwortlich ihr Wohnumfeld verbessern und eine gute Lebensqualität im Quartier erzielen können;
◆ vernetzen aller Akteure vor Ort mit regelmäßigem Dialog und Abstimmungen;
◆ aufbauen von Kooperationsstrukturen (zum Beispiel Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Altenhilfe, Stadtsiedlung, Stadt Heilbronn, Bildungswesen) unter inklusiven Gesichtspunkten;
◆ Aufbauen von Ehrenamtsstrukturen beziehungsweise die Qualifizierung, Koordinierung und Begleitung von Ehrenamtlichen und deren Engagement für das Quartier;
◆ Möglichkeiten und Zugänge zur Inklusion aller Bewohner:innen des Quartiers herstellen, um dadurch einen "Arbeitsmarkt für alle"2 zu schaffen.
Inklusive Wohnformen im Quartier Hochgelegen
Im Quartier entstehen bis zu 15 Apartments für die begleitete Elternschaft, die in einem Kooperationsprojekt der Diakonischen Jugendhilfe mit der Offenen Hilfe Heilbronn umgesetzt wird. Dadurch werden die Kompetenzen aus der Jugendhilfe mit dem Know-how der Eingliederungshilfe gebündelt und interdisziplinäre Teams aufgebaut. Beide Fachrichtungen haben sich bereits beim Entstehen der Grundidee im Jahr 2018 gegenseitig bereichert und sind motiviert, das Thema begleitete Elternschaft in Heilbronn konsequent weiterzuverfolgen.
Darüber hinaus wird die Diakonische Jugendhilfe im Quartier eine barrierefreie inklusive Kinder- und Jugendwohngruppe einrichten. Für beeinträchtigte Eltern mit Eingliederungshilfebedarf aus dem Quartier oder Eltern aus der Stadt Heilbronn, die zum Beispiel die Betreuung und Versorgung ihrer Kinder mit einem erzieherischen Bedarf nicht mehr eigenständig und vollumfänglich leisten können, ermöglicht diese Wohngruppe kurze Wege und eine intensive Einbindung in die tägliche Versorgung ihrer Kinder. Alles, was die Eltern selbst leisten können, sollen sie auch weiterhin tun. Die pädagogischen Fachkräfte intervenieren, kompensieren und unterstützen dann, wenn die Eltern an Grenzen der Versorgung oder des Kinderschutzes stoßen.
Die Offene Hilfe Heilbronn plant neun Einzelapartments für Menschen mit Beeinträchtigung und eine Gemeinschaftswohnung für Menschen mit und ohne Handicap. Bereits in anderen Wohnprojekten hat die Offene Hilfe gute Erfahrungen mit dem Zusammenwohnen von beeinträchtigten Menschen mit Eingliederungshilfebedarf und Student:innen gemacht. Die Student:innen übernehmen nach Absprache bestimmte Aufgaben oder Tätigkeiten innerhalb der Wohngemeinschaft und können dadurch vergünstigt wohnen.
Das Deutsche Rote Kreuz wird im Quartier ein Pflegeheim mit Tagespflege und betreutem Seniorenwohnen errichten. Im Pflegeheim ist ein Café mit Terrasse zum Quartiersplatz geplant, das allen Bewohner:innen des Quartiers als Treffpunkt zur Verfügung steht. Weiter sind Außenanlagen mit Parkbänken, Bäumen und ein Basketballplatz geplant.
Im Quartier Hochgelegen wird es darüber hinaus eine Quote für sozialen Wohnraum in Höhe von 30 Prozent geben.
Auch Stolpersteine gibt es auf dem Weg
Zu Beginn waren mehrere Kooperationstreffen zwischen der Offenen Hilfe und der Diakonischen Jugendhilfe notwendig, um die verschiedenen Logiken der Systeme Eingliederungshilfe beziehungsweise Jugendhilfe zu verstehen und miteinander abzugleichen. Daraus entstanden die ersten Fragen hinsichtlich Finanzierungsmodellen, Zuständigkeiten und Ansprechpartner:innen. Viele dieser Fragen sind bis heute unbeantwortet, da die SGB-VIII-Reform in Teilschritten umgesetzt und erst im Jahr 2027 abgeschlossen sein wird. Dann sollen alle jungen Menschen in Deutschland mit oder ohne Beeinträchtigung Jugendhilfeleistungen in Anspruch nehmen dürfen. Dieser Anspruch endet derzeit noch laut Gesetz mit dem 18. Lebensjahr. Danach werden die jungen Erwachsenen wieder in die Eingliederungshilfe zurückgeführt, was aus Sicht vieler pädagogischer Fachkräfte nicht sinnvoll erscheint. Beeinträchtigte junge Menschen sollten dieselbe Möglichkeit erhalten, einen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige zu stellen (§ 41 SGB VIII), wie nicht beeinträchtigte Menschen auch.
Ferner gab es bei den Planungen der Immobilienkonzepte Klärungsbedarf zwischen den freien Trägern und dem Bauträger Stadtsiedlung hinsichtlich Raumfragen, zum Beispiel: Wie groß darf eine Wohnung sein, damit diese noch vom Jobcenter refinanziert wird? Wie kann die barrierefreie inklusive Kinder- und Jugendwohngruppe im Gebäude realisiert werden, damit die Auflagen für eine Betriebserlaubnis erfüllt werden können? Wie ist zu verhindern, dass alle Menschen mit Beeinträchtigungen konzentriert in einem Gebäude verortet werden? Welche Räume werden für das Quartiersmanagement benötigt und wie können diese refinanziert werden?
Derzeit gibt es noch keine Antworten auf die Fragen, mit welchem Personalbedarf, welchen Qualitätsstandards und auf welcher gesetzlichen Grundlage eine inklusive Kinder- und Jugendwohngruppe mit dem örtlichen Träger verhandelt werden kann, da der Rahmenvertrag gemäß § 78 f. SGB VIII für Baden-Württemberg hierzu bislang noch keine Vorgaben macht. Die Diakonische Jugendhilfe ist zuversichtlich, dass sie gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern Antworten auf die oben aufgeführten Fragen finden und das inklusive Quartier Hochgelegen wie geplant umgesetzt werden kann.
Bewohner:innen gestalten selbst
Wie Inklusion im Quartier Hochgelegen später definiert und gelebt wird, kann nur im Dialog und durch die Beteiligung der jeweiligen Bewohner:innen und Akteure vor Ort bestimmt werden. Die Bewohner:innen eines Quartiers gestalten ihren Sozialraum selbst und können dabei durch externe Strukturen unterstützt und begleitet werden. Der Weg wurde dafür von der Stadt Heilbronn und dem Bauträger Stadtsiedlung geebnet. Nun liegt es in naher Zukunft an den Bewohner:innen, diese große Chance zu nutzen und sich aktiv in die Ausgestaltung des Quartiers Hochgelegen mit einzubringen. Die Diakonische Jugendhilfe Heilbronn ist motiviert, diesen Prozess des neu zu entstehenden Quartiers und dessen Bewohnerschaft zu begleiten und mitzugestalten.
Anmerkungen
1. Jerusalem, R., zit. in Eichner, S.; Sauter, M.: Stadt Freiburg im Breisgau (Hrsg.): Leitfaden für eine inklusive Quartiersentwicklung. Freiburg, 2019, S. 18; Kurzlink: https://bit.ly/3FElPyC
2. Hier gibt es die Überlegung, ob beeinträchtigte Menschen im Quartier eine Anstellung finden im geplanten Mobilitätszentrum, im Café oder auch innerhalb der Pflegeeinrichtung. Es sollen die Kooperationsstrukturen der verschiedenen Akteure im Quartier genutzt und gegebenenfalls Möglichkeiten zur Beschäftigung geschaffen werden.
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